SUPPLEMENT: Perspektiven der Infektiologie
Neue Antibiotika: Nur mäßiger Fortschritt


Die neuen verfügbaren Antibiotika bringen nur in speziellen Fällen Vorteile, da sie das Problem der vielfachen Kreuz- und Coresistenzen bei Bakterien lösen. Es bedarf jedoch einer Abwägung der Vorteile gegenüber höheren Kosten.
Die Zulassung neuer Antibiotika für die Behandlung schwerer bakterieller Infektionen ist ein seltenes Ereignis (Grafik). Umso erfreulicher ist die Aussicht auf neue Wirkstoffe, die die Therapieauswahl erweitern. Denn auch in Deutschland häufen sich die Berichte über Patienten mit schweren Infektionen – verursacht durch multi- bis panresistente Bakterien (insbesondere gramnegative Erreger). Hinzu kommt, dass weltweit nur noch wenige Großkonzernen sowie einige kleine Firmen hoch spezialisiert die Entwicklung von innovativen Antibiotika vorantreiben.
In den letzten Monaten wurden sechs neue Antibiotika für die Behandlung systemischer Infektionen zugelassen. Viele dieser Wirkstoffe wurden vor Jahrzehnten entdeckt und durchliefen langwierige klinische Entwicklungsprozesse – gekennzeichnet durch Entwicklungseinstellungen, Firmenzusammenlegungen, Auslizenzierungen, erfolglosen Zulassungsanträgen und Wiederholung von klinischen Studien.
Alle Neuzulassungen bauen auf altbekannten Klassen auf und sind veränderte Moleküle bekannter Grundstrukturen, nämlich
- Glycopeptide,
- Oxazolidinone,
- Cephalosporine in Kombination mit Beta-Laktamase-Inhibitoren.
Die Klassen Glycopeptide (Vancomycin, Teicoplanin) und Oxazolidinone (Linezolid) wirken nur gegen grampositive Bakterien und wurden vor allem für die Therapie von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) konzipiert.
Alle Glycopeptide zeichnen sich durch ihre Wirkung gegen MRSA aus. In den Phase-III-Vergleichsstudien mit Vancomycin wurde das Ziel der Nicht-Unterlegenheit erreicht. Teilweise besteht eine Kreuzresistenz mit Vancomycin. Da die Vancomycin-Resistenz bei Staphylokokken in Deutschland sehr selten ist, spielt dieser Aspekt im klinischen Alltag keine Rolle.
Die Hauptdifferenzierung von Dalbavancin und Oritavancin gegenüber Vancomycin sind pharmakokinetische Eigenschaften mit sehr langer Halbwertzeit (150–250 Stunden), aber auch sehr hoher Proteinbindung. Dies ermöglicht eine ein- bis zweimalige Dosis pro Woche. Dieser Applikationsmodus eignet sich für die ambulante parenterale Antibiotikatherapie in ausgewählten Fällen. Mit diesen neuen Glycopeptiden steht derzeit eine Vielzahl von Antibiotika zur Verfügung, die gegen grampositive Erreger (inklusive MRSA) effektiv sind.
Ob Telavancin, ein bereits zugelassenes weiteres Glycopeptid, mit seinen Sicherheitsauflagen einen Platz in der Therapie von nosokomialen Pneumonien verursacht durch MRSA im Vergleich zu Linezolid oder Vancomycin erlangen wird, ist fraglich.
Tedizolid ist das dritte Antibiotikum, das 2015 in Europa für die Indikation akute bakterielle Haut- und Weichteilinfektionen zugelassen wurde. Es ist ein neuer Vertreter der Klasse der Oxazolidinone, mit Linezolid verwandt und auch in oraler und intravenöser Form erhältlich. Somit kann – wie bei Linezolid – ein schneller Wechsel von einer intravenösen auf eine orale Therapie durchgeführt werden.
In klinischen Studien wurde Tedizolid im Vergleich zu Linezolid getestet. Aufgrund seiner höheren Bindungsaffinität, dadurch verbesserten intrinsischen Aktivität und längerer Halbwertzeit (bei hoher Proteinbindung) ist die Dosierung niedriger als von Linezolid. Es ist jedoch zu erwarten, dass mit wachsender klinischer Erfahrung eher eine höhere Dosierung empfohlen wird, so dass der Vorteil der Niedrigdosis entfällt. Wegen der hohen Proteinbindung werden vermutlich auch die Grenzwerte für die Empfindlichkeitstestung niedriger ausfallen als bei Linezolid. Die Dauer der Therapie ist auf sechs Tage festgelegt; ein Vergleich der Verträglichkeit mit Linezolid daher noch nicht möglich. Da die Rate an Linezolid-resistenten Erregern noch gering ist, spielen kleine Unterschiede in diesem Bereich noch keine Rolle.
Die Zulassung von Ceftobiprol für Deutschland erfolgte bereits 2014. Ceftobiprol ist ein neues Cephalosporin, ebenfalls mit bewegter Zulassungsgeschichte, das hinsichtlich seiner Wirksamkeit gegen MRSA verbessert wurde. Es ist zugelassen für die Therapie von nosokomialen Pneumonien mit Ausnahme der ventilator-assoziierten Pneumonie. Es ist das zweite Cephalosporin mit Wirkung gegen MRSA. Verglichen mit Ceftarolin, das bereits 2012 für die Behandlung von ambulant-erworbener Pneumonie zugelassen wurde, ist seine Wirkung gegen grampositve Erreger etwas niedriger, dafür aber etwas besser gegen Enterobakterien.
Beide Cephalosporine werden durch häufige Beta-Laktamasen abgebaut und helfen nicht bei den problematischen ESBL produzierenden gramnegativen Erregern. Die Wirkung gegen Pseudomonas ist unbefriedigend. Ceftobiprole stellt eine Alternative bei der Behandlung von Pneuonien dar, wenn MRSA vermutet oder nachgewiesen wurden.
Im Bereich der multi- und panresistenten gramnegativen Bakterien wurde das bekannte Prinzip der Beta-Laktamase-Inhibitor-Kombinationen weiter ausgebaut. Es gibt Kombinationen von altem Cephalosporin und neuem Beta-Laktamase-Inhibitor oder neuem Cephalosporin und altem Beta-Laktamase-Inhibitor. Die bereits in den USA zugelassenen Vertreter sind Ceftazidim/Avibactam sowie Ceftolozan/Tazobactam. Beide Substanzkombinationen sind ähnlich, da die Wirkungsschwächen jeweils durch die unterschiedlichen Beta-Laktamase-Inhibitoren ausgeglichen werden. Die geprüften Indikationen sind komplizierte intaabdominelle Infektionen in Kombination mit Metronidazol und komplizierte Harnwegsinfektionen.
Die Unterschiede bestehen hauptsächlich in der Hemmung bestimmter Beta-Laktamasen und in einer verbesserten intrinsischen Wirkung von Ceftolozan bei Pseudomonas. So hemmt Avibactam die Enzyme aus der Gruppe AmpC und KPC-Beta-Laktamasen, wohingegen Ceftolozane den Schutz durch AmpC nicht benötigt. Beide Antibiotika werden durch Metallo-Beta-Laktamasen zerstört und sind auch weiterhin empfindlich gegenüber anderen Resistenzmechanismen. Trotz dieser beiden neuen Antibiotika, die wirksam gegen manche gramnegative Problembakterien sind, werden nur bestimmte Resistenzlücken gestopft. Ein Einsatz ist nur bei sorgfältiger diagnostischer Abklärung sinnvoll.
Nur Antibiotika aus neuen Substanzklassen können das Problem der vielfachen kreuz- und coresistenten Bakterien lösen. Eine Erweiterung des Therapieangebotes ist zu begrüßen, benötigt aber eine sorgfältige Abwägung der Vorteile gegenüber höheren Medikamentenkosten. ▄
DOI: 10.3238/PersInfek.2015.06.05.07
Dr. Ursula Theuretzbacher
Founder and Principal of the Center for Anti-Infective Agents in Vienna, Austria.
Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.