ÄRZTESTELLEN
Personalmangel im Krankenhaus: Arbeiten auf dem Pulverfass


Krankenhausträger haben es letztlich selbst in der Hand, Ärzte nicht zu zwingen, zwischen der Gefährdung von Patienten und der Gefährdung der eigenen Anstellung abwägen zu müssen.
Ein Arzt ohne Intubationserfahrung arbeitet auf der Intensivstation, ein Assistenzarzt operiert, ohne dass ein Facharzt in Rufweite ist – in deutschen Krankenhäusern ist das nicht ausgeschlossen. Immer wieder stehen betroffene Ärztinnen und Ärzte in Situationen wie diesen vor der Frage: Nehme ich das Risiko in Kauf, einen Patienten zu gefährden, oder verweigere ich die Arbeit und gefährde dadurch meine Anstellung?
Strafbarkeit wegen Körperverletzung oder Tötung
Aus Gesetz und Vertrag ergibt sich für Ärzte die rechtliche Pflicht, eine Gefährdung der Patienten zu vermeiden. So macht sich ein Arzt unter Umständen strafbar wegen (versuchter) Körperverletzung oder Tötung, wenn er sich mit diesen ernsthaft für möglich gehaltenen Folgen abfindet, um seine eigenen wirtschaftlichen Ziele nicht zu gefährden (bedingter Vorsatz). Praktische Relevanz haben jene Fälle, in denen ein Patient zu Schaden gekommen oder verstorben ist.
In der Regel steht dann der behandelnde Arzt im Fokus, zum Beispiel der Assistenzarzt, der trotz Unsicherheit operiert hat, ohne dass der Facharzt in Rufweite war. Der Vorwurf: Übernahmeverschulden und bedingt vorsätzliche Körperverletzung oder Tötung. Dass der Arzt gegebenenfalls so gehandelt hat und auch die ihm übergeordneten Ärzte, weil es in der Klinik einen von der Geschäftsführung verursachten Personalmangel gibt, wird als Rechtfertigung oder Entschuldigung grundsätzlich nicht akzeptiert, auch wenn dieser Personalmangel die betroffenen Ärzte in eine Situation gebracht hat, in der sie sich zwischen der Gefährdung des Patienten und der Gefährdung der eigenen Anstellung entscheiden mussten.
Zivilrechtlicher Schadensersatz und Schmerzensgeld
Was folgt, ist des Weiteren die Auseinandersetzung über zivilrechtlichen Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verstoßes gegen den vertraglich und deliktsrechtlich (§§ 630 a Abs. 2, 823 BGB) geschuldeten Standard. Zudem drohen gegebenenfalls berufsrechtliche Sanktionen und arbeitsrechtliche Konsequenzen.
Die Gefährdung der eigenen Anstellung ist gleichwohl weniger rechtlicher als faktischer Natur. Wenn die Patientengefährdung eindeutig ist, so kann der Krankenhausträger den Arzt wegen Mitwirkungsverweigerung grundsätzlich weder wirksam abmahnen noch wirksam kündigen. Denn kein Arbeitsrichter würde in einem Kündigungsschutzprozess eine arbeitsrechtliche Pflicht zur Patientengefährdung feststellen. In vielen Fällen ist aber nicht vorhersehbar, wie die Antwort eines Sachverständigen auf die Frage ausfällt, ob eine Patientengefährdung vorlag. Zudem kann ein Kündigungsschutzprozess dazu führen, dass das Arbeitsverhältnis wegen „Zerrüttung“ gegen Abfindung gerichtlich aufgelöst wird.
Maßnahmen gegen den „zimperlichen“ Arzt
Selbst wenn sich das rechtliche Risiko nicht realisiert, dürfte die (wiederholte) Verweigerung des Arztes aber insbesondere den Personalaufwand erhöhen – und somit einen wirtschaftlichen Aufwand nach sich ziehen. Aus diesem Grund ist nicht auszuschließen, dass die Geschäftsführung der Angelegenheit aus wirtschaftlichen Motiven nicht auf den Grund geht, sondern im Fall des vermeintlich „zimperlichen“ Arztes andere Maßnahmen ergreift. So könnte sie zum Beispiel dessen befristeten Arbeitsvertrag nicht verlängern, den nächsten tragfähigeren Abmahnungs- oder Kündigungsgrund aufgreifen oder andere taktische Maßnahmen, etwa einen Beförderungsstopp, durchsetzen.
