WISSENSCHAFT
E-Mental-Health bei Traumatisierung: Einsatz der Technologien durch therapeutische Gespräche begleiten


Ein Überblick über die derzeitigen E-Mental-Health-Angebote in der Traumatherapie und den Nutzen, so wie Traumaexperten ihn einschätzen.
Die Anwendungsfelder von Medien in der Prävention und Behandlung psychischer Störungen sind breit gefächert und dabei mit medienspezifischen Chancen aber auch gewissen Risiken verbunden. Auch für die Unterstützung der Behandlung psychotraumatischer Störungen ist der Einsatz von Medien nicht neu. So hat sich der Einsatz von Selbsthilfebüchern als Frühintervention vor allem bei der Gruppe der sogenannten „Selbsterholer“ (das heißt mit geringem Risiko nach dem traumatischen Ereignis eine Posttraumatische Belastungsstörung [PTBS] zu entwickeln) oder unterstützend zur konventionellen Traumatherapie bereits etabliert (1). Insofern ist es nicht verwunderlich, dass im Rahmen von E-Mental Health auch Konzepte zur Nutzung moderner Medien, wie das Internet, mobile Anwendungen (zum Beispiel Apps), Computerspiele oder auch virtuelle Realitäten, bei der Behandlung von Traumafolgestörungen entwickelt wurden.
GesundheitsInformationen
Die Möglichkeiten des Internet reichen dabei von der reinen Informationsbeschaffung über Foren zum Austausch Betroffener (zu den Vor- und Nachteilen virtueller Selbsthilfegruppen für Menschen nach traumatischen Ereignissen 1, 2) bis hin zur Online-Therapie.
Aufgrund seiner weiten Verbreitung und leichten Zugänglichkeit bietet das Internet eine große Bandbreite an gesundheitsbezogenen Informationen. Einer repräsentativen Umfrage zufolge beschaffen sich über 60 Prozent der deutschen Internetnutzer online Informationen zu gesundheitlichen Fragen (3). Auf der anderen Seite besteht durch diese Fülle an Material auch eine Informationsüberflutung der Nutzer. So ergibt die Eingabe des Begriffs „Psychotherapie“ bei Google bereits über 14 Millionen Treffer. Sucht man nach „Posttraumatische Belastungsstörung“, werden rund 200 000 Ergebnisse angezeigt (Stand: Juli 2015). Dabei stammen allerdings über 40 Prozent der ersten 50 Suchergebnisse von Pharmafirmen, die signifikant mehr Hinweise zu Psychopharmaka als Therapie der Wahl bei einer PTBS enthalten als die übrigen Webseiten (4). Eine Inhaltsanalyse von 20 deutschsprachigen Websites zur PTBS belegte zudem eine Unterrepräsentation in der Empfehlung psychodynamischer Therapieansätze (5). Des Weiteren konnte für das internationale WWW gezeigt werden, dass 42 Prozent der von Bremner und Kollegen (6) untersuchten Websites zu Traumata unvollständige oder sogar fehlerhafte Informationen enthalten. Insofern sollten Helfer qualitativ hochwertige Internetquellen kennen und Betroffenen empfehlen. Gleichzeitig sollte der individuelle Umgang mit Online-Gesundheitsinformationen besprochen werden, um potenziell auch dysfunktionale Nutzungsweisen identifizieren zu können.
Das Internet bietet die Möglichkeit von spezifischen therapeutischen Interventionsangeboten für Personen, die eine traumatische Erfahrung machen mussten.
Interventionsangebote
Kostenfreie internetbasierte Beratung via E-Mail, Chat, zum Teil aber auch per Telefon finden sich zum Beispiel beim „Beratungsnetz“. Das Beratungsnetz (www.das-beratungsnetz.de) ist eine zentrale Beratungsplattform für gemeinnützige und paritätische Einrichtungen, die mittels verschiedener Internetdienste ihre Hilfestellung anbieten. So finden sich auch für Menschen nach traumatischen Ereignissen Hilfsangebote, so zum Beispiel für insbesondere adoleszente Betroffene vom sexuellem Missbrauch, unter anderem der Kinderschutzbund Frankfurt oder den „berliner jungs – Beratung für Jungs im Internet“.
Weitere Angebote fokussieren zum Beispiel auf die Sekundärprävention von PTBS. So zeigte eine Pilotstudie an College-Studenten in den USA, dass diagnostische Online-Fragebögen zuverlässig problematische Bereiche bezüglich Traumata und posttraumatischem Stress aufdeckten. Die Studenten zeigten außerdem positive Reaktionen auf das Online-Screening (7).
Zudem existieren Online-Beratungsdienste, die sich an spezielle Risikogruppen wenden, wie zum Beispiel Bundeswehrsoldaten, die infolge von Auslandseinsätzen unter psychischen Problemen leiden (zum Beispiel www.angriff-auf-die-seele.de; www.ptbs-hilfe.de) (8).
Das Projekt „Interapy“ (www.interapy.nl) hingegen versteht sich explizit als Online-Therapie. Entwickelt an der Universität Amsterdam, wurde das Angebot auch an deutschen Stichproben evaluiert (9). Während Interapy in den Niederlanden von den Krankenkassen finanziert wird, gibt es in Deutschland für solche Online-Interventionsangebote keine Möglichkeit der Rückerstattung.
Interapy beruht auf einem kognitiv-behavioralen Ansatz, dessen zentraler Bestandteil eine Schreibtherapie ist: Die Patienten werden dazu angeleitet, sich schriftlich mit dem traumatisierenden Ereignis zu beschäftigen und es in entlastender Weise neu zu bewerten. Diesen Ansatz verwendete auch ein Online-Therapieprogramm für Frauen, die während der Schwangerschaft ein Kind verloren haben (10), wobei insgesamt wichtig ist, die Indikationen für solche Programme nicht zu weit zu fassen (1).
Inzwischen existieren auch komplexere Angebote, die verschiedene Medienanwendungen kombinieren. So zeigten zum Beispiel Freedman und Kollegen den Nutzen einer internetbasierten Frühintervention für Menschen mit PTBS-Symptomatik nach Motorradunfällen, in der neben therapeutischen Online-Kontakten auch Videos und ebenso Expositionen via virtuellen Realitäten integriert wurden (11).
Virtuelle Realitäten
Virtual-Reality-Technologien (VR) ermöglichen, computerbasierte Modelle der realen Welt zu erstellen, mit denen mittels Mensch-Maschinen-Schnittstellen interagiert werden kann. Die Beobachtung, dass virtuelle Reize reale Ängste auslösen, führte dazu, diese modernen Anwendungen auch in das Spektrum therapeutischer Interventionstechniken einzubinden. Als Mittelweg zwischen In-vivo- und In-sensu-Konfrontation haben sie sich insbesondere in verhaltenstherapeutischen Expositionsbehandlungen bei verschiedenen umschriebenen Phobien als effektiv erwiesen (12–14).
In mehreren Studien wurden VR-Technologien auch zur Behandlung von PTBS, insbesondere nach traumatischen Kriegserlebnissen sowie Terroranschlägen, aber auch nach Verkehrsunfällen, eingesetzt und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft (12). Einige Beispiele:
Difede und Kollegen entwickelten eine VR-Umgebung für Patienten, die aufgrund der Ereignisse am 11. September 2002 in New York an einer PTBS litten. In einer Einzelfallstudie referieren die Autoren, dass die In-sensu-Behandlung bei einer betroffenen 26-jährigen Frau keine Besserung ihrer Symptomatik brachte. Die Patientin wurde mit sechs VR-Sitzungen à 45 bis 60 Minuten behandelt. Auch wenn die Patientin unmittelbar nach den VR-Expositionsbehandlungen in standardisierten klinischen Verfahren und nach Selbstauskünften eine Symptomreduktion zeigte und dieses Ergebnis in einer kontrollierten Studie mit kleiner Stichprobengröße bestätigt wurde (15), so inszeniert diese Behandlung eine Form der Konfrontation, die sowohl behandlungstechnisch als auch ethisch infrage gestellt werden muss. Gleiches gilt für VR-Interventionen, die unter anderem Vietnamveterane mit schwerer PTBS-Symptomatik authentisch nachgestellten Kriegssituationen aussetzen (16, 17). Gefahren betreffen nicht nur mögliche Retraumatisierungen, wenn in der Phase des Durcharbeitens der traumatischen Erfahrung noch keine ausreichende Stabilisierung erreicht wurde, sondern ebenso potenzielle Neutraumatisierung, weil die dargebotenen Stimuli die traumatische Situation des Betroffenen nicht genau abbilden (18). Damit lässt sich auch erklären, warum – trotz einigen positiven Evaluationsstudien (19, 20) – Untersuchungen ebenso zeigten, dass erste positive Behandlungseffekte nicht stabil sind (16). Auch aktuelle Reviews kommen zu dem Fazit, dass der derzeitige Forschungsstand ergänzungsbedürftig ist (21), auch weil die (wenigen) vorliegenden klinischen Studien unterschiedliche methodische Qualität aufweisen (22).
Ein anderer Anwendungsbereich sind VR zur Prävention potenziell traumatischer Erfahrungen. So untersuchten Jouriles et al. (23), ob VR die Bewusstwerdung von bedrohlichen sexuellen Signalen in Rollenspielen steigern kann beziehungsweise entsprechende Kompetenzen der Gegenwehr vermitteln können. Die Befunde weisen darauf hin, dass die Probandinnen mit Einsatz von VR im Vergleich zu einer Kontrollgruppe schneller und gezielter auf die in einem Rollenspiel gesendeten bedrohlichen sexuellen Signale reagierten. Inwiefern diese Effekte auf reale Situationen übertragen werden können, bleibt offen.
Serious Games und Apps
Serious Games (SG) sind Computerspiele, bei denen nicht der Unterhaltungsaspekt, sondern die Lernerfahrung im Mittelpunkt steht. Seit einigen Jahren gibt es verstärkte Bemühungen, SG gezielt zur Gesundheitsförderung zu entwickeln, einzusetzen und zu evaluieren. Ein erstes systematisches Review zeigt, dass SG auch bei verschiedenen psychischen Störungen therapeutischen Nutzen haben (24). Für die Anwendung von Serious Games im Bereich der Psychotraumatologie gibt es noch wenige, aber dennoch einige Beispiele. So wurde ein computerbasiertes Spiel zur Präventionen traumatischer Stressreaktionen bei Soldaten erprobt (8), namens CHARLY. Die Nutzung von CHARLY erfolgt in Gruppen von bis zu 30 Personen aus einer militärischen Einheit, wobei zwar jeder einen eigenen Computer zum Üben zur Verfügung hat, diese jedoch miteinander vernetzt sind, um – wenn vom Teilnehmenden gewünscht – die Ergebnisse im Sinne einer Motivationssteigerung vergleichen zu können. Das CHARLY-Programm umfasst zwei Trainingstage, beinhaltet stress-, einsatz- und traumabezogene Psychoedukation und deckt so die Lerninhalte allgemeinen Einsatzstresses (klimatische und Umweltbelastung, Entfernung von zu Hause et cetera) sowie zu Stress nach Extremereignissen (zum Beispiel Kampfhandlung oder Attentat) in Form eines Stressimpfungstrainings ab. Dabei werden Biofeedbacksensoren an zwei Fingern der linken Hand angebracht, um die Stressbelastung zu überwachen und jeweils vor und nach der Übung grafisch aufzuzeichnen. Zur Stressreduktion werden entweder die progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen oder imaginative Techniken wie „Der sichere Ort“ angewendet. Während des gesamten Ablaufs ist ein Psychologe anwesend, der täglich vor und nach dem CHARLY-Programm eine Besprechung durchführt. CHARLY wurde in einer ersten Pilotstudie mit ermutigenden Ergebnissen evaluiert (8).
Speziell für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren nach Akuttraumata wurde an der Universität Pennsylvania der „Coping Coach“ entwickelt, um die Ausbildung einer PTBS zu verhindern. Dieses webbasierte Spiel fokussiert die Förderung von Copingstrategien und Veränderung traumabezogener Kognitionen (25).
Neben Serious Games wurde auch der Einsatz von herkömmlichen Entertainment-Games in der Traumaforschung untersucht. So konnte zum Beispiel in einem experimentellen Setting, das heißt Darbietung von belastenden Filmszenen, gezeigt werden, dass das Computerspiel „Tetris“ Einfluss auf das Ausmaß der belastenden Erinnerungen daran hat (26). Damit kann „Tetris“ auch als Frühintervention nach traumatischen Ereignissen die Ausbildung von Flashbacks reduzieren beziehungsweise in der Traumatherapie nach Traumakonfrontation eingesetzt werden, um Intrusionen abzumildern. Auf dieser Basis wurde auch das Serious Game „TraumaGamePlay“ der Universität Amsterdam entwickelt, das als Computerspiel sowie als App zur Verfügung steht (www.mobilesforgood.nl/#project/trauma-game).
Es existieren bereits ebenso spezifische therapeutische Apps zur therapeutischen Unterstützung von Traumaopfern. Die „PTSD Coach App“, entwickelt an der Universität Stanford (27), hat so zum Ziel, PTBS-Symptome durch psychoedukative und therapeutische Übungen zu reduzieren (zum Beispiel „Unable to Sleep“ oder „Reminded of Trauma“).
Diskrepanzen in den Urteilen
Da VR-Technologien bisher nur in der Phase der Traumakonfrontation eingesetzt wurden und das Potenzial von Serious Games in der Psychotraumatologie noch lange nicht ausgeschöpft ist, wurde an der Sigmund Freud PrivatUniversität eine Expertenbefragung deutschsprachiger Psychotraumatologen (leitfadengestützte Interviews an neun Experten) durchgeführt (28). Ziel war, neue Perspektiven für Einsatzszenarien dieser Technologien zu erfassen. Die Ergebnisse zeigen Diskrepanzen in der Beurteilung der Einbindung von virtuellen Realitäten und Serious Games in die Traumatherapie unter den Experten. Dies wird unter anderem auf den sehr unterschiedlichen Wissensstand zu beidem zurückgeführt, ebenso wurden auch Ängste vor einer Technisierung der Psychotherapie deutlich. Trotz der deutlichen Skepsis wurden Umsetzungsmöglichkeiten in der Stabilisierungsphase von Traumapatienten gesehen, konkret in Form von Imaginations-, Achtsamkeits- und Entspannungsübungen, wobei hier für Serious Games mehr Potenzial gesehen wird als für Virtual Reality. Einigkeit besteht darin, dass der Einsatz der Technologien stets durch therapeutische Gespräche begleitet werden soll und individualisierbare Anwendungsformen in die Programme integriert sind. Potenzielle Nebenwirkungen (zum Beispiel Technikabhängigkeit, Auswirkungen auf Prozesse der Gedächtnisbildung) seien dringend zu erforschen. Seitens potenzieller Patienten ist die Aufgeschlossenheit im Sinne einer Inanspruchnahmebereitschaft von SG sehr hoch ausgeprägt; auch Therapeuten sehen hier fruchtbare Einsatzfelder, allerdings vor allem in anderen Störungsbereichen, hauptsächlich bei Angststörungen, affektiven Störungen und Anpassungsstörungen (29).
- Zitierweise dieses Beitrags:
PP 2015; 13(08): 374–6
Anschrift der Verfasserin: Prof. Dr. Christiane Eichenberg, Sigmund Freud PrivatUniversität Wien,
Department Psychologie, Freudplatz 1, A-1020 Wien, christiane@rz-online.de, www.christiane
eichenberg.de; www.sfu.ac.at
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/pp/lit0815
journal.pone.0079206.
A Review of the current state of research. In: Eichenberg C, ed. Virtual Reality.
Rijeka, Croatia: InTech 2012: 35–64.
role plays used to teach college women sexual coercion and rape-resistance skills? Behav Ther. 2009; 40(4): 337–45.
0004153
Akzeptanz von Serious Games in der Psychotherapie: Eine Befragung von Therapeuten und Patienten. Vortrag auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 26.03.2015, Berlin.
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