ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2014Telemedizin: Gute Studien sind nötig
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Welche telemedizinischen Methoden in der Versorgung effektiv und kostengünstig sind, ist in vielen Fällen unklar. Versorgungsforschung ist daher wichtig, wie ein Beispiel der telemedizinischen Betreuung von Herzinsuffizienzpatienten verdeutlicht.

Foto: Fotolia/Tatjana Balzer
Foto: Fotolia/Tatjana Balzer

Bei den meisten telemedizinischen Anwendungen in der Versorgung handelt es sich um Pilotprojekte und Insellösungen. Die Gründe dafür liegen vor allem in den fehlenden rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen, in fehlenden Abrechnungsmöglichkeiten, aber auch in mangelnder wissenschaftlicher Evidenz.

Einen Schub auch für die Telemedizin versprechen sich viele Akteure vom „E-Health-Gesetz“, das die Bundesregierung noch in diesem Jahr auf den Weg bringen will. Das bekräftigte Oliver Schenk, Abteilungsleiter Grundsatzfragen im Bundesgesundheitsministerium (BMG), beim 5. Nationalen Fachkongress Telemedizin in Berlin. Das BMG wird dabei nicht müde zu betonen, dass die Telematikinfrastruktur als zentrale Infrastruktur nicht nur für Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte genutzt, sondern für weitere Anwendungen geöffnet werden soll, allen voran etwa für elektronische Entlassbriefe und Medikationspläne. Auch soll die technische Interoperabilität der heterogenen IT-Systeme im Gesundheitswesen verbessert werden. Angedacht ist ein Register von standardisierten Schnittstellen für den Datenaustausch, auf das etwa Förderprojekte künftig zurückgreifen sollen.

Dass ein Schub dringend nötig wäre, offenbart eine aktuelle Auswertung der Daten des Deutschen Telemedizinportals, die Prof. Dr. rer. nat. Britta Böckmann, Fachhochschule Dortmund, vorstellte. Das im Rahmen der E-Health-Initiative des BMG aufgebaute Portal soll einen strukturierten Überblick über die Projekte hierzulande ermöglichen. Von den etwas mehr als 200 Projekten, die derzeit in der Datenbank erfasst sind, haben laut Böckmann nur acht Prozent einen Verwertungsplan, 90 Prozent hingegen „haben keine Ahnung, auf welcher Rechtsgrundlage es nach dem Projektende weitegehen soll“.

Von den Projekten werden 47 Prozent öffentlich gefördert, 21,5 Prozent von Krankenkassen, 16 Prozent privatwirtschaftlich und 7,5 Prozent durch Selbstzahlerleistungen finanziert. Regional am stärksten vertreten sind Projekte in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, überregional agieren rund 21 Prozent der Projekte. Ein öffentlich verfügbares Datenschutzkonzept können nur 18,5 Prozent der Telemedizinprojekte vorweisen (bei den öffentlich geförderten Projekten sogar nur knapp elf Prozent). Über ein Qualitätssicherungskonzept verfügen nur 13 Prozent (fünf Prozent bei den öffentlich geförderten Projekten). Die Evaluation zeige einen Nachholbedarf der Projekte in Bezug auf Nachhaltigkeit und Vergleichbarkeit der Ergebnisse, resümierte Böckmann. Auch werde eine regional extrem unterschiedliche Verteilung der Projekte je nach Strategie der Bundesländer deutlich.

Dr. med. Johannes Schenkel, Dezernat Telemedizin und Telematik der Bundesärztekammer, verwies darauf, dass in der Regel konkrete Versorgungsdefizite die wesentliche Triebfeder für telemedizinische Versorgungsmodelle sind. Auch das im Sommer 2014 vorgelegte Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen konstatiere, dass Telemedizin prinzipiell zur Optimierung der Gesundheitsversorgung beitragen könne und ihr ein Potenzial zugemessen werde, der regionalen Unterversorgung zu begegnen. Einen Nutzen sehen die Gutachter vor allem bei der telemedizinischen Schlaganfallversorgung sowie beim Telemonitoring etwa bei Herzinsuffizienzpatienten. Bemängelt wurden hingegen die uneinheitliche wissenschaftliche Datenlage und methodische Schwächen vieler Studien. Häufig handele es sich zudem um eine angebotsgetriebene Implementierung von Telemedizin.

Vor diesem Hintergrund sei auf wissenschaftlicher Datenbasis gemeinsam mit den Fachgesellschaften und dem Know-how auf Versorgerebene zu ermitteln, wie der Bedarf für telemedizinische Methoden tatsächlich aussehe, betonte Schenkel. Hierfür gelte es, bestehende Ungleichgewichte oder künftige Versorgungslücken zu identifizieren, ein klares Versorgungsziel zu benennen und dann zu prüfen, welchen Beitrag telemedizinische Konzepte zur Erreichung dieser Ziele leisten könnten. Der komplexe Charakter telemedizinischer Interventionen sei dabei zu berücksichtigen, etwa in (cluster-)randomisierten, kontrollierten Studien. Zudem sei eine noch engere Einbindung der wissenschaftlichen Fachgesellschaften nötig.

Fachgesellschaften befassen sich intensiv mit Telemedizin

Im Hinblick auf Letzteres hat sich viel getan: Die noch vor wenigen Jahren oft anzutreffende Abwehrhaltung der Fachgesellschaften ist einer zunehmenden Bereitschaft gewichen, sich mit Telemedizin zu befassen. So verwies Prof. Dr. med. Diethelm Tschöpe, Vorsitzender der Kommission Telemedizin der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), auf die im April 2014 veröffentlichten „Leitsätze zur Implementierung telemedizinischer Leistungserbringung“, die 2015 noch durch ein Positionspapier der DGIM ergänzt werden sollen. Telemedizinische Fragen erstreckten sich auf viele internistische Fächer und interdisziplinäre Interaktionen, meinte Tschöpe. Telemedizin eröffne die Hoffnung, Kommunikationsbarrieren im Gesundheitswesen zu durchbrechen dadurch, dass man die Versorgungsebenen durchlässig mache. Allerdings dürften Qualitätsstandards keinesfalls aufgegeben werden, ebenso wenig wie das Primat und die Prinzipien der ärztlichen Versorgungserbringung, mahnte er.

Prof. Dr. med. Jörg Otto Schwab, Sprecher der AG Telemonitoring der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, verwies auf die 2013 publizierten „Empfehlungen zum Telemonitoring bei Patienten mit implantierten Herzschrittmachern, Defibrillatoren und kardialen Resynchronisationssystemen“. Die telemedizinische Nachsorge und das Monitoring von implantierbaren Herzschrittmachern und Geräten zur kardialen Resynchronisation seien etablierte Methoden in der Kardiologie, der Nutzensei in Studien belegt. „Die Translation ist das Problem“, meinte Schwab.

Einen kräfigen Schub für Telemedizin können nicht zuletzt auch hochwertige wissenschaftliche Studien bringen. Ein Beispiel dafür ist die Evaluation des Programms „Curaplan Herz Plus“ der AOK Nordost (Kasten), die im Rahmen des Kongresses vorgestellt wurde.

Heike E. Krüger-Brand

@DGIM-Leitsätze, Empfehlungen
zum Telemonitoring, Gutachten des Sachverständigenrates:
www.aerzteblatt.de/142052

AOK-Telemedizinstudie: Positive Effekte     für Patienten mit Herzinsuffizienz

Die strukturierte Versorgung im telemedizinischen Betreuungsprogramm „AOK-Curaplan Herz Plus“ der AOK Nordost erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit der Teilnehmer in den ersten zwei Jahren nach Teilnahmebeginn signifikant. Das ist das Ergebnis einer von der AOK beauftragten wissenschaftlichen Studie des Instituts für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald unter der Leitung von Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffman zur Wirksamkeit des Programms. Die Ergebnisse zeigen „in einer ungewöhnlichen Deutlichkeit“ die großen Chancen der telemedizinischen Versorgung, betonte Hoffmann. Primäre Endpunkte der Studie waren das Überleben der Patienten und die Gesamtkosten der Behandlung.

Design: Für die Studie nach dem Ansatz von „Pragmatic Clinical Trials“ stellte die AOK Nordost Routinedaten von mehr als 200 000 Herzinsuffizienzpatienten zur Verfügung, von denen 2 600 in AOK-Curaplan Herz Plus eingeschrieben waren. Für die Hauptanalyse wurden von diesen Patienten nach der „intention to treat“-Methode 1 943 mit einer Kontrollgruppe von 3 719 Nichtteilnehmern verglichen. Beide Gruppen wurden unter anderem hinsichtlich Schweregrad der Krankheit, Alter, Geschlecht, psychische Erkrankungen etc. gematcht. Zusätzlich wurden in einer Sensitivitätsanalyse 1 381 Patienten, die aktiv am Programm teilgenommen haben, mit einer Kontrollgruppe verglichen.

Auswertungen: Der Analyse zufolge wirkt sich das Programm sowohl hinsichtlich medizinischer als auch gesundheitsökonomischer Effekte positiv aus. So ergab sich Hoffmann zufolge für die Interventionsgruppe im Ein-Jahres-Follow-up eine 45 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als in der Kontrollgruppe. Für die Patienten in der Sensitivitätsanalyse, die aktiv an dem Programm teilnahmen, war nach zwei Jahren sogar eine bis zu 70 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit zu verzeichnen als für Nichtteilnehmer. Die Daten von Männern und Frauen waren dabei in etwa gleich.

Zusätzlich konnten auch positive wirtschaftliche Effekte nachgewiesen werden. Diese lagen bei den Patienten aus Brandenburg mit 276 Euro/Quartal an durchschnittlichen Einsparungen jedoch deutlich über den Einsparungen der Patienten aus Berlin mit rund 18 Euro/Quartal. „Es ist für die Analyse wichtig zu berücksichtigen, wo die Patienten herkommen“, erläuterte Hoffmann. Dabei liegen die Einspareffekte insbesondere in der Sensitivitätsanalyse deutlich über den Programmkosten.

Hintergrund: Im 2004 gestarteten Programm Curaplan Herz Plus geht es darum, Zeichen einer drohenden Dekompensation der Patienten frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, um Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Derzeit nehmen mehr als 3 000 Versicherte der AOK Nordost an dem Programm teil, das Durchschnittsalter liegt bei 76 Jahren. Mehr als 80 Haus- und Fachärzte in Berlin und Brandenburg unterstützen das Programm, das von der AOK Nordost gemeinsam mit der Gesellschaft für Patientenhilfe (DGP) und dem Unfallkrankenhaus Berlin durchgeführt wird.

Fazit: Das Programm verbinde telefonische Schulung und Beratung zur Stärkung des Selbstmanagements, telemetrische Früherkennung und eine tiefe Verzahnung mit dem betreuenden Arzt, erläuterte Dr. med. Steffen Mark Sonntag, Ärztlicher Direktor der DGP. Es handele sich nicht um eine „fernüberwachende Helikoptermedizin“, sondern die Betreuung sei auf die individuellen Ressourcen der Patienten zugeschnitten. Der Arzt bleibe der medizinische Entscheidungsträger.

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