THEMEN DER ZEIT: Kommentar
Britische Notfallmedizin: Ein Fach in der Krise


Missmanagement, Unterfinanzierung und Personalmangel haben die medizinische Notfallversorgung in Großbritannien in eine Krise bisher unbekannten Ausmaßes geführt. Dass Patienten auf den Korridoren der Notaufnahmen sterben, ist leider keine Ausnahme mehr (1).
Verschärfend wirkt sich aus, dass die britische Notfallmedizin als selbstständige Fachdisziplin sich weitestgehend von allen anderen Disziplinen abgekoppelt und somit große Probleme hat, inhaltlich mit der internationalen Entwicklung Schritt zu halten. Die klassischen notfallmedizinischen Disziplinen wie Innere Medizin, Kardiologie, Anästhesie-Intensivmedizin und Unfallchirurgie sind bestenfalls noch Gast in den Notaufnahmen, falls sie überhaupt hinzugezogen werden.
Diese Entkoppelung hat über die letzten zwanzig Jahre zu einer unerwünschten Entwicklung geführt. Die Fachdisziplinen haben sich aus der Notfallversorgung zurückgezogen und damit an Kompetenz eingebüßt. Da die Notfallmedizin als Querschnittsfach nicht über longitudinale Prozessübersicht verfügt, hat sie es nicht geschafft, die Kompetenzlücken zu füllen und hat ein therapeutisches Vakuum hinterlassen. In der Schwerverletztenversorgung hat sich das besonders deutlich gezeigt: das Fazit des NCEPOD 2007 Reports (2) ist, dass 60 Prozent der Traumapatienten in Großbritannien eine lediglich suboptimale Versorgung zuteil wird. Moderne Transfusionskonzepte und Gerinnungsmanagement, Früh-CT für Polytraumatisierte und Schock-OPs werden gerade erst eingeführt oder sind gänzlich unbekannt.
In der internistischen Notfallversorgung sieht es nicht besser aus. Um hier die Kompetenzlücke zu schließen, wurde unlängst die neue Fachdisziplin „Acute Medicine“ ins Leben gerufen (3), die die Phase zwischen Notaufnahme und stationärer Versorgung überbrücken soll. Ein Notarztwesen, das in vielen europäischen Ländern eine wichtige Triagefunktion erfüllt, ist gerade im Aufbau begriffen und steht flächendeckend nicht zur Verfügung. Die präklinische Notfallversorgung obliegt somit in erster Linie dem paramedizinischen Rettungsdienst der völlig unabhängig vom Krankenhaus operiert. Diese Situation wird durch die unzureichende intensivmedizinische Ausbildung der Notfallmediziner aufrechterhalten.
Die Diskussion um die Einführung der Notfallmedizin als eigenständige Fachdisziplin in Deutschland reißt nicht ab. Befürworter verweisen immer wieder auf die Vorteile des britischen Modells. Bedauerlicherweise entspricht das in deutschen Fachzeitschriften porträtierte positive Bild nicht der Realität. Die notfallmedizinische Versorgung in Großbritannien ist durch eine Segmentierung des Behandlungspfades, schlechte Kommunikation an den Schnittstellen und mangelnde Prozessübersicht aller Beteiligten gekennzeichnet. Dies hat zu einer Abkoppelung der klassischen Fachdisziplinen von der Notfallversorgung und daraus resultierenden erheblichen Qualitätsmängeln in der Notfallmedizin geführt.
1. | http://www.bbc.co.uk/news/uk-england-hereford-worcester-32015444. |
2. | http://www.ncepod.org.uk/2007t.htm. |
3. | http://www.jrcptb.org.uk/specialities/acute-medicine. |
Mann, Clifford; Hogan, Barbara
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