ArchivDeutsches Ärzteblatt7/2015Asymptomatische Karotisstenosen: Eine verpasste Chance

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Asymptomatische Karotisstenosen: Eine verpasste Chance

Hacke, Werner; Ringleb, Peter; Jansen, Olav; Eckstein, Hans-Henning

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Das Ende der SPACE-2-Studie ist ein Hinweis für die fehlende Fähigkeit deutscher Zentren, akademische Studien ohne finanziellen Anreiz erfolgreich zu gestalten.

Vorbereitung einer Stentangioplastie. In einer 3-D-Simulation wird die passende Stentgröße bestimmt. Foto: Your Photo Today
Vorbereitung einer Stentangioplastie. In einer 3-D-Simulation wird die passende Stentgröße bestimmt. Foto: Your Photo Today

Die optimale Behandlung asymptomatischer arteriosklerotischer Abgangsstenosen der A. carotis interna ist umstritten (1, 2). Ältere Studien aus den 1990er Jahren belegten einen geringen Vorteil der Karotisendarteriektomie (CEA) gegenüber der damals üblichen medikamentösen Prävention (3), aber es ist unklar, ob dies auf die Stentangioplastie („carotid artery stenting“ bzw. CAS) übertragen werden kann (4). Ebenfalls offen bleibt die Frage, ob die Fortschritte in der medikamentösen Prävention (Stichworte: Statine und moderne Antihypertensiva) das Schlaganfallrisiko bei Karotisstenose so weit herabsetzen, dass eine Intervention (gleich ob CEA oder CAS) überhaupt noch einen präventiven Effekt hat (5).

Die SPACE-2-Studie ist eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Programms „Klinische Studien“ geförderte dreiarmige Studie (Bestmögliche medikamentöse Therapie vs. CEA vs. CAS, Randomisierung 1:2:2, ISRCTN 78592017), bei der zunächst überprüft werden sollte, ob eine konsequente konservative Therapie einer invasiven Therapie hinsichtlich der Prävention von Schlaganfällen gleichwertig ist. Sollte die invasive Therapie überlegen sein, wäre als sekundäre Analyse der Vergleich zwischen CEA und CAS gefolgt (6). Aufgrund der relativ geringen zu erwartenden Schlaganfallrate wurde diese Studie für mehr als 3000 Patienten und eine Mindestbeobachtungszeit von fünf Jahren geplant.

Unzureichende Rekrutierung

Aufgrund der zu langsamen Rekrutierung und der Schwierigkeit, an allen Studienzentren alle drei Therapieoptionen mit den nötigen Qualitätsvoraussetzungen vorzuhalten, wurde mit Zustimmung der DFG das dreiarmige Studiendesign in zwei parallel laufende Studien mit jeweils 1:1-Randomisierung (konservativ vs. CEA und konservativ vs. CAS) geändert (7, 8). Dieses Studiendesign wird auch in der jetzt beginnenden vom National Institute of Health (NIH) geförderten amerikanischen Partnerstudie CREST-2 eingesetzt, die sich eng mit der SPACE-Gruppe über das Studiendesign und geplante gemeinsame Analysen abgestimmt hatte.

Leider musste die SPACE-2 Studie nach fast fünf Jahren Studiendauer auf Empfehlung der DFG gestoppt werden, da auch die Änderung des Studiendesigns nicht zu der notwendigen Steigerung der Einschlusszahlen geführt hatte. Bis zum Studienabbruch waren trotz ständiger Versuche, die Rekrutierungszahlen zu steigern, nur 503 Patienten in 36 aktiven Studienzentren eingeschlossen worden.

Viele Patienten kämen infrage

Von der DFG wurde bestätigt, dass die SPACE-2-Fragestellung extrem wichtig sei, da geklärt werden müsse, ob bei Patienten mit höhergradigen asymptomatischen Karotisstenosen eine konsequente konservative Therapie CAS oder CEA ersetzen kann und, falls nicht, CAS der CEA nicht unterlegen ist. Es gibt auch ausreichend viele Patienten: Immerhin wurden 2013 in Deutschland 12 096 Patienten mit einer asymptomatischen Karotisstenose operiert und weitere 2 452 mit einem Stent behandelt. Auch in den Studienzentren werden genügend Patienten gesehen, die für diese Studie infrage kämen. Die drei Zentren mit den höchsten Patienteneinschlüssen hatten zwischen 50 und 100 Patienten. Wären diese Rekrutierungszahlen die Regel gewesen, müsste hier nicht über den Abbruch der Studie berichtet werden .

