THEMEN DER ZEIT: Aufsätze
Patientenverfügungen: Der Arzt als Gesprächspartner
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Eine Patientenverfügung ist ein Instrument des Selbstbestimmungsrechtes. Im neuesten Entwurf der "Grundsätze
der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung", der am 11. September 1998 beschlossen und in Heft
39/1998 des Deutschen Ärzteblattes veröffentlicht wurde, wird die Patientenverfügung als Ausdruck des
mutmaßlichen Patientenwillens anerkannt: "Patientenverfügungen sind verbindlich, sofern sie sich auf die
konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände erkennbar sind, daß der Patient sie nicht mehr
gelten lassen würde."
Verschiedene Formulare
Mit der zunehmenden Technisierung in der Medizin wurde die Forderung nach einem "würdevollen Sterben"
immer lauter. Die moderne Medizin ruft bei vielen Menschen die Angst hervor, einmal vereinsamt und von
vielen Schläuchen umgeben zu sterben. Die zahlreichen Anfragen zum Thema "Patientenverfügung" an
Hospizgruppen und andere Einrichtungen zeigen, daß besonders ältere Menschen an diesem Thema interessiert
sind.
Bereits in den 70er Jahren wurde in Deutschland von dem Kölner Juristen Wilhelm Uhlenbruck die erste
Patientenverfügung entworfen (Uhlenbruck, 1978). Mittlerweile ist eine große Anzahl verschiedener Formulare
im Umlauf, die sich teilweise in Form, Inhalt und Ausführlichkeit unterscheiden.
Während das Interesse der allgemeinen Bevölkerung an diesen Dokumenten in der Vergangenheit vielfach
untersucht worden ist (Emanuel et al., 1991), ist darüber, wie Ärzte zu diesem Thema stehen, bislang noch so gut
wie nichts bekannt. Im Juli 1996 wurde von der Abteilung Medizinische Soziologie der Universität Ulm in
Kooperation mit dem Tumorzentrum des Ulmer Universitätsklinikums eine Ärztebefragung vorgenommen.
Fragestellung dieser Pilotstudie war, ob Ärzten Patientenverfügungen bekannt sind und inwieweit sie in
Therapieentscheidungen einbezogen werden. Bei einer Responserate von 39 Prozent (Grundgesamtheit: 283)
hielten 87,2 Prozent der befragten Ärzte eine Patientenverfügung für ein geeignetes Instrument, um die
Autonomie des Patienten zu wahren, obwohl nur wenige über entsprechende praktische Erfahrungen verfügten.
Niedergelassene Ärzte werden deutlich häufiger mit Patientenverfügungen konfrontiert als Klinikärzte.
95 Prozent der Ärzte gaben an, wenigstens ab und zu in Entscheidungen über kuratives versus palliatives
Vorgehen involviert zu sein. 95,5 Prozent der Befragten können es sich vorstellen, eine Patientenverfügung in
ihre Therapieentscheidungen einzubeziehen. Als Bedingungen für die Berücksichtigung einer
Patientenverfügung kristallisierten sich als die wichtigsten heraus:
- Der Patient muß über Hintergründe und mögliche Folgen eines solchen Dokuments genau unterrichtet sein. Es
muß allein seinem Wunsch entsprechen, eine Patientenverfügung zu verfassen.
- Der Arzt muß den Patienten und dessen Umfeld gut kennen, um ihn in seinen Bedürfnissen einschätzen zu
können.
Dem ausführlichen Gespräch mit dem Patienten im Vorfeld wird dabei eine Schlüsselrolle zugewiesen. Hier
kommt es unter anderem darauf an, daß der Patient über seine Krankheit gut aufgeklärt und bei klarem Verstand
ist. Nur ein informierter Patient kann im voraus entscheiden, wie er behandelt werden möchte für den Fall, daß er
dies nicht mehr mitteilen kann. Dies sicherzustellen ist Aufgabe des ärztlichen Gesprächs.
Eine Patientenverfügung ist demnach nur sinnvoll im Zusammenhang mit dem vorangegangenen einfühlsamen,
eventuell wiederholten Gespräch mit dem Arzt. Dieses sowie die Auseinandersetzung mit dem Thema
"Patientenverfügung" sollte möglichst frühzeitig stattfinden. In einem späten Stadium ihrer Krankheit sind
manche Patienten nicht mehr dazu in der Lage, solche Fragen für sich zu entscheiden. Daraus folgt, daß der
geeignetste Gesprächspartner für das Thema "Patientenverfügung" der Hausarzt ist. Er kennt den Patienten in
der Regel oft schon seit vielen Jahren und weiß über dessen frühere Erkrankungen am ehesten Bescheid. Er
kennt das soziale Umfeld des Patienten und betreut häufig mehrere Mitglieder einer Familie. Auch ist er für den
Patienten ein vertrauter Ansprechpartner, der die Möglichkeit hat, in mehreren Gesprächen Einzelheiten zur
Patientenverfügung zu besprechen.
Besonders bei älteren Menschen ist der Hausarzt oft der erste, der in einem Notfall hinzugezogen wird. Wenn
dieser weiß, was der Patient wünscht, kann er entsprechend handeln. Für den Fall, daß ein Patient bereits im
Krankenhaus ist, stellt der in der Patientenverfügung benannte Hausarzt einen kompetenten Ansprechpartner für
die Ärzte in der Klinik dar.
Darüber, wie eine Patientenverfügung konkret auszusehen hat, wird derzeit lebhaft diskutiert. Ob einzelne
Maßnahmen zur nicht gewünschten Therapie genannt sein müssen und falls ja, welche; ob hierzu bundesweit
einheitliche Richtlinien hilfreich wären, darüber waren bei den befragten Ärzten die Meinungen sehr
unterschiedlich: zwei Drittel sind der Ansicht, einzelne Punkte sollten in einer Patientenverfügung genau
benannt sein. Diese Ärzte haben jedoch mehrheitlich noch keine Erfahrung mit entsprechenden Dokumenten.
Auf diesem Gebiet erfahrene Ärzte legen dagegen weniger Wert auf die Auflistung konkreter Einzelheiten. Ein
bundesweit einheitliches Formular wird von rund 50 Prozent befürwortet. Wichtiger als eine "Checkliste"
gewünschter beziehungsweise nicht gewünschter Maßnahmen oder allgemeingültiger Richtlinien werden die
Nachvollziehbarkeit des Patientenwunsches sowie das ärztliche Gespräch im Vorfeld bewertet.
Diskussionsbedarf
Einer Patientenverfügung muß ein Entscheidungsprozeß vorausgehen. Dies wird von vielen Ärzten als Chance
für den Patienten verstanden, sich über seine Wünsche und Vorstellungen bezüglich seiner Krankheit und seines
bevorstehenden Sterbens klarzuwerden. Auch kann ein solches Dokument Anlaß sein, mit den Angehörigen
darüber zu reden.
Diese persönliche Auseinandersetzung muß aus der Patientenverfügung hervorgehen und für den behandelnden
Arzt ersichtlich sein. Leider sind viele Formulare im Umlauf, die nur eine vage Aussage enthalten wie: "Im Falle
irreversibler Bewußtlosigkeit verzichte ich auf jegliche lebenserhaltenden Maßnahmen." Eine solche
Patientenverfügung wird von den Ärzten als wenig hilfreich erachtet. Eine eindeutige Angabe des
Patientenwillens wird dagegen als wertvolle Entscheidungshilfe betrachtet.
Ein weiterer Punkt, über den in dieser Umfrage Übereinstimmung festzustellen war, ist die Aktualisierung der
Patientenverfügung. Es ist leicht einzusehen, daß sich jeder Arzt schwertun wird, ein zehn Jahre altes Dokument
als aktuellen Ausdruck des mutmaßlichen Patientenwillens anzuerkennen. Aus diesem Grund müssen Patienten
in gewissen Abständen überprüfen, ob der Inhalt ihrer Patientenverfügung noch gilt, und sollten dies durch eine
erneute Unterschrift bestätigen. Die Ärzte gaben als akzeptable Abstände sechs Monate bis zwei Jahre an. Hier
besteht noch ein großer Diskussionsbedarf.
Von Kritikern werden Patientenverfügungen als zu allgemein und in der entsprechenden Situation als wenig
hilfreich beschrieben (Kielstein et Sass, 1995). In der deutschen Rechtsprechung ist es möglich, eine Vollmacht
über gesundheitliche Entscheidungen auf einen anderen Menschen zu übertragen (§§ 1896 Abs. 2 Satz 2, 1906
Abs. 4 BGB). Dieser hat die Aufgabe, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu vertreten, wenn dieser nicht
mehr selbst für sich sprechen kann.
In einer Patientenverfügung kann ein "Patientenanwalt" eingesetzt werden, der in der entsprechenden Situation
dem Arzt als Ansprechpartner zur Verfügung steht, wenn es um das weitere Vorgehen im Sinne des Patienten
geht. Nur die Hälfte der Ärzte kann es sich vorstellen, von einem Patientenanwalt zu profitieren.
Bei den Antworten spielt möglicherweise das Wissen eine Rolle, daß der Arzt immer derjenige ist, der letztlich
eine Entscheidung treffen und sie verantworten muß. Auch die Angst vor dem Mißbrauch einer solchen
Vollmacht mag hier wirksam sein. Es wäre denkbar, die Vollmacht auf den Hausarzt zu übertragen.
Die Rolle von Ärzten hinsichtlich der "Patientenverfügung" ist nach der Studie größer als bisher angenommen.
Sie haben auch insofern eine zentrale Stellung, als sie diejenigen sind, die die Inhalte eines solchen Dokuments
interpretieren und in die Tat umsetzen müssen. Ärzte haben allerdings nur wenige Kenntnisse über
Patientenverfügungen: Mehr als 75 Prozent gaben an, nicht über die juristischen Grundlagen von
Patientenverfügungen Bescheid zu wissen; 43 Prozent kannten kein einziges der sich derzeit im Umlauf
befindenden Formulare; knapp 40 Prozent erfuhren erstmals von Patienten über die Möglichkeit solcher
Verfügungen.
Hemmschwelle
Patientenverfügungen sind nur im Zusammenhang mit dem ausführlichen und einfühlsamen ärztlichen Gespräch
sinnvoll. Es kann nicht erwartet werden, daß jeder Arzt zu einem solchen Gespräch von vornherein in der Lage
ist. Zahlreiche Studien haben gezeigt, daß gerade bei Ärzten eine große Hemmschwelle besteht, mit Patienten
Dinge zu besprechen, die die Themen "Sterben und Tod" berühren (Morrison et al., 1994). Im Medizinstudium
und in der ärztlichen Weiterbildung ist es bisher noch die Ausnahme, daß sich Studenten und Ärzte mit diesen
Themen beschäftigen. Dieses Defizit sollte beseitigt werden. Bereits während des Studiums muß eine
Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen stattfinden und eine patientenzentrierte Gesprächsführung
eingeübt werden. Für praktisch tätige Ärzte wäre die Möglichkeit zur Supervision zu schaffen (Waibel, 1998).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-836-837
[Heft 13]
Literatur bei den Verfassern
Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Susanne Roller
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder
Johannes-Hospiz
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80639 München