ArchivDeutsches Ärzteblatt29-30/2015Körperbilder: Frank Auerbach (*1931) – Haptische Essenz

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Körperbilder: Frank Auerbach (*1931) – Haptische Essenz

Schuchart, Sabine

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Frank Auerbach: „E. O. W. Nude“, 1953–54, Öl auf Leinwand, 50,8 × 76,8 cm: Ein aus unzähligen Lagen schwerer Farbmassen aufgeschichteter Frauenkörper erhebt sich zentimeterdick über einem Morastbett. Auerbachs Frühwerk – eher ein Relief als ein Gemälde – zeigt, wie revolutionär der Maler bereits in jungen Jahren war. Foto: Tate © Frank Auerbach
Frank Auerbach: „E. O. W. Nude“, 1953–54, Öl auf Leinwand, 50,8 × 76,8 cm: Ein aus unzähligen Lagen schwerer Farbmassen aufgeschichteter Frauenkörper erhebt sich zentimeterdick über einem Morastbett. Auerbachs Frühwerk – eher ein Relief als ein Gemälde – zeigt, wie revolutionär der Maler bereits in jungen Jahren war. Foto: Tate © Frank Auerbach

Es ist schon erstaunlich, wie wenig bekannt der britische Maler Frank Auerbach in Deutschland ist, obwohl er in seinem Land zusammen mit Lucian Freud und Francis Bacon zu den bedeutendsten Vertretern der britischen Nachkriegskunst zählt. Auf das außergewöhnliche Werk des 84-Jährigen macht aktuell eine Retrospektive im Kunstmuseum Bonn aufmerksam, die von der renommierten Londoner Tate Britain organisiert wurde und anschließend dort zu sehen ist.

In „E. O. W. Nude“ porträtierte Auerbach noch als Kunststudent zwischen Mai 1953 und Februar 1954 seine rund 15 Jahre ältere Geliebte Stella, genauer Estella Olive West (E. O. W.), bis 1973 sein bevorzugtes Modell. Ihren Körper modellierte er auf der Leinwand mit Unmengen von beige-brauner Ölfarbe, sodass er wie eine aus Schlamm geformte Skulptur wirkt – damals eine Sensation, die ihm, nachdem er das Gemälde in seiner Graduiertenschau am Royal College of Art gezeigt hatte, seine erste Einzelausstellung in einer großen Londoner Galerie verschaffte. Aber kann man hier überhaupt von Gemälden reden? Auerbach schaufelt Farbe auf seine Bilder, um sie dann in einem langwierigen Schaffensprozess, der Monate oder sogar Jahre dauern kann, wieder abzukratzen und erneut aufzutragen. Dabei war sein Kolorit zu Beginn sehr düster. In „E. O. W. Nude“ scheint Stellas in Rückansicht gezeigter, pastoser Leib auf einem exkrementfarbenen Urgrund zu ruhen.

Auerbachs eigenwilliger Malstil wird oft mit seiner Vita in Verbindung gebracht: Mit sieben Jahren gelangte er 1939 mit einem Kindertransport aus Nazi-Deutschland nach England; seine Eltern kamen später im KZ um. Zu den wenigen Verwandten, die den Holocaust überlebten, gehörte der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Auerbach selbst betont, dass er in seinen Bildern lediglich auf der Suche nach einer tieferen Wahrheit sei – „einer existenziellen haptischen Essenz“. Zu den größten Bewunderern dieser Wahrheitssuche gehörte sein langjähriger Künstlerfreund Lucian Freud. Als der 2011 verstarb, hingen in seiner Londoner Wohnung überall Auerbachs Werke – bis hin zum Badezimmer. Sabine Schuchart

Ausstellung „Frank Auerbach“

Kunstmuseum, Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 2, Bonn; www.kunstmuseum-bonn.de;

Di.–So. 11–18, Mi. 11–21 Uhr;

bis 13. September

Tate Britain, Millbank, London SW1P 4RG; www.tate.org.uk;

tgl. 10–18 Uhr

9. Oktober 2015 bis 13. März 2016

1) „Frank Auerbach“, Katalog zur Ausstellung, Sprache: Englisch, gebundene Ausgabe, 175 Seiten, Tate Publishing 2015; 25 Euro;

2) Catherine Lampert: „Frank Auerbach: Gespräche und Malerei“, gebundene Ausgabe, 240 Seiten, Sieveking 2015; 39,90 Euro

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