Ein wichtiger Grund dafür, dass für SPACE-2 – trotz vieler Patienten – dennoch so schlecht rekrutiert wurde, besteht darin, dass hierzulande viele potenzielle Studienpatienten mit dem Zufallsbefund einer asymptomatischen Karotisstenose in operative oder interventionelle Abteilungen eingewiesen werden. Gefäßchirurgen, (Neuro-)Radiologen und Kardiologen bestätigen, dass es sehr schwer ist, Patienten, die schon auf eine bestimmte Intervention gebahnt sind, davon zu überzeugen, besser an einer randomisierten Studie teilzunehmen, bei der es auch einen konservativen Arm gibt. Auch wird befürchtet, Zuweiser zu verärgern, wenn man nicht den erbetenen Eingriff durchführt, sondern dem Patienten erläutert, dass eine klinische Studie erst die Wirksamkeit der angeforderten Therapie beweisen müsse. Im Einzelfall könnten auch finanzielle Aspekte ausschlaggebend gewesen sein.

Immerhin werden im DRG-System Operationen und kathetergestützte Interventionen an der Halsschlagader mit einem Betrag von circa 6 000 Euro vergütet. Da inzwischen bei allen Kliniken inklusive den Universitätskliniken die wirtschaftlichen Zwänge erheblich sind, werden gerade von den operativen und interventionell tätigen Abteilungen jährliche Leistungssteigerungen erwartet. Studienpatienten, die in den konservativen Behandlungsarm randomisiert wurden, sind für die Leistungstatistik der invasiven Therapeuten und somit auch für das Krankenhausbudget verloren.

Koloriertes Angiogramm der linken Arteria carotis (gelb) bei einem 56 Jahre alten Patienten. Foto: picture alliance
Koloriertes Angiogramm der linken Arteria carotis (gelb) bei einem 56 Jahre alten Patienten. Foto: picture alliance

Fehlende Anreize für Studie

Dass dies auch ganz anders gehen kann, beweist die gerade veröffentlichte niederländische MR-CLEAN-
Studie zur endovaskulären mechanischen Thrombektomie bei akutem Schlaganfall. In Holland wurde die interventionelle Therapie der Thrombektomie nur dann bezahlt, wenn sie im Rahmen dieser randomisierten Studie durchgeführt wurde. Das Ergebnis war, dass innerhalb von nur drei Jahren 500 Patienten in diese randomisierte Studie eingeschlossen werden konnten und dadurch die evidenzbasierte Überlegenheit der Thrombektomie nachgewiesen wurde (9). In den USA wird die kathetergestützte Therapie von asymptomatischen Karotisstenosen derzeit nur bei Teilnahme an der CREST-2-Studie vergütet (10). Ein derartiger Anreiz hätte ganz sicher auch an deutschen akademischen Zentren zu einer ausreichend schnellen Rekrutierung für die SPACE-2- Studie geführt.

Das Scheitern von SPACE-2 bedeutet auch einen Rückschlag für die Kultur akademischer klinischer Studien und die Implementierung einer evidenzbasierten Medizin in Deutschland. Dies ist mehr als bedauerlich, da gerade in den letzten Jahren einige deutsche neurovaskuläre Studien international hoch beachtet publiziert wurden und aufgrund ihrer klaren Ergebnisse in entsprechende Leitlinien Einzug genommen haben. So wurde zum Beispiel SPACE-1, trotz minimaler finanzieller Förderung, als erste von vier großen internationalen randomisierten Studien zum Vergleich von CEA und CAS bei symptomatischen Karotisstenosen im LANCET publiziert (11). Weitere Beispiele sind DESTINY (12) und die ebenfalls DFG-geförderte DESTINY-II-Studie (13), die dazu geführt haben, die Hemikraniektomie als lebensrettende Maßnahme bei raumforderndem Mediainfarkt zu etablieren.

Umdenken ist notwendig

Das traurige Ende von SPACE-2 ist somit auch ein Hinweis für die fehlende Fähigkeit großer deutscher Zentren, akademische Studien ohne finanziellen Anreiz erfolgreich zu gestalten, besonders wenn es um Medizinprodukte oder Interventionen geht, die trotz ausstehendem Beweis ihrer Wirksamkeit in unserem Gesundheitssystem großzügig bezahlt werden. Klinische Studien scheinen nur dann attraktiv, wenn die Industrie teuer dafür bezahlt. Wenn das, wie bei Medizinprodukten, nicht nötig ist, dann ist die Motivation gering.