Wenn ein Arzt sich also weigert, an einer aus seiner Sicht drohenden oder bestehenden Patientengefährdung mitzuwirken, ist seine Anstellung zumindest faktisch gefährdet. Aus diesem Grund sollten Betroffene solchen Verweigerungen gegenüber Zurückhaltung walten lassen.
Grundsätzlich hat der Krankenhausträger das erforderliche Personal vorzuhalten. Daneben haftet nach neuester Rechtsprechung wegen Organisationsverschuldens gegebenenfalls auch die Geschäftsführung persönlich (Landgericht Mainz, Urteil vom 9. April 2014, Az.: 2 O 266/11, nicht rechtskräftig). Aus diesen Gründen liegt es aus Sicht der Geschäftsführung nahe, die Personaldichte einmal wirtschaftlich-statistisch festzulegen und sich danach mangels Meldungen im Zustand der „Gutgläubigkeit“ zu wiegen, wenn es um tatsächliche Personalengpässe geht.
Vieles spricht daher dafür, die Geschäftsführung über die tatsächlichen Verhältnisse in der Abteilung nachweislich ständig zu informieren – idealerweise, bevor es zu Patientengefährdungen kommt. Die Geschäftsführung wäre dann „bösgläubig“, wenn sie trotz Meldung nichts unternimmt und Patienten gefährdet werden. Dann hätte sie selbst mit rechtlichen Sanktionen zu rechnen. (Chef-)Ärztinnen und (Chef-)Ärzte sollten ernsthaft in Erwägung ziehen, der unmittelbar übergeordneten Stelle, Arzt oder Geschäftsführung, eine drohende Patientengefährdung nachweisbar zu melden, gegebenenfalls über den Betriebsrat. Eine auf den Einzelfall zugeschnittene, vorherige juristische Konsultation ist absolut ratsam, um Nachteile zu vermeiden.
Öffentliche Wirkung einer Kündigungsschutzklage
Entsteht gleichwohl eine Situation, in der zum Beispiel infolge von Personalengpässen ein Arzt tätig werden soll, dessen Qualifikation für die besagte Tätigkeit (noch) nicht ausreicht, muss der Betroffene die Patientengefährdung einschätzen. Der bösgläubige Krankenhausträger wird wohl in den meisten Fällen, in denen der Arzt erstmalig eine Patientengefährdung verweigert, allenfalls eine Abmahnung aussprechen. Diese würde zur Personalakte genommen. Darauf sollte der betroffene Arzt mit einer juristisch formulierten Gegendarstellung reagieren, die ebenfalls in die Personalakte zu nehmen ist.
Betroffene Ärzte müssen sich je nach Gefährdungspotenzial in Anbetracht der eigenen Straf- und Haftungsrisiken jedoch weitergehend fragen, ob sie auf dem Pulverfass „Personalmangel“ arbeiten wollen. Im jeweiligen Einzelfall können gute Argumente dafür sprechen, durch eine möglichst frühzeitige, nachweisbare Meldung und äußerstenfalls eine Verweigerung nicht nur das eigene rechtliche Risiko zu minimieren, sondern auch die Gefahr für die Patienten.
Eines indes ist sicher: Krankenhausträger wie auch Rechtsanwälte wissen um die öffentliche Wirkung einer derartigen Kündigungsschutzklage vor dem örtlichen Arbeitsgericht. Letztlich haben es die Krankenhausträger selbst in der Hand, Ärzte nicht dazu zu zwingen, zwischen der Gefährdung von Patienten und der Gefährdung der eigenen Anstellung abzuwägen.
Dr. iur. Christoph Osmialowski
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei ArztMedizinRecht, Mannheim
Pistner, Hans