THEMEN DER ZEIT
Geschichte ärztlicher Organisationen: Blick auf die NS-Vergangenheit


Die Landesärztekammer Hessen und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin machen sich mit ambitionierten Projekten an die Vergangenheitsbewältigung.
Der historische Bogen ist weit gespannt: In einem von der Landesärztekammer Hessen in Auftrag gegebenen Projekt soll die Entwicklung seit 1876, als ihre erste Vorläuferorganisation gegründet wurde, bis zum Arbeitsbeginn der heutigen Landesärztekammer im Jahr 1956 durchleuchtet werden. Ein Forschungsschwerpunkt befasst sich mit der Ärztekammer in der Zeit des Nationalsozialismus und der ärztlichen Selbstverwaltung in den Nachkriegsjahren. Als Zwischenbericht stellte die Forschergruppe am 21. April in Frankfurt/Main erste Arbeitsergebnisse des auf zwei Jahre angelegten Projekts vor.
Reibungslose Machtübergabe
Der Präsident der Ärztekammer, Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, betonte anlässlich der Präsentation, dass man sich in Hessen als erste Landesärztekammer überhaupt in Form eines historischen Forschungsprojekts mit der eigenen Geschichte auseinandersetze. Gerade die Fokussierung auf die NS-Zeit biete die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Die vorliegenden Forschungsergebnisse zur Entwicklung nach 1933 zeigten, dass „wir als freier Beruf immer wieder sensibel überprüfen müssen, inwieweit von außerhalb in das ärztliche Handeln eingegriffen wird“. Als aktuelle Beispiele, wo diese Gefahr möglicherweise drohe, nannte der Kammerpräsident ökonomische Vorgaben für die ärztliche Versorgung, den Umgang mit ärztlicher Schweigepflicht oder mit Sterbehilfe.
Der wissenschaftliche Leiter des Forschungsprojekts, Prof. Dr. phil Benno Hafeneger, Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg, betonte, dass bei der Ärztekammer Hessen der Machtübergang 1933 an die Nationalsozialisten wie in vielen anderen Organisationen reibungslos verlief. Man könne von einer Machtübergabe an die Akteure des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB) sprechen; dessen Mitglieder übernahmen in kürzester Zeit sämtliche Funktionen in der Ärztekammer. Für die Nationalsozialisten hatten die Ärzte als Funktionselite, als Volkserzieher eine tragende Rolle bei der Durchsetzung der NS-Ideologie. Diesem von der NS-Führung zugewiesenen hohen Stellenwert entsprach bei den Ärzten eine extrem hohe NSDAP-Zugehörigkeit. Die mit der Reichsärztekartei für das Jahr 1944 vorliegenden Daten zeigen, dass 53,2 Prozent der hessischen Ärzte der NSDAP angehörten, zählt man die NSDAP-Anwärter hinzu, kommt man auf 61 Prozent (NSDÄB: 38,1%, SA: 26,1%, SS: 5,4%).
Auch dass es den viel beschworenen Neuanfang nach 1945 personell kaum gegeben hat, macht bereits der Zwischenbericht zur Geschichte der Ärztekammer deutlich. Die frühe Entschlossenheit der US-Militärregierung, alle durch NSDAP-Mitgliedschaft belasteten Personen aus dem öffentlichen Leben zu entfernen, kollidierte im Gesundheitswesen bereits schnell mit der Notwendigkeit, die ärztliche Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Nur schwerst belasteten Vertretern des NS-Regimes wurde dauerhaft die ärztliche Berufsausübung untersagt.
Ausstellung zum Internistentag
Auch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) hat vor zwei Jahren Historiker damit beauftragt, die Geschichte der Fachgesellschaft in der NS-Zeit näher unter die Lupe zu nehmen. Erste Ergebnisse zeigte eine Ausstellung, die der Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, am 19. April gemeinsam mit dem DGIM-Vorsitzenden, Prof. Dr. med. Michael Hallek, in Mannheim auf dem 121. Internistenkongress eröffnete. „Die Ergebnisse dieser Aufarbeitung haben mich erschüttert“, beschreibt Hallek seine Eindrücke. „Wir Internisten haben uns in dieser Zeit nicht unterschieden vom Rest der Bevölkerung – und das, obwohl wir unseren Beruf mit hohem ethischen Anspruch erfüllen“, so der Direktor der Klinik für Innere Medizin der Universität Köln. Bis zum Jahr 2018 soll eine abschließende wissenschaftliche Monografie vorliegen, die sich auch mit den Kontinuitäten nach 1945 befassen soll.
Thomas Gerst
Freudenberg, Michael
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