Wir sollten aufhören, nach außen nach wissenschaftlichen Beweisen zu rufen, wenn wir nach innen nicht bereit, willens und möglicherweise auch nicht fähig sind, diese Beweise durch methodisch hochwertige saubere Studien zu erbringen. Darüber hinaus ist eine Änderung der Rahmenbedingungen notwendig. Klinische Forschung mit ausreichend großen Patientenkollektiven kann nicht funktionieren, wenn ökonomische Fehlanreize und ein unzureichendes akademisches Selbstverständnis die Wahl einer möglicherweise unzureichend abgesicherten Therapie bestimmen. So gesehen sind auch die in dem aktuell diskutierten GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vorgesehenen Erprobungsrichtlinien für Medizinprodukte der Klassen IIB und III ein Schritt in die richtige Richtung.

Prof. Dr. Werner Hacke

Prof. Dr. med. Peter Ringleb

Neurologische Universitätsklinik Heidelberg

Prof. Dr. med. Olav Jansen

Klinik für Radiologie und Neuroradiologie,
Universitätsklinikum Kiel

Prof. Dr. med. Hans-Henning Eckstein

Klinik für Vaskuläre und Endovaskuläre Chirurgie, Klinikum rechts der Isar, TU München

@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0715
oder über QR-Code

1.
Eckstein HH, Kühnl A, et al.: Clinical Prac-tice Guideline: The diagnosis, treatment and follow-up of extracranial carotid stenosis — a multidisciplinary German-Austrian guideline based on evidence and consensus. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(27-28): 468–76. VOLLTEXT
2.
Ringleb P, Berkefeld J, Eckstein HH: S3-Leitlinie extracranielle Carotisstenose; Kapitel 8.2: Wann und zu welchem Zeitpunkt besteht die Indikation zur Operation oder zur Intervention einer asymptomatischen/symptomatischen Stenose? Gefäßchirurgie 2012; 17: 522–42. CrossRef
3.
Halliday A, Harrison M, et al.: 10-year stroke prevention after successful carotid endarterectomy for asymptomatic stenosis (ACST-1): a multicentre randomised trial. Lancet 2010; 376: 1074–84. CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.
Bulbulia R, Halliday: ACST-2-an update. A large, simple randomised trial to compare carotid endarterectomy versus carotid artery stenting to prevent stroke in asymptomatic patients. Gefäßchirurgie 2013; 18: 626–32. CrossRef
5.
Kennedy F, Featherstone RL, Brown MM: Current status of ECST-2. Gefäßchirurgie 2013; 18: 633–7. CrossRef
6.
Reiff T, Stingele R, et al.: Stent-protected angioplasty in asymptomatic carotid artery stenosis vs. endarterectomy: SPACE2 – a three-arm randomised-controlled clinical trial. Int J Stroke 2009; 4: 294–9. CrossRef MEDLINE
7.
Reiff T, Eckstein HH, et al.: Therapie asymptomatischer Karotisstenosen. Gefäßchirurgie 2013; 18: 621–5. CrossRef
8.
Reiff T, Eckstein HH, et al.: Modification of SPACE-2 study design. Int J Stroke 2014; 9: E12–3. CrossRef MEDLINE
9.
Berkhemer OA, Fransen PSS, et al.: A Randomized Trial of Intraarterial Treatment for Acute Ischemic Stroke. NEJM 2014; 371: early online at 18. December 2014. MEDLINE
10.
www.cms.gov/Medicare/Medicare-General-Information/MedicareApprovedFacilitie/Carotid-Artery-Stenting-CAS-Investigational-Studies.html.
11.
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12.
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13.
Jüttler E, Unterberg A, et al.: Hemicraniectomy in older patients with extensive middle-cerebral-artery stroke. N Engl J Med 2014; 370: 1091–100. CrossRef MEDLINE
1. Eckstein HH, Kühnl A, et al.: Clinical Prac-tice Guideline: The diagnosis, treatment and follow-up of extracranial carotid stenosis — a multidisciplinary German-Austrian guideline based on evidence and consensus. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(27-28): 468–76. VOLLTEXT
2. Ringleb P, Berkefeld J, Eckstein HH: S3-Leitlinie extracranielle Carotisstenose; Kapitel 8.2: Wann und zu welchem Zeitpunkt besteht die Indikation zur Operation oder zur Intervention einer asymptomatischen/symptomatischen Stenose? Gefäßchirurgie 2012; 17: 522–42. CrossRef
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