SUPPLEMENT: Perspektiven der Neurologie
Verdachtsdiagnose: Demenz – Was ist nun zu tun?
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Die Antwort könnte nicht klarer ausfallen: Die Ursache für den Abbau und Verlust der kognitiven Funktionen muss zwingend abgeklärt werden, um reversible Formen der Demenz frühzeitig zu identifizieren.
Demenzerkrankungen sind charakterisiert durch den Abbau und Verlust kognitiver Funktionen, einschließlich der Einschränkung von Gedächtnis, Sprache, Orientierung und Urteilsvermögen, sowie durch einem fortschreitenden Verlust der Alltagskompetenzen. Dieser Prozess kann durch viele verschiedene Ursachen hervorgerufen werden. Die Basisdiagnostik einer Demenzabklärung umfasst eine:
- klinische und neuropsychologische Untersuchung,
- Laboruntersuchung,
- Liquordiagnostik mit Neurodegenerationsmarkern und
- zerebrale strukturelle Bildgebung.
Diese umfassende Diagnostik ist wichtig, um insbesondere reversible Demenzen frühzeitig zu detektieren und die Ursache der jeweiligen Demenz zu identifizieren und dementsprechend zu behandeln.
Epidemiologie: Schätzungsweise leiden etwa 35,6 Millionen Menschen weltweit an einer Demenz, 2050 sollen es 115,4 Millionen Menschen sein. In Deutschland leben derzeit etwa 1,5 Millionen Menschen mit der altersabhängigen, häufigsten Demenzform, der Alzheimerkrankheit; 2050 wird sich diese Zahl vermutlich verdoppeln.
Ätiologische Kategorien
Demenzen werden anhand ihrer klinischen Symptomatik und Zusatzdiagnostik ätiologisch zugeordnet. Die Ursachen der Demenzen sind mannigfaltig (Grafik 1), die häufigsten sind die:
- Alzheimererkrankung,
- vaskuläre Demenz,
- gemischte Demenz,
- Fronto-Temporale Demenz,
- Demenz bei Morbus Parkinson und
- Lewy-Körperchen-Demenz.
Des Weiteren können Demenzen bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen, bei Prionerkrankungen (zum Beispiel Creutzfeldt-Jakob-Krankheit), entzündlichen ZNS-Erkrankungen, Trauma, Hirntumoren oder metabolisch-toxischen Erkrankungen auftreten.
Algorithmus für die Diagnostik
Entsprechend der S3-Leitlinie „Demenzen“ (1) ist eine frühzeitige syndromale und ätiologische Diagnostik die Grundlage der Behandlung und Versorgung von Patienten mit Demenzerkrankungen und deshalb allen Betroffenen zu ermöglichen.
Anamnese: Für eine ätiologische Zuordnung ist eine genaue Eigen-, Fremd-, Familien- und Sozialanamnese unter Einschluss der vegetativen und Medikamentenanamnese unabdingbar.
Klinische Untersuchung und psychopathologischer Befund: Aufgrund der Vielzahl an Erkrankungen, die zu einer Demenz führen können, sind folgende Untersuchungen erforderlich:
- körperlich internistisch: zum Beispiel kardiovaskuläre, metabolische und endokrinologische Erkrankungen.
- neurologisch: zum Beispiel extrapyramidale Symptomatik (Parkinson-Symptome), das Gangbild (Normaldruckhydrozephalus), Paresen, Atrophien sowie Okulo- und Pupillomotorikstörungen.
- Bei den psychischen Störungen ist vor allem auf Persönlichkeitsakzentuierungen und -änderungen, affektive Störungen, Wahn und Halluzinationen zu achten.
Kognitive Screening Instrumente: Der wohl bekannteste Test ist der Mini-Mental-Status-Test (Mini-Mental-State-Examination, MMSE), der eigentlich zur raschen Schweregradeinteilung kognitiver Defizite bei Demenzverdacht entwickelt wurde (2). Trotz der Vorteile des Verfahrens hinsichtlich der weiten Verbreitung, der kosten- und zeitökonomischen, einfachen Durchführbarkeit, ist der Test wenig sensitiv für geringgradige ausgeprägte kognitive Defizite, kann leicht zu falsch-negativ Diagnosen bei Probanden mit hohem beziehungsweise niedrigem Bildungsgrad führen und erlaubt kaum eine differenzierte Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit.
Neuere Verfahren, zum Beispiel der DemTec (3) und der Montreal Cognitive Assessment Test (MoCA) (4), zeigen eine höhere Sensitivität insbesondere zu Beginn der Erkrankung, decken mehrere kognitive Domänen ab und sind damit auch zur Differenzialdiagnose von Demenzen geeignet. Der MoCA enthält unter anderem den Uhren-Zeichen-Test zur Prüfung der Visuokonstruktion und des Problemlösens und steht in vielen Sprachen unter www.mocatest.org zur Verfügung. Zudem existieren Parallelversionen zur Verlaufskontrolle, auch in deutscher Sprache (5).
In der Regel sollte bei subjektiver Gedächtnisstörung und/oder Hinweisen auf eine kognitive Störung im kognitiven Screeningtest neben der Erhebung der Anamnese und der klinischen Untersuchung, eine erweiterte Diagnostik einschließlich neuropsychologischer Testung, zerebraler Bildgebung, Labor- und Liquordiagnostik erfolgen. Diese Zusatzdiagnostik wird zum Beispiel in den zahlreichen Gedächtnisambulanzen angeboten.
Spezielle testpsychologische Testbatterien: Im Vergleich zu den kognitiven Kurztestverfahren liefert eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung Kennwerte über ein breiteres Spektrum kognitiver Funktionsbereiche und erlaubt damit eine differenzierte Erfassung selbst geringgradig ausgeprägter Defizite mit erheblich höherem Nutzen für die Früherkennung und differenzialdiagnostische Entscheidungen.
Für die Demenzdiagnostik eignet sich die Testbatterie Neuropsychological Assessment Battery des CERAD-Plus (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease, www.memoryclinic.ch). Der CERAD-Plus besteht aus der Testung der semantischen und phonematischen verbalen Flüssigkeit, dem Bosting-Naming-Test, dem MMSE, dem lernen, abrufen und wiedererkennen einer Wortliste, Figuren abzeichnen und abrufen sowie dem Trail-Making-Test A und B. Der CERAD-Plus steht in deutscher Sprache zur Verfügung, eine Normauswertung hinsichtlich Alter und Bildungsstand ist möglich.
Darüber hinaus stehen zahlreiche spezifische neuropsychologische Leistungsstests bei bestimmten Fragestellungen zur Verfügung.
Serologische und biochemische Diagnostik im Blut: Im Rahmen der Basisdiagnostik werden folgende Serum- beziehungsweise Plasmauntersuchungen empfohlen:
- Blutbild,
- Elektrolyte (Na, K, Ca),
- Nüchtern-Blutzucker,
- TSH,
- Blutsenkung oder CRP,
- GOT, Gamma-GT,
- Kreatinin, Harnstoff und
- Vitamin B12.
Im Falle klinisch unklarer Situationen oder bei spezifischen Verdachtsdiagnosen sollen gezielte weitergehende Laboruