THEMEN DER ZEIT
Benno Hallauer (1880–1943): Deportation und Vernichtung
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Einzelschicksale führen immer wieder vor Augen, in welch schrecklicher Weise nach 1933 Biografien zerbrochen und wissenschaftliche Entwicklungen zerstört wurden.
Die Aufarbeitung der Geschehnisse im Nationalsozialismus darf sich auch in der Medizin nicht auf die Betrachtung institutioneller und struktureller Abläufe beschränken. Die Schicksale einzelner Berufskollegen führen immer wieder vor Augen, in welch schrecklicher Weise Biografien zerbrochen und wissenschaftliche Entwicklungen zerstört wurden. Den Nationalsozialisten gelang es durch die Vernichtung und die Vertreibung ganzer jüdischer Ärztegenerationen, dass nicht nur deren Namen und Persönlichkeiten, sondern auch ihre wissenschaftlichen Entdeckungen und Publikationen teilweise international in Vergessenheit gerieten. In diesem Sinne soll hier exemplarisch an den heute weitgehend vergessenen jüdischen Gynäkologen und Geburtshelfer Dr. med. Benno Hallauer erinnert werden, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine interessante Idee entwickelte und im Kreißsaal seiner Klinik umsetzte.
Publikationen zur Hypnose vor oder unter der Geburt stammen heute überwiegend aus dem anglo-amerikanischen Wissenschaftsbereich und gehen bis in die 1960er Jahre zurück. Die deutsche oder französische Vorkriegsliteratur findet darin ebenso wenig Erwähnung wie im konkreten Fall die Arbeiten Benno Hallauers. Es gibt keine Verweise auf jene Methode, die Hallauer 1908 erstmals in der Berliner Klinischen Wochenschrift und dann 1910 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift publizierte. Er beschrieb das Verfahren, das er als „Narko-“ oder „Suggestiv-Narkose“ bezeichnete, so: „. . . Die Narkohypnose ist eine Kombination von Narkose und Hypnose in derart, dass die Hypnose unter dem Bilde einer Narkose eingeleitet und durch eine minimale Narkose angebahnt wird. Während man bei der einfachen Hypnose die Patienten durch Fixation oder ähnliche Methoden unter gleichzeitiger Verbalsuggestion in hypnotischen Schlaf zu bringen sucht, wozu in der Regel mehrere Sitzungen erforderlich sind, wird diese kombinierte Methode der Hypnose in einmaliger Sitzung ohne Vorbereitung ausgeführt. . . . Ich habe das Verfahren . . . in den letzten 15 Jahren zusammen mit meinen Assistenten praktisch erprobt in zusammen über 2 000 Fällen . . .“ (Hallauer 1922). Zeitgenössische Autoren merkten an, auf diese Weise sei relativ leicht ein hypnotischer Schlaf zu erzielen, in dem die Schmerzempfindung deutlich vermindert und eine Geburt ohne Beeinträchtigung des natürlichen Ablaufs schmerzlos zu gestalten sei.
Wegen Vergehens gegen „Heimtückegesetz“ verurteilt
Seit 1910 war Hallauer als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe niedergelassen. Zwei Jahre später wurde er Chefarzt der gynäkologischen Poliklinik am Jüdischen Krankenhaus in Berlin und übernahm 1913 eine gynäkologisch-geburtshilfliche Klinik am Schiffbauerdamm als Nachfolger von Prof. Alfred Dührssen (1862–1933). Während des Ersten Weltkrieges war Benno Hallauer als Sanitätsoffizier, zuletzt als Stabsarzt, an der Front. Mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet wurde er Anfang 1918 wegen einer Gasvergiftung aus der Armee entlassen. Nach seiner aktiven Militärzeit widmete sich Hallauer der Leitung seiner privaten Frauenklinik am Schiffbauerdamm 31/32, deren Kapazität er zügig auf etwa 40 Betten erweiterte. Die Klinik wurde rasch weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt. Doch Hallauer versorgte nicht nur Patientinnen, sondern hatte auch wissenschaftliche Interessen.
Neben der von ihm entwickelten Narkohypnose beschäftigte er sich mit der Eierstocktransplantation und der „serologischen Krebstherapie“ (Hallauer 1938). Über ein weiteres Projekt, die Errichtung eines Krebsforschungsinstitutes, welches Hallauer 1930 erstmals mit Albert Einstein (1879–1955) zusammengeführt hatte, schreibt er an den Physik-Nobelpreisträger: „ . . . Halten Sie die Angliederung an ein modernes Krankenhaus, insbesondere an eine größere Frauenklinik, für zweckmäßig? Die Frauenklinik müsste über ein größeres klinisches Karzinommaterial verfügen, außerdem ein Ambulatorium erhalten für Nachbeobachtung der operierten Krebskranken sowie für die ärztliche Beobachtung und Behandlung inoperabler Fälle, ferner eine größere strahlentherapeutische Abteilung […], schließlich eine Versuchsstation für bisher als unheilbar geltende Krebsfälle, an denen neuere Behandlungsmethoden erprobt werden können . . .“ (Hallauer 1930).
Albert Einstein antwortet nur wenige Tage später: „ . . . Ich bin davon überzeugt, dass Ihr Plan der Gründung eines Krebs-Institutes aus privater Initiative und mit privaten Mitteln einem wirklichen Bedürfnis entspricht, besonders weil eine solche Gründung besser als eine öffentliche Anstalt in der Lage ist, wertvolle Arbeitskräfte besonders aus den Reihen der freien Ärzteschaft im Dienste dieser wichtigen Aufgabe zu mobilisieren . . .“ (Einstein 1930).
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde dieser innovative Plan hinfällig. Die jüdischen Ärzte wurden nun zu einer verfolgten Berufsgruppe. Die Hallauersche Klinik wurde boykottiert, Krankenversicherungen erstatteten die Behandlung ihrer Patienten bei jüdischen Ärzten nicht mehr, so dass Benno Hallauer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet und den Klinikbetrieb bereits Ende 1933 einstellen musste. Trotz der Repressionen erkannte Benno Hallauer wie viele andere die „Zeichen der Zeit“ nicht und blieb in Deutschland. In seiner Wohnung in der Berliner Fasanenstraße 72 eröffnete er eine kleine Privatpraxis für jüdische Patientinnen. Im Vertrauen auf den kollegialen Zusammenhalt äußerte er sich im Januar 1937 gegenüber einem nichtjüdischen Kollegen, der Kaufinteresse an seiner Klinik vorgab, kritisch über den Nationalsozialismus. Dieser denunzierte ihn bei der Gestapo. Hallauer wurde wegen Vergehen gegen das „Heimtückegesetz“ angeklagt und zu 9 Monaten Haft verurteilt. In der Urteilsbegründung heißt es: „ . . . Die Straftat stellt eine grobe jüdische Dreistigkeit dar und legt den Verdacht nahe, dass der Angeklagte auch in anderen Fällen seine Zunge nicht im Zaume halten kann, wie es von ihm, der als Jude im nationalsozialistischen Deutschland lediglich ein Gastrecht genießt, in besonderem Maße verlangt werden muss. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände erschien eine fühlbare Freiheitsstrafe zur Erfüllung des Strafzwecks geboten . . .“ (Landesarchiv, Personalakte)
Während Hallauer die Gefängnisstrafe verbüßte, wurde das Klinikgrundstück am Schiffbauerdamm zwangsversteigert. Die Klinik wurde 1940 abgerissen, um Platz zu machen für „Germania“, die neue Hauptstadt nach Plänen Adolf Hitlers und seines Architekten Albert Speers.
Teil des Bundestages steht auf Hallauers Klinikgrundstück
In den Akten des Berliner Landesarchivs über das 1958 abgelehnte Wiedergutmachungsverfahren wird die Situation Hallauers um 1939 beschrieben: „ . . . Die Verfolgungen des angesehenen Arztes waren die gleichen wie sie bei allen Juden üblich sind. Es wurden die Bankguthaben und Depots beschlagnahmt . . . Gold- Silber- und Schmucksachen mussten im Frühjahr 1939 abgeliefert werden . . . Anfang September 1939 mussten Radios abgegeben werden, an einem späteren Zeitpunkt Pelzwaren, elektrische und optische Geräte und Wollsachen. Der Hausrat, die Einrichtung aller Art, Bibliotheken etc. in der Klinik und in dem Landhaus Heringsdorf wurden entzogen. Ob ein Umzugsgut gepackt wurde für eine beabsichtigte, aber nicht mehr zur Ausführung gekommene Auswanderung, ist zunächst nicht bekannt. Bei den Vermögensverhältnissen ist dies aber anzunehmen. Entzogen wurde außerdem die Lebensversicherung . . .“ (Landesarchiv/Rückerstattungssache).
Hallauer hatte damals in seiner Not wie so viele bedrohte deutsche Juden einen Bittbrief um Unterstützung an Albert Einstein geschrieben (Hallauer 1938), der sich – allerdings vergeblich – für ihn in Großbritannien und den Niederlanden einsetzte (Einstein 1938a, b). 1940 musste Hallauer nach Breslau umsiedeln, wo er als „Krankenbehandler“ eine Stelle am jüdischen Krankenhaus antrat. Seine Lebensumstände waren hier weit entfernt von denen der „glänzenden Jahre“ in Berlin. Mitte Juli 1941 begannen die Deportationen aus Breslau in verschiedene Konzentrationslager. Unter den Deportierten waren auch Benno Hallauer und seine zweite Ehefrau Lieselotte Buchwald, die beide wahrscheinlich 1943 in Auschwitz umkamen (Gedenkbuch des Bundesarchivs).
1997 kam es zur Rückübertragung des Klinikgrundstücks an Hallauers Sohn Wolfgang. Kurze Zeit später erfolgte im Rahmen der Hauptstadtplanung am Spreebogen die erneute Enteignung mit Entschädigungszahlung. Heute stehen Teile des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses des Deutschen Bundestages auf dem ehemaligen Hallauer-Grundstück. Eine von Prof. Wieland Förster angefertigte Bronzebüste erinnert seit 2005 in der Bibliothek des Deutschen Bundestages an Dr. med. Benno Hallauer.
Prof. Dr. med. Matthias David
Klinik für Gynäkologie, Campus Virchow-Klinikum,
Charite-Universitätsmedizin,
matthias.david@charite.de
Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas D. Ebert
Praxis für Frauengesundheit,
Gynäkologie und Geburtshilfe, Berlin
@Literatur und Quellennachweise im Internet: www.aerzteblatt.de/lit3115
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Biografisches
Benno Hallauer wurde am 7. Mai 1880 in Danzig als Sohn des Kaufmanns Wilhelm Hallauer geboren. Nach dem medizinischen Staatsexamen (1902) folgten ein Jahr Militärdienst und eine einjährige Reise als Schiffsarzt nach Afrika, Indien, Nord- und Südamerika. Seine sechsjährige Assistentenzeit absolvierte er zunächst an der Inneren Klinik des Städtischen Krankenhauses in Frankfurt/M., an der Berliner Chirurgischen Universitätsklinik unter Prof. Ernst von Bergmann (1836–1907) und schließlich an der privaten Straßmannschen Frauenklinik in Berlin.
Jerusalem, 46–562
Archives, Hebrew University of Jerusalem, 46–563
1. | Brown CD, Hammond DC: Evicence-based clincal hypnosis for obstetrics, labor and delivery, and preterm labor. Intl J Clin Exp Hypn 2007; 55: 355–7 CrossRef MEDLINE |
2. | Cyna AM, Crowther CA, Robinson JS, Andrew MI, Antoniou G, Baghurst P: Hypnosis antenatal training for childbirth: a randomized controlled trial. BJOG 2013; 120: 1248–5 CrossRef MEDLINE |
3. | Landolt AS, Milling LS: The efficacy of hypnosis as an intervention for labor and delivery pain: A comprehensive methodological review. Clin Psychol Rev 2011; 31: 1022–3 CrossRef MEDLINE |
4. | Hallauer B: Über Suggestivnarkose. Berl Klin Wochenschr 1908; 16: 781 |
5. | Hallauer B: Über eine Anwendungsform der Suggestion in der gynäkologischen Praxis. Deut Med Wochenschr 1910; 6: 263–6 CrossRef |
6. | Hallauer B: Die Narkohypnose. Monatsschr Geburtsh Gynäkol 1922; 57: 86–98 |
7. | Hallauer B: Lebenslauf. Wissenschaftliche Arbeiten. 1938. Albert Einstein Archives, Hebrew University of Jerusalem, 53–298 |
8. | Hallauer B: Brief an Professor Albert Einstein, Berlin, 24. November 1930. Albert Einstein Archives, Hebrew University of Jerusalem, 46–562 |
9. | Einstein A: Brief an Dr. B. Hallauer, Berlin, 29. November 1930. Albert Einstein Archives, Hebrew University of Jerusalem, 46–563 |
10. | Landesarchiv Berlin. Personalakten Strafgefangener B. Hallauer. Strafanstalt Berlin-Tegel. Urteilsschrift in der Strafsache gegen den Frauenarzt Dr. med. Benno Hallauer, 22. Mai 1933. A Rep. 370 Nr. 8990 |
11. | Landesarchiv Berlin. Rückerstattungssache. Wiedergutmachungsämter. Antragsteller Wolfgang Hallauer, Antragsverfahren 1958/59. B Rep 025–04 Nr. 1316–1317/59 |
12. | Hallauer B: Brief an Professor Albert Einstein, 8. August 1938. Albert Einstein Archives, Hebrew University of Jerusalem, 53–286. |
13. | Einstein A: Brief an Prof. Laqueur, Princeton, 24. August 1938a. Albert Einstein Archives, Hebrew University of Jerusalem, 53–287 |
14. | Einstein A: Brief an Martin Hallauer, Nassau Point, 24. August 1938b. Albert Einstein Archives, Hebrew University of Jerusalem, 53–289. |
15. | Bräu R: „Arisierung“ in Breslau – Die „Entjudung“ einer deutschen Großstadt und deren Entdeckung im polnischen Erinnerungsdiskurs. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2008, S. 89. |
16. | Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933–1945). http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html (last accessed on 7 March 2014) |
17. | Jahr-Weidauer K: Die Geschichte eines jüdischen Grundstücks. Berliner Morgenpost, 14. Dezember 2003 |
Moller, Thomas P. A.
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