THEMEN DER ZEIT
Arbeitsmedizin: Trendwende beim Nachwuchs


Noch geben die Zahlen keinen Anlass zu jubeln. Doch kann man nun etwas entspannter auf die Zukunft der betriebsärztlichen Versorgung schauen.
Arbeitsmedizin ist eine wichtige Säule im medizinischen Versorgungsgeschehen. Angesichts des demografischen Wandels, der neuen Arbeitsbedingungen mit Arbeitsverdichtung und Entgrenzung von Arbeit und Freizeit kommt der betrieblichen Prävention eine große Bedeutung zu. Betriebsärzte sind unentbehrlich, wenn es um die Gesundheit im Betrieb geht.
Die bei der Bundesärztekammer geführte Statistik „Arbeitsmedizinische Fachkunde“, die die Gesamtzahl der Betriebsärzte zeigt, die betriebsärztlich nach § 7 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) im Betrieb tätig werden dürfen, erfährt große Aufmerksamkeit bei den am Arbeitsschutz beteiligten Institutionen und Organisationen. Sie war auch Grundlage für eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Deren Ergebnisse machen deutlich, wie notwendig arbeitsmedizinischer Nachwuchs ist, um den Bedarf in den Unternehmen zu decken.
Aktuell haben 12 430 Ärztinnen und Ärzte eine arbeitsmedizinische Fachkunde. Damit ist die Anzahl dieser Ärztinnen und Ärzte gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Prozent angestiegen. Der Anteil der 5 122 Ärztinnen mit arbeitsmedizinischer Fachkunde an der Gesamtzahl der Ärztinnen und Ärzten liegt bei 41,2 Prozent und bleibt damit konstant gegenüber dem Vorjahr. Die Anzahl der Ärztinnen ist gegenüber dem Vorjahr um 1,8 Prozent angestiegen.
Viele Ältere bleiben im Beruf
Die Analyse nach Altersgruppen im Jahr 2013 zeigt (Tabelle), dass 7 180 Ärztinnen und Ärzte mit arbeitsmedizinischer Fachkunde bereits 60 Jahre alt und älter sind (57,8 Prozent). Diese Zahl ist nahezu konstant gegenüber dem Vorjahr geblieben. Von diesen sind viele zwar noch betriebsärztlich tätig, jedoch ist abzusehen, dass sie mittelfristig dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Die Zahl der 50- bis 54-Jährigen liegt bei 1 572 und ist damit gegenüber dem Vorjahr um 1,5 Prozent angestiegen. Die Zahl der unter 35- bis 39-Jährigen beträgt 279; sie hat sich um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert.
Erfreulicherweise weist die Statistik erstmalig auf einen Aufwärtstrend bei der Zahl der jungen Ärztinnen und Ärzten mit arbeitsmedizinischer Fachkunde hin. Zwar werden in den nächsten Jahren mehr Betriebsärztinnen und -ärzte aus der betriebsärztlichen Tätigkeit ausscheiden, als nachfolgend weitergebildet werden, aber dennoch ist kein deutlicher Mangel an Betriebsärztinnen und -ärzten zu erwarten. Denn es zeigt sich zum einen, dass viele Betriebsärztinnen und -ärzte auch über das 65. Lebensjahr hinaus tätig sind, zum anderen ist die Zahl der jungen Ärztinnen und Ärzte (unter 35- bis 39-Jährige) mit arbeitsmedizinischer Fachkunde im Jahr 2013 deutlich um 19 Prozent angestiegen. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass sich der Aufwärtstrend fortsetzt.
Das präventivmedizinisch ausgerichtete Fach Arbeitsmedizin und die Zusatzqualifikation Betriebsmedizin haben einen wichtigen Platz im Arbeitsschutz und im Gesundheitssystem. Dies wurde mittlerweile auch von der Politik erkannt. So gab es im vergangenen Jahr eine vom Ausschuss „Arbeitsmedizin“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales veranstaltete „Konferenz zur Sicherung des arbeitsmedizinischen Nachwuchses – Vorbeugen, Aufklären, Helfen – warum Betriebsärzte unverzichtbar sind“. An dem Ausschuss sind Vertreter der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Länderbehörden, der gesetzlichen Unfallversicherung, der arbeitsmedizinischen Wissenschaft und der Bundesärztekammer beteiligt. Von der Konferenz gingen wesentliche Impulse zur Nachwuchsgewinnung aus.
Unterstützung durch die MFA
Im April 2014 wurde ein „Aktionsbündnis zur Sicherung des arbeitsmedizinischen Nachwuchses“ in der Rechtsform eines gemeinnützigen Vereins von der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM) mit allen am Arbeitsschutz beteiligten Akteuren gegründet. Die Bundesärztekammer ist nach § 7 Abs. 6 der Satzung des gemeinnützigen Vereins kooperatives Mitglied. Das Aktionsbündnis veranstaltet unter anderem Fortbildungen, finanziert Weiterbildungen und unterstützt Nachwuchswissenschaftler.
Der Beitrag der Bundesärztekammer zur Nachwuchsförderung besteht beispielsweise darin, im Zuge der Novellierung der (Muster-)Weiterbildungordnung den Zugang zur arbeitsmedizinischen Weiterbildung zu erleichtern. Es soll für die klinische Weiterbildungszeit nicht nur – wie bisher – die Innere Medizin vorgesehen werden, sondern sie soll zukünftig für alle klinischen Fächer eröffnet werden.
Nach der Devise „Delegation: ja – Substitution: nein“ wird derzeit ein Muster-Fortbildungscurriculum der Bundesärztekammer für Medizinische Fachangestellte (MFA) „Arbeits-/Betriebsmedizin“ erarbeitet. Die MFA wird mit dieser Fortbildung befähigt, den Arbeitsmediziner und den Betriebsarzt verstärkt und umfassend zu unterstützen und zu entlasten. Unter der Verantwortung des Betriebsarztes wird die Kompetenz der MFA deutlich vergrößert im Bereich der Untersuchungen, Beratungen, bei der Koordination des Arbeitsschutzmanagements, beim betrieblichen Gesundheits- und Eingliederungsmanagement. Damit einhergehend vergrößert sich ebenso der Wirkungsbereich des Betriebsarztes. Das Curriculum wird in der ersten Hälfte des Jahres 2015 den Fortbildungsakademien zur Verfügung stehen.
Unternehmen engagieren sich
Seit Jahren wird gefordert, die Arbeitsmedizin für den Nachwuchs durch verbesserte Arbeitsbedinungen attraktiver zu machen. Mittlerweile sind Modelle von wertschätzender Unternehmenskultur zu beobachten, die hoffnungsvoll stimmen. Überbetriebliche Dienste haben sich darauf eingestellt, dem Nachwuchs Weiterbildungsstellen anzubieten, die attraktiv sind und auf einem wertschätzenden Verhaltenskodex aufbauen. Unternehmen bezahlen beispielsweise die Weiterbildungskurse; es werden Fortbildungen zur Kompetenzförderung angeboten; für den betriebsärztlichen Mitarbeiter werden Berufsunfähigkeitsversicherungen abgeschlossen; Unternehmen leisten einen Beitrag zur Work-Life-Balance, indem flexible Arbeitszeiten und Teilzeittätigkeit, auch während der Elternzeit, möglich sind. Solche Angebote sind sicherlich geeignet, den Nachwuchs an das Unternehmen zu binden.
So verwundert es nicht, dass eine Trendwende sichtbar wird: Betriebsärztlicher Nachwuchs stellt sich verstärkt ein.
Dr. med. Annegret Schoeller
Bundesärztekammer
Vogt, Peter
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