ArchivDeutsches Ärzteblatt17/2015Gesetzentwurf Korruption im Gesundheitswesen: Es fehlt Klarheit für den ärztlichen Alltag

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Gesetzentwurf Korruption im Gesundheitswesen: Es fehlt Klarheit für den ärztlichen Alltag

Rieser, Sabine

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Dass echte Korruption im Gesundheitswesen geahndet werden soll, findet inzwischen viel Zustimmung. Doch am Entwurf kritisieren Experten, dass er Ärztinnen und Ärzte im Unklaren darüber lässt, wodurch sie sich konkret strafbar machen könnten – und so Kooperationen gefährdet.

Foto: Fotolia Gerhard Seybert
Foto: Fotolia Gerhard Seybert

Schon lange haben Anwendungsbeobachtungen (AWB) keinen guten Ruf. „Anhaltspunkte dafür, dass es eher um Absatz als um Erkenntnisgewinn geht, sind besonders hohe Teilnehmerzahlen, ungewöhnlich hohe Vergütungen, Studien zu längst eingeführten und gut erprobten Produkten oder mehrere unterschiedliche, einander jedoch sehr ähnliche AWB zum selben Produkt.“ Das schrieb der damalige Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Carl-Heinz Müller, im Jahr 2009 in einem Beitrag für das Deutsche Ärzteblatt, in dem er mehr Transparenz und Wissenschaftlichkeit bei dieser Sorte von Studien einforderte.

In den letzten Jahren waren Anwendungsbeobachtungen kein großer Aufreger mehr. Doch zuletzt sind sie durch den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen wieder ein Thema geworden. Durch die Teilnahme an vergüteten AWB können Ärztinnen und Ärzte in Konflikt mit ihrer Berufsordnung gelangen und zukünftig auch unter Korruptionsverdacht.

Nur: Durch welches Verhalten genau? „Sehr dünn“ seien die Ausführungen dazu, ob Einladungen zu Kongressreisen oder die Teilnahme an vergüteten AWB zu den unerlaubten Vorteilen im neuen Strafrechtsparagrafen 299 a zählen werden, kritisiert der Marburger Bund (MB) in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Zwar wird in diesem klargestellt, dass erst die Kombination aus Fehlverhalten und Vorteilsnahme zu einem strafrechtlich wirksamen Tatbestand führen soll. Schon angesichts der wenig konkreten Ausführungen zu AWB und Kongressreisen fürchtet der MB aber: „Nicht nur den betroffenen Ärzten, sondern auch den Gerichten dürfte es schwerfallen, hier zwischen unlauterer und lauterer Zusammenarbeit zu unterscheiden.“

Gefährdungen erfassen – ohne eine Rechtsberatung

Die Ärztegewerkschaft verlangt deshalb mehr Klarheit: „Nicht nur Juristen, sondern auch die Akteure im Gesundheitswesen selbst müssen einschätzen können, ob sie sich mit einer bestimmten Verhaltensweise strafbar machen können oder nicht – und dies, ohne sich in jedem Einzelfall vorher rechtlich beraten zu lassen.“

Zudem erhöhe die neue Rechtslage das Strafbarkeitsrisiko für Krankenhausärzte, so der MB: „Sie könnten durch ein- und dieselbe Handlung gleich mehrere Tatbestände parallel erfüllen. Die Gewerkschaft warnt deshalb vor einer möglichen Ungleichstellung ambulanter und stationärer Ärzte und fordert, Vorteilsnahme und -gewährung einheitlich zu unterbinden.

Auch Bundesärztekammer (BÄK) und KBV begrüßen mittlerweile grundsätzlich das Gesetzesvorhaben, kritisieren aber ebenso die Unbestimmtheit vieler Regelungen. Schon Anfang des Jahres hatte BÄK-Präsident Prof. Dr. med. Frank-Ulrich Montgomery in einer ersten Bewertung des Referentenentwurfs klargestellt: „Wir wollten ein Anti-Korruptionsgesetz, das für alle im Gesundheitswesen gilt – keine lex specialis nur für Ärzte.“ Allerdings seien „klare und präzise Vorgaben, die strafwürdiges Verhalten eindeutig von zulässigen Kooperationen im Gesundheitswesen abgrenzen“, wichtig.

Doch daran mangelt es im derzeit diskutierten Entwurf nach Ansicht der BÄK, wie aus ihrer detaillierten Stellungnahme hervorgeht. Eine weitere Folge neben der Unsicherheit für den einzelnen Arzt: „Damit besteht die Gefahr, dass sektorenübergreifende Zusammenarbeit staatsanwaltliche Ermittlungen nach sich zieht.“ Diese Sorge teilt die KBV. Sie verlangt, dass ein grundsätzlicher Straftatbestand „mit entsprechenden Vorbehalten zur Sicherung kooperativer und integrativer Verfahrensweisen versehen werden“ solle. Dazu könnte man ihrer Meinung nach einen Katalog mit Beispielen für zu tolerierende Kooperationen einfügen. Denn schließlich seien viele Formen der Zusammenarbeit unter Ärzten oder mit Dritten nach dem Sozialgesetzbuch V nicht nur zulässig, sondern sogar erwünscht.

Gleiche Strafe für gleiche Fallkonstellationen

Für einen Fehler halten BÄK wie KBV die Formulierung, wonach ein Arzt neben den aufgeführten Tatbeständen auch „in sonstiger Weise seine Berufsausübungspflichten“ verletzen könne. Eine solche Formulierung verletze den Bestimmtheitsgrundsatz, so der Einwand der BÄK. Eine derart vage Vorgabe führt aus ihrer Sicht dazu, dass derjenige, der sie umsetzen soll, gar nicht vorhersehen kann, „welches Verhalten bei Strafe verboten ist, und es ist ihm demnach nicht möglich, sein Handeln an einer bestimmten Verhaltenserwartung auszurichten“. Die KBV befürchtet, dass am Ende „jeder berufsrechtliche Verstoß als Verstoß gegen das Strafrecht erscheinen könnte“.

Angreifbar ist aus Sicht der BÄK auch, wie der Personenkreis eingegrenzt wird, für den das neue Korruptionsverbot gelten soll. So würden „insbesondere Geschäftsinhaber zum Beispiel von Privatkliniken und Pflegeheimen oder bestimmte Entscheidungsträger in Einrichtungen des Gesundheitswesens, die zum Beispiel über die Hilfsmittelbeschaffung entscheiden“, nicht erfasst. Eine Strafandrohung müsse aber alle vergleichbaren Fallkonstellationen erfassen. Empfohlen wird deshalb, sowohl „Nehmerseite“ wie „Geberseite“ abstrakter zu benennen, so durch einen allgemeinen Hinweis auf die Berufsausübung im Gesundheitswesen.

Kritisch setzt sich die BÄK auch damit auseinander, wer berechtigt sein soll, Strafanzeige wegen korruptiven Verhaltens zu stellen. Bedenklich erscheine beispielsweise das Antragsrecht von gesetzlichen und privaten Kranken- und Pflegekassen, unabhängig vom Willen des Verletzten. Die Warnung der Kammer: „In vielen Fällen dürfte die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Ärzte … ergebnislos verlaufen, weil sich der Anfangsverdacht nicht bestätigt. Ungeachtet eines erheblichen Mehraufwands für die Strafjustiz werden gleichwohl eintretende Folgen, zum Beispiel die Rufschädigung eines Arztes, der verhinderte Zugriff auf Patientenakten über einen längeren Zeitraum, damit verbundene Vertrauenseinbußen bei den Patienten und so weiter, erhebliche negative Auswirkungen haben.“

Kritische Anmerkungen zur Umsetzbarkeit des Anti-Korruptionsvorhabens sowie zu möglicherweise unbeabsichtigten Folgen gab es auch beim jüngsten Symposium der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht e.V. Mitte April in Berlin. Rüdiger Weidhaas, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Strafrecht, erläuterte anhand mehrerer Urteile, weshalb Ärzte aus seiner Sicht schon bislang zu Unrecht unter Untreue- oder Betrugsverdacht geraten sind.

Der Jurist verwies darauf, dass Vertragsärzten als Reaktion auf formale Verstöße bei der Abrechnung das Honorar gekürzt werde. Vor Gericht werde dies aber teilweise als Falschabrechnung und damit Betrug gewertet. Weil er Ärzte schon heute als eine bei vielen Staatsanwälten diskreditierte Berufsgruppe ansieht, erwartet Weidhaas für die Anwendung des Anti-Korruptionsgesetzes nichts Gutes. Nicht alle Staatsanwälte seien besonnen, Verfahren könnten sich zum Schaden der Ärzte hinziehen, gab er zu bedenken. Vermutlich werde die Politik auch mit diesem Gesetz „Freifeldforschung“ betreiben: Man lasse es eine Zeit lang laufen, beobachte die Wirkungen und tariere dann erst nach.

Beratung der Ärztekammern könnte Mitglieder schützen

Dr. jur. Karsten Scholz, Justiziar der Ärztekammer Niedersachsen, ging der Frage nach, ob und wie es den Kammern gelingen könnte, für ihre Mitglieder Rechtssicherheit zu schaffen. Der (Muster-)Berufsordnung zufolge sollen Ärztinnen und Ärzte schon heute Verträge, die sich auf Kooperationen beziehen, ihrer Kammer vorlegen, damit diese prüfen kann, ob die berufsrechtlichen Belange gewahrt bleiben. Vorstellbar ist für Scholz, dass die Kammern Ärzte in Zukunft noch intensiver beraten und durch verbindliche Auskünfte dazu beitragen, sie so von vornherein vor dem Verdacht korruptiven Verhaltens zu bewahren.

Dies wäre nach Ansicht von Scholz allerdings eine anspruchsvolle, umfangreiche Aufgabe. Den Betroffenen müsse zudem klar sein, dass sich positive Äußerungen zu Vertragskonstellationen nur auf die vorgelegten Unterlagen beziehen könnten – nicht auf abweichend „gelebte“ Konstellationen.

Sabine Rieser

@Stellungnahmen von BÄK, KBV, MB im Internet: www.aerzteblatt.de/15758

WAS DER ENTWURF VORSIEHT

Vorgesehen ist, einen neuen Paragrafen 299 a ins Strafgesetzbuch einzufügen, der Bestechung oder Bestechlichkeit im Gesundheitswesen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe ahndet. Unter Strafe gestellt werden soll damit korruptives Verhalten bei „dem Bezug, der Verordnung oder der Abgabe von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten oder bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial“. Die Strafandrohung gilt für Heilberufler wie für all jene, die ihnen unzulässige Vorteile versprechen.

§ 300 sieht vor, dass besonders schwere Fälle mit Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren geahndet werden. Damit sind Vergehen gemeint, die sich „auf einen Vorteil großen Ausmaßes“ beziehen oder auf Täter, die „gewerbsmäßig handeln oder als Mitglied einer Bande“. Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen sollen auf Antrag und bei besonderem öffentlichen Interesse an dem Fall verfolgt werden.

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