MEDIZINREPORT
Cimikose: Bettwanzen – Weltweit auf dem Vormarsch
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Vor 30 Jahren waren Bettwanzen fast ausgestorben, derzeit verbreiten sich die hämatophagen Ektoparasiten als Folge von Globalisierung und Resistenzen gegen Insektizide rasant.
Die zur Familie der Plattwanzen (Cimicidae) gehörenden Bettwanzen (Cimex lectularius) haben sich im Laufe der Evolution hervorragend an ihre Lebensumstände angepasst: die Flügel haben sie verloren, die Augen sind verkümmert und die oval-flache Form erlaubt ein Verstecken in engen Ritzen („Tapetenflunder“). Die Adulten ähneln in Größe, Form und Farbe einem Apfelkern; sie sind dunkelbraun und nüchtern vier bis fünf Millimeter lang; vollgesogen können sie bis neun Millimeter groß sein.
Neben den Adulten benötigen fünf kleinere und hellere Juvenilstadien immer eine Blutmahlzeit, bevor sie sich häuten können. Bettwanzen sind hämatophage Ektoparasiten. Ihr Hauptwirt ist der Mensch, aber Haustiere, Nager und Geflügel können durchaus als Nebenwirte fungieren. Zwar können Bettwanzen nicht fliegen, sie bewegen sich aber recht rasch „zu Fuß“ fort.
Vor Jahrzehnten wurden Bettwanzen vor allem in Touristenzentren und Massenunterkünften angetroffen. Heutzutage haben sie vielfältige Habitate erobert: man findet sie nicht nur in Studentenheimen, Krankenhäusern und Seniorenheimen, sondern auch in Zügen, Bussen und Kreuzfahrtschiffen. Selbst in der Luft ist man nicht sicher: nicht nur „einige“ Flugzeuge sollen betroffen sein, berichtet man in Fachkreisen.
Während der letzten zehn Jahre wurde auch ein sehr starker Anstieg in Ferienwohnungen und privaten Haushalten beobachtet, denn denn sie reisen als blinde Passagiere im Gepäck. Eine sehr starke Zunahme wird auch von Schädlingsbekämpfern berichtet. Genaue Zahlen zum Vorkommen gibt es aber nicht, da keine Meldepflicht besteht. Wegen des Stigma wird auch eine hohe Dunkelziffer vermutet.
Tagsüber ziehen sich die nachtaktiven Bettwanzen tief in Ritzen von Bettgestellen, Dielen und Möbeln oder hinter Tapeten und Fußbodenleisten zurück. Hier können sie mehrere hundert Eier legen. Reste von Häutungen sowie schwarze punktförmige Exkremente, zum Beispiel an Matratzen, deuten auf einen Befall hin. Nachts werden sie durch Körperwärme und -ausdünstungen (CO2) eines potenziellen Wirtes angelockt, von dem sie alle drei bis fünf Tage eine Blutmahlzeit einnehmen.
Allerdings können die adulten Wanzen auch Hungerperioden bis zu acht Monaten überstehen. Ist der Wirt gefunden, saugen sie zwischen fünf bis zehn Minuten, wobei sie oft mehrmals zustechen, da sie nicht immer ein Gefäß treffen. So können ganze „Wanzenstraßen“ entstehen, die Stiche können aber auch ungleichmäßig gruppiert zusammenstehen. Da die Kontaktzeit zum Wirt während einer Blutmahlzeit recht lange dauert, wurde oft spekuliert, ob Bettwanzen Krankheiten übertragen können. Mehr als 40 verschiedene Erreger wurden hier schon verdächtigt. Bis heute gibt es allerdings keine einzige nachgewiesene Infektion.
Die Mundwerkzeuge der nachtaktiven Bettwanzen sind besonders ausgebildet, um die menschliche Haut durchstechen zu können. Während des Saugaktes wird Speichel eingebracht, der nicht nur antikoagulierende, anästhesierende und hämolysierende Stoffe enthält, sondern auch sensibilisierende Proteine. So sorgt das Protein Nitrophorin für den Transport von Stickoxid in die Wunde, um dort durch lokale Vasodilatation für eine erhöhte Blutversorgung zu sorgen.
Die Diagnose einer Cimikose wird anamnestisch und klinisch gestellt. Am häufigsten betroffen sind Körperteile, die im Schlaf nicht bedeckt sind, also Arme, Schultern und Beine. Bei kleinen Kindern können auch Gesicht und sogar die Augenlider betroffen sein. Selten hingegen sind Achselhöhlen oder Kniebeugen betroffen, die oft von anderen Insekten und Zecken bevorzugt werden (eTabelle). Wegen der anästhesierenden Wirkung des Speichels werden die Bisse zunächst nicht bemerkt.
Erstmals gestochene Menschen weisen vielfach gruppierte Urtikae auf. Die Stichreaktion hängt deutlich vom Sensibilisierungsgrad ab. Beim wenig sensibilisierten Menschen findet man im Zentrum der ein bis zwei Zentimeter großen Quaddel einen kleinen hämorrhagischen Punkt. Dieser ist mittels Glasspateldruck meist gut sichtbar. Im Gegensatz dazu zeigt sich beim hoch Sensibilisierten eine hämorrhagisch veränderte Urtika, die auch bis zu 20 Zentimeter groß sein kann. Sind viele Bettwanzen vorhanden, kann sich ein ausgeprägtes urtikarielles Exanthem entwickeln.
Klinik: Ekzematöse Läsionen und Superinfektionen
An den Armen und Beinen kann es durch den orthostatischen Druck auch zur Bildung von Vesikulae und Bullae kommen. Im Verlauf kann es zu stark juckenden Papeln kommen, die über mehrere Tage persistieren können. Aufgrund des starken Pruritus sind ekzematöse Läsionen und Superinfektionen nicht ungewöhnlich; sie können von Fieber und einem Krankheitsgefühl begleitet sein.
Die Blutmahlzeiten von Bettwanzen können so ausgeprägt sein, dass bei schwerem chronischen Befall Betroffene Anämien entwickeln können. Es gibt einzelne Fallberichte über systemische Reaktionen wie anaphylaktische Reaktionen und Asthma.
Bei wiederholten Bettwanzenstichen tritt häufig auch eine Toleranz auf. Die klinische Symptomatik bezieht sich dann nur noch auf kleine Einstiche, die kaum mehr bemerkt werden. Kleine Blutflecken sind dann die einzigen Hinweise.
Da Reaktionen auf Stiche und Bisse von Arthropoden unspezifisch sind, gehören diese zu den häufigsten Fehldiagnosen. Besonders Stiche anderer Insekten wie von Mücken, Gelsen oder Flöhen können morphologisch recht ähnlich erscheinen. Es kommen aber auch Bisse und deren Begleitreaktionen anderer Epizoonosen differenzialdiagnostisch in Betracht (eTabelle). Auch histologisch ähneln sie sich durch perivaskuläre eosinophile Infiltrate der oberflächlichen und tiefen Dermis, wobei eine minimale Spongiose bestehen kann.
Weitere mögliche Verwechslungen bestehen mit allergischen Reaktionen, zum Beispiel gegen Nahrungsmittel. Auch kommen zum Beispiel Urtikaria, Windpocken, Prurigo simplex subacuta, Erythema exsudativum multiforme differentialdiagnostisch in Betracht. Insbesondere bei Kleinkindern kann die korrekte Diagnose erschwert sein.
Die Therapie der Cimikose erfolgt symptomatisch. Die Effloreszenzen werden mit lokalen Antipruriginosa, zum Beispiel Polidocanol, zwei bis vier Prozent in Lotio alba und antiseptischen Externa behandelt. Mentolspiritus kann auch hilfreich sein. Die lokale Behandlung mit Antihistaminika ist umstritten. Bei ausgeprägtem Bild erfolgt die Therapie kombiniert mit topischen Glucocorticoiden wie zum Beispiel Betamethason. Bei starkem Juckreiz empfiehlt sich die Einnahme von oralen Antihistaminika. Bei Superinfektion ist die Einnahme von Antibiotika empfehlenswert. Unkomplizierte Wanzenbisse verheilen in ein bis zwei Wochen.
Entscheidend für einen Therapieerfolg ist natürlich erst die Sanierung des Wohnumfeldes beziehungsweise der Räume. Bettwanzen haben einen typischen süßlich penetranten Geruch, der zum Beispiel beim Klopfen auf der Matratze bemerkt wird. Der Geruch entstammt den Stinkdrüsen, die ein Alarmsekret zur Abwehr von Feinden absondern können. So können zum Aufspüren von Bettwanzen auch speziell ausgebildete Spürhunde eingesetzt werden, die die Parasiten überall schnell ausfindig machen. Die Bekämpfung (mit Insektiziden) sollte unbedingt durch einen Experten durchgeführt werden. Sie dauert oft Monate und benötigt Erfahrung.
Wanzen vertragen weder niedrige noch hohe Temperaturen. Kleine Gegenstände wie Bilderrahmen, Bücher können in Folie verpackt und für zwei Tage bei minus 18° C tiefgefroren werden; dies tötet Wanzen und Eier ab. Auch eine Behandlung bei Temperaturen über 50–60° C ist erfolgreich. Matratzenbezüge und Bettzeug sollten bei mehr als 60° C gewaschen werden. Präventiv raten Experten vom Kauf gebrauchter Möbel und Matratzen ab.
International akzeptierte Standardmethode fehlt
Da ein Insektizid zwar Wanzen sicher abtöten soll, aber auch human- und umweltverträglich sein muss, gestaltet sich die Entwicklung geeigneter Mittel schwierig. So ist nachvollziehbar, dass es trotz der weltweiten Probleme noch immer keine international akzeptierte Standardmethode für einen Wirksamkeitsnachweis gibt. Die OECD hat daher jetzt die Entwicklung einer solchen Methode auf ihre Agenda gesetzt.
Dr. med. Sibylle Rahlenbeck
Consultant in Public Health, Berlin
Prof. Dr. Jochen Utikal
Dermato-Onkologie, Deutsches
Krebsforschungszentrum und
Universität Heidelberg
Dr. Stephen W. Doggett
Dep. Medical Entomology,
Westmead Hospital, Sydney,
Das Umweltbundesamt hat einen Ratgeber herausgegeben zum Thema „Bettwanzenbefall in der Wohnung – was tun?“ (http://umweltbundesamt.de/).
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1915
eTabelle im Internet:
www.aerzteblatt.de/15870
oder über QR-Code
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