ArchivDeutsches Ärzteblatt19/2015Körperbilder: Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553) – Das Wilde, Lasterhafte

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Körperbilder: Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553) – Das Wilde, Lasterhafte

Schuchart, Sabine

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Lucas Cranach d. Ä.: „Das Silberne Zeitalter (Streit der wilden Männer und die mütterliche Fürsorge)“, 1530, Mischtechnik auf Lindenholz, 56,7 x 38,5 cm: Dass es selbst im bilderfeindlichen Zeitalter der Reformation möglich war, Nacktheit in reizvoll expressiver Gestik und freier Natur darzustellen, zeigt Cranach mit dieser mythologischen Szene, die er zwischen 1527 und 1535 mehrfach malte. Diese besonders faszinierende Version aus dem Moskauer Puschkin-Museum ist derzeit in Gotha zu bewundern. Der Titel verweist auf eine Erzählung Hesiods über das Weltalter der Antike. Foto: Staatliches Museum für Bildende Künste A. S. Puschkin, Moskau
Lucas Cranach d. Ä.: „Das Silberne Zeitalter (Streit der wilden Männer und die mütterliche Fürsorge)“, 1530, Mischtechnik auf Lindenholz, 56,7 x 38,5 cm: Dass es selbst im bilderfeindlichen Zeitalter der Reformation möglich war, Nacktheit in reizvoll expressiver Gestik und freier Natur darzustellen, zeigt Cranach mit dieser mythologischen Szene, die er zwischen 1527 und 1535 mehrfach malte. Diese besonders faszinierende Version aus dem Moskauer Puschkin-Museum ist derzeit in Gotha zu bewundern. Der Titel verweist auf eine Erzählung Hesiods über das Weltalter der Antike. Foto: Staatliches Museum für Bildende Künste A. S. Puschkin, Moskau

Die Szene wirkt auf den heutigen, mit mittelalterlichen Mythen nicht vertrauten Betrachter rätselhaft. Auf einer Waldlichtung hat Cranach eine Gruppe nackter Menschen versammelt, die von Aussehen und Verhalten kaum gegensätzlicher sein könnten: Während zwei Männer links unten im Bild eine verzweifelte junge Frau mit Gewalt festhalten, strahlen die zwei Frauen mit ihren Kindern am rechten Bildrand unbeteiligte Grazie und Mütterlichkeit aus. Ihre alabasterfarben schimmernden, länglichen Leiber heben sich auffällig von den braunhäutigen, zottelig behaarten Körpern der Männer ab. Dazwischen liegt ein Mann, verletzt oder tot, am Boden. Ein weiterer „Wilder“, bereit, in die Fehde einzugreifen, nähert sich mit einer Keule bewaffnet.

Die als paradiesisch-naturverbunden und zugleich als primitiv-animalisch geltenden „wilden Männer“ waren im 15. und 16. Jahrhundert ein beliebtes Thema der dekorativen Kunst. Ihre Fell bewachsenen Körper und wilden Fratzen zierten etwa Kirchenportale und Chorgestühle und hatten so einen festen Platz „in einem Bildsystem der Ordnung und der Repräsentation, mit dem sie kontrastierten“, so der Cranach-Experte Prof. Dieter Koepplin. Cranachs ungeheure innovative Leistung bestand darin, die wilden Gestalten „aus der sakralen Hierarchie zu befreien“ (Koepplin) und so einen eigenen profanen Bildtypus zu entwickeln, der bald Schloss- und städtische Gebäude zieren sollte. Die Beliebtheit des Sujets entstand gerade durch die Diskrepanz der puristisch-eleganten Frauenkörper, die die humanistischen Ideale der Mutterliebe und Caritas verkörperten.

Die Botschaft, dass das Tugendhafte, Zivilisierte jederzeit durch das Wilde, Lasterhafte bedroht ist, legitimierte das Bild trotz seiner Freizügigkeit für die Kirche wie auch den neuen Protestantismus: Dass der Mensch allein durch göttliche Gnade davor bewahrt werden könne, den sündhaften Reizen des Nackten zu erliegen, entsprach reformatorischem Dogma. Für den engen Luther-Freund und -Porträtisten Cranach war dieser Aspekt von großer Bedeutung: Mit seiner florierenden Wittenberger Werkstatt bediente der produktive Künstler außer höfischen, privaten und katholischen insbesondere auch protestantische Auftraggeber. Sabine Schuchart

Ausstellung
„Bild und Botschaft – Cranach im Dienst von Hof und Reformation“
Herzogliches Museum, Parkallee 15, Gotha; www.stiftungfriedenstein.de; tgl. 10–17 Uhr; bis 19. Juli 2015

„Bild und Botschaft: Cranach im Dienst von Hof und Reformation“, Katalog zur Ausstellung, geb. Ausg., 366 S., Morio 2015; 24,95 Euro

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