ArchivDeutsches Ärzteblatt15/1999Meßwertinterpretation in der Osteodensitometrie: T-Wert entscheidend

MEDIZIN: Diskussion

Meßwertinterpretation in der Osteodensitometrie: T-Wert entscheidend

Minne, Helmut W.; Pfeifer, Michael; Pollähne, Wolfgang

Zu dem Beitrag von Priv.-Doz. Dr. med. Christian Wüster, Dr. med. Klaus Engels, Dr. med. Eberhard Renner, Prof. Dr. med. Dr. h. c. biol. Rolf Dieter Hesch, Dr. med. Peymann Hadji und Dr. med. Jasmin Yazdan Pourfard in Heft 41/1998
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS Zunächst ist das Bemühen der Autoren zur Vereinheitlichung der Interpretation von Meßwerten bei Knochendichtemessungen uneingeschränkt zu begrüßen. Allerdings wird die vorgelegte Arbeit diesem Ziel nicht gerecht, weil sie neue Fragen aufwirft, die insbesondere für den praktisch tätigen Orthopäden, Gynäkologen, Internisten oder Allgemeinmediziner, an die sich die Arbeit eigentlich wenden wollte, Anlaß zu Verwirrung und Verunsicherung sein dürfte.
Die Definition der Osteoporose stützt sich auf eine bereits 1994 veröffentlichte und von der Weltgesundheitsorganisation autorisierten Arbeit (1, 2). Sie orientiert sich an der sogenannten peak bone mass, also der maximal während des Lebens etwa bis zum 30. Lebensjahr erreichten Knochenmasse. Der sogenannte T-Wert drückt das Meßergebnis in Standardabweichungen (SD) von der peak bone mass eines Referenzkollektivs aus. Demnach gelten Meßwerte, die innerhalb einer Standardabweichung um den Mittelwert streuen als normal; von Osteoporose spricht man bei einer Abweichung um mehr als -2,5 SD vom Mittelwert. Meßergebnisse, die zwischen -1 und -2,5 SD liegen, bezeichnet man als Osteopenie (3, 4). Wie die Autoren richtig feststellen, gibt es keine absolute Frakturschwelle und entsprechend gibt es weder einen T-Wert noch einen Z-Wert, ab dem absolute Therapiebedürftigkeit besteht. Die Frage der Therapie einer Osteoporose muß somit immer das klinische Bild mit einbeziehen. Wir empfehlen hier folgende klinische Graduierung der Krankheit, die den T-Wert berücksichtigt (5).
- Schweregrad 0: Knochenmineralgehalt niedrig (T-Wert zwischen -1 und -2,5), keine Frakturen. In der Regel liegen zwischen Risikoerkennung und dem Eintritt erster Frakturen Jahre.
- Schweregrad 1: Knochemineralgehalt erniedrigt (T-Wert < -2,5), keine Frakturen. Der Eintritt erster Frakturen kann praktisch jederzeit im Zusammenhang mit inadäquater Belastung erfolgen. Eine Therapie ist vorzusehen.
- Schweregrad 2: Knochenmineralgehalt niedrig beziehungsweise erniedrigt, erste Wirbelkörperfrakturen. Das Risiko weiterer Frakturen hat sich vervielfacht. Eine Risikoabsenkung durch Pharmakotherapie wird frühestens im zweiten Jahr nach Therapiebeginn erkennbar (6, 7). Schmerztherapie und Rehabilitationsbemühungen gewinnen an Bedeutung.
- Schweregrad 3: Knochenmineralgehalt niedrig beziehungsweise erniedrigt, multiple Frakturen (mehr als vier Wirbelkörper sind betroffen, extravertebrale Frakturen sind aufgetreten). Die Möglichkeiten der Pharmakotherapie zur Senkung des Risikos weiterer Frakturen sind nun begrenzt. Trotzdem müssen alle Möglichkeiten ausgenutzt werden, da auch bei diesen Patienten die Krankheitsprogression eine Beschwerdeprogression zur Folge hat. Schmerztherapie und Rehabilitationsbemühungen sind bei einem Teil der Patienten zur Vermeidung der Pflegebedürftigkeit absolut indiziert.
Dem Argument der Autoren, der T-Wert habe "klinische Limitationen, da damit bei den über 70jährigen mehr als 50 Prozent osteoporotisch wären", kann nicht zugestimmt werden. Dies wird deutlich bei der Betrachtung epidemiologischer Daten: Entsprechend einer bereits von Melton und Mitarbeitern 1992 publizierten Untersuchung aus den USA beträgt das Risiko einer 70jährigen Frau im Verlaufe der ihr noch verbleibenden Lebensjahre eine Oberschenkelhalsfraktur zu erleiden 14 Prozent, das Risiko einer Wirbelkörperfraktur 13 Prozent, das Risiko einer distalen Radiusfraktur 8 Prozent und das Risiko anderer Frakturen (zum Beispiel Rippe, Humerus, Femur) 22 Prozent (8). Vergleichbare Berechnungen aus Deutschland stehen leider nicht zur Verfügung. Ergebnisse der "EVOS"-Studie, nach denen 1,8 Millionen Frauen und 0,8 Millionen Männer in unserem Land an Wirbelkörperfrakturen leiden und nach eigenen Hochrechnungen zusammen mit dem Verband der Betriebskrankenkassen die Zahl der Schenkelhalsfrakturen auf 100 000 bis 150 000 pro Jahr zu schätzen ist, machen sehr wahrscheinlich, daß die Daten aus den USA auf Deutschland übertragbar sind. Diese Datenlage macht deutlich, daß die Anwendung des T-Wertes durchaus ihre Berechtigung hat, weil bei den über 70jährigen wahrscheinlich tatsächlich annähernd 50 Prozent der Frauen gefährdet sind, einen durch Osteoporose mitverursachten Knochenbruch zu erleiden. Der Z-Wert hingegen ist weder hilfreich in der Diagnostik noch bei der Therapieentscheidung und sollte deshalb genau wie die Prozentwerte verlassen werden. Entsprechend ist er auch bereits im internationalen Schrifttum weitgehend verlassen worden. Aufgrund eigener Untersuchungen können wir bestätigen, daß die Ultraschallmessung am Fersenbein geeignet sein kann, Osteoporoserisiken zu erkennen (9). In einer Stellungnahme der "National Osteoporosis Foundation" der USA wird die Ultraschallmeßtechnologie auch als eine "vielversprechende Methode" bezeichnet, vor deren breiterer Anwendung allerdings noch weitere Studienergebnisse abgewartet werden müssen (10). Im Bereich der Ultraschalltechnologie befinden sich derzeit mehr als zehn verschieden konstruierte Geräte in Erprobung, die - wie von den Autoren auch genannt - im Bereich unterschiedlichster Skelettregionen (zum Beispiel Calcaneus, Tibia, Patella, Phalangen) zum Einsatz kommen. Für die meisten dieser Geräte liegen derzeit noch keine gesicherten Referenzkollektive vor, ganz zu schweigen von Studien zum Therapieverlauf. Wir halten es deshalb zum jetzigen Zeitpunkt keinesfalls bereits für gerechtfertigt, die Ultraschallmethoden gleichwertig in der Diagnose der Osteoporose mit seit mehr als zehn Jahren etablierten DXA- oder QCT-Verfahren, zu nennen. Dies gilt erst recht für Therapieverlaufskontrollen, denn was nützt ein diagnostisches Verfahren, wenn nach eingeleiteter Therapie eine Erfolgskontrolle nicht möglich ist.
Zusammenfassend ist zum jetzigen Zeitpunkt für die Diagnose einer Osteoporose der T-Wert entscheidend, die Therapie richtet sich nach dem klinischen Gesamtbild und Therapieerfolgskontrollen sind mittels etablierten DXA- oder QCT-Verfahren möglichst am gleichen Meßgerät durchzuführen. Z-Werte sollten ähnlich wie Prozentwerte verlassen werden. Die Anwendung der Ultraschalltechnologie kann derzeit für die klinische Routine in der Osteologie noch nicht empfohlen werden.


Literatur bei den Verfassern


Dr. med. Michael Pfeifer
Dr. med. Wolfgang Pollähne
Prof. Dr. med. Helmut W. Minne
Klinik "Der Fürstenhof" und
Institut für klinische Osteologie
Am Hylligen Born 7
31812 Bad Pyrmont


Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote