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Krankenhaushygiene: Europaweite Standards noch Zukunftsmusik


Krankenhausinfektionen sind ein universelles Problem, deshalb müssen wir voneinander lernen", betonte Prof.
Dr. med. Gerald Reybrouck von der Universität Leuven, Belgien. Obwohl in der Europäischen Union ein hohes
Maß an Hygiene umgesetzt ist, waren sich die Experten in Düsseldorf einig, daß es keinen Grund gibt, mit der
Rate der Krankenhausinfektionen zufrieden zu sein und Hygiene-Maßnahmen zurückzuschrauben. Es sei
vorhersehbar, daß die Infektionsraten wieder hochschnellten. Die Gefahr, die nach wie vor von Infektionen
ausgehe, werde unterschätzt. Das Vertrauen in die Wirksamkeit von Antibiotika müsse angesichts der vielfach
auftretenden Resistenzen relativiert werden.
Europaweite Studien über im Krankenhaus erworbene Infektionen gibt es nicht. Die Hygiene-Experten
schätzen aber, daß ihre Rate bei fünf bis sechs Prozent liegt. Die Datenbasis sei jedoch auf europäischer wie auf
nationaler Ebene unzuverlässig. Die Meldepflicht werde europaweit unterschiedlich gehandhabt. Viele
Krankenhausinfektionen würden gar nicht gemeldet. Für den niedergelassenen Bereich lägen überhaupt keine
Zahlen vor, und die Infektionsraten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus würden kaum erfaßt. Für
vorbildlich hält Prof. Dr. med. Martin Exner vom Hygiene-Institut der Universität Bonn das britische System
der Public Health Laboratories. Diese Labors nehmen die meisten mikrobiologischen Untersuchungen vor und
melden Infektionen mit dem Patientennamen zentral nach London. Deutschland sei dagegen ein
"epidemiologisches Entwicklungsland".
Bereits 1972 hat der EG-Ministerrat in einer Resolution die Mitgliedstaaten aufgefordert, an ihren
Krankenhäusern Infektionskommissionen einzurichten. Von einem einheitlichen europäischen Standard ist
man jedoch noch weit entfernt, da entsprechende Richtlinien national unterschiedlich umgesetzt werden. Dabei
sei die Hygiene ein zentraler Bereich, wenn es um die Qualitätssicherung im Krankenhaus gehe, bemerkte Prof.
Dr. med. Hans-Günther Sonntag vom Hygiene-Institut der Universität Heidelberg.
Hygiene zentral für Qualitätssicherung
In Frankreich hat nach den Worten von Prof. Dr. med. Gilles Brücker von der Assistance Hôpitaux Publique de
Paris eine erste nationale Prävalenzstudie über nosokomiale Infektionen 1990 eine Infektionsrate von
durchschnittlich 7,4 Prozent ergeben, wobei sich die Raten der einzelnen Krankenhäuser erheblich voneinander
unterschieden. Einige der Kliniken wiesen Raten von 12 Prozent auf. Eine weitere Studie im Jahr 1993 erfaßte
29 Krankenhäuser in der Region Paris und ermittelte eine Infektionsrate von 11,7 Prozent. Frankreich gehört
zu den Ländern, in denen die Multiresistenz von Bakterien hoch ist. Dabei stellte Brücker innerhalb von
Europa ein Nord-Süd-Gefälle fest. Südeuropäische Staaten wiesen eine Rate von Methicillin-resistenten
Staphylococcus aureus (MRSA) von rund 30 Prozent auf. Die Staaten Nordeuropas lägen mit einer Rate von
rund zehn Prozent deutlich besser.
1994 hat das französische Gesundheitsministerium einen Fünf-Jahres-Plan erstellt, mit dem Ziel, die Rate der
nosokomialen Infektionen um 30 Prozent zu senken. Außerdem müsse die Sicherheit des Pflegepersonals im
Zeitalter von Aids und Hepatitis C nach Ansicht von Brücker mehr in den Vordergrund rücken. Die Impfung
gegen Hepatitis B sei beispielsweise seit 1991 Pflicht für die Angehörigen der Gesundheitsberufe. Trotzdem
seien 20 bis 25 Prozent der Ärzte nicht geimpft.
Wie Prof. Dr. med. A. Michael Emmerson von der Universität Nottingham ausführte, haben nationale
Prävalenzstudien in den Jahren 1981 und 1996 für Großbritannien jeweils eine Infektionsrate von rund neun
Prozent ergeben. Zur Infektionskontrolle beschäftigt jedes britische Krankenhaus ein Team sowie ein
übergeordnetes Komitee, das allerdings meist nur wenig Kontakt zu den Patienten hat. Außerdem kommt in
den meisten Krankenhäusern auf mehr als 1 000 Betten nur eine Hygienefachkraft. Um den Kontakt zwischen
dem Komitee, dem Team und den einzelnen Stationen zu verbessern, gibt es mittlerweile in einer Reihe von
Krankenhäusern "Verbindungsschwestern" (infection control link nurses), was die Erfassung von Infektionen
auf den einzelnen Stationen sehr viel effektiver gemacht hat.
Eine Studie aus dem Jahr 1993 hat die bevorzugten Erfassungsmethoden nosokomialer Infektionen untersucht.
Dabei stellte sich heraus, daß die meisten Krankenhäuser die Überwachung einzelner Organismen bevorzugten.
Die Hälfte der Hygiene-Teams erfaßte stationsintern die Rate postoperativer Wundinfektionen und die
Infektionsrate bei der Anwendung intravenöser Methoden. Lediglich 20 Prozent der Infektionskomitees haben
ihre Patienten nach der Entlassung überwacht. Zwei Drittel der Komitees haben keine schriftlichen Protokolle
angefertigt, weil ihnen dazu die Mittel fehlten. Aus demselben Grund ist oft auch die Arbeit der Infection
Control Teams auf akutes Krisenmanagement reduziert.
"Richtlinien garantieren nicht ihre Umsetzung", wie Reybrouck in seinem Referat über die Situation der
Krankenhaushygiene in den Beneluxstaaten betonte. Bereits seit 1974 sind belgische Krankenhäuser
verpflichtet, eine Hygienekommission einzurichten. Die Mitglieder dieser Kommission können jedoch meist
nur einen geringen Teil ihrer Arbeitszeit für Hygienefragen aufwenden. Außerdem werden die
Krankenhausinfektionen nur in wenigen Krankenhäusern systematisch erfaßt.
Die Niederlande haben eine lange Tradition von Hygiene-Richtlinien. Bereits 1966 hat der nationale
Gesundheitsrat ein Handbuch zur Vermeidung von Krankenhausinfektionen veröffentlicht. Jedes
niederländische Krankenhaus hat ein Infektions-Komitee, wobei es zweifelhaft ist, ob alle Komitees auch
effektiv arbeiten. An niederländischen Krankenhäusern sind mehr als 200 Hygienefachkräfte beschäftigt, von
denen jedoch weniger als die Hälfte Vollzeit-Kräfte sind. 1991 haben sich rund 79 Prozent der Krankenhäuser
an der Erfassung von nosokomialen Infektionen beteiligt. Rund 20 Prozent der Infektionen basierten
ausschließlich auf Resultaten der bakteriologischen Labors.
Bei der Diskussion um europaweite Infektionsraten muß nach Ansicht von Reybrouck berücksichtigt werden,
daß die Situation in den einzelnen Krankenhäusern nur schwer vergleichbar ist. Eine gute Hygiene-Praxis sei
kaum meßbar. Sie habe nichts mit der Zahl der verwendeten Einmalmaterialien, dem Verbrauch von
chirurgischen Handschuhen oder Desinfektionsmitteln zu tun. Den besten Anhaltspunkt liefere die Erfassung
krankenhauserworbener Infektionen. Allerdings würden dabei auch die endogenen Infektionen mitregistriert.
Eine goldene Regel zur Richtlinienpolitik gebe es nicht. Selbst Länder wie Belgien und die Niederlande, deren
Hygiene-Politik sehr ähnlich sei, unterschieden sich in den Ergebnissen. Beispielsweise verbrauchen die
Belgier mehr Antibiotika als die Niederländer, was sich in einer ebenfalls höheren Rate der Methicillinresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) niederschlägt (Belgien 25,1 Prozent, Niederlande 1,5 Prozent).
Die Kontrolle von Krankenhausinfektionen in den skandinavischen Ländern unterscheidet sich nach den
Worten von Prof. Dr. med. Juhani Ojajärvi von der Universität Helsinki, Finnland, nur in Details. Die meisten
Krankenhäuser haben Komitees zur Infektionskontrolle sowie ein dichtes Netz von Hygienefachkräften. Bei der
Gestaltung der Richtlinien spielen die Fachgesellschaften in den einzelnen Staaten eine bedeutende Rolle. In
Finnland hat beispielsweise die Gesellschaft für Krankenhausinfektionskontrolle empfohlen, an jedem
Universitätskrankenhaus einen Epidemiologen zu beschäftigen. Die Forderung ist jedoch nie umgesetzt
worden. Ojajärvi wies außerdem darauf hin, daß viele finnische Krankenhäuser die Infektionsraten nach der
Entlassung erfassen, weil durch die Verkürzung der Liegezeiten Infektionen häufig erst dann auftreten. Um
den Gebrauch von Antibiotika zu kontrollieren, verlangen einige Krankenhäuser, daß die Gründe für die
Antibiotikatherapie in der Patientenakte vermerkt werden. Das habe dazu geführt, den unnötigen Einsatz von
Antibiotika einzuschränken.
Auf die besondere Bedeutung der Handhygiene für die Prävention nosokomialer Infektionen wies Emmerson
hin. Die Hände des medizinischen Personals seien die bedeutendsten Infektionsüberträger im Krankenhaus.
Gerade in diesem Bereich lasse jedoch die Compliance des medizinischen Personals zu wünschen übrig.
Deshalb gibt es an einigen britischen Krankenhäusern den "Handwashing-Day", an dem die Methoden der
Händereinigung systematisch eingeübt werden. Emmerson betonte, daß er nichts von der Schrubb-Technik bei
der chirurgischen Händedesinfektion halte. Sie traumatisiere die Haut und setze auf diese Weise nur mehr
Bakterien frei. Die Einhaltung von Vorschriften der Handhygiene stelle vor allem bei Ärzten ein Problem dar.
Bei schlechter Compliance nütze auch das beste Desinfektionsmittel nichts. Heike Korzilius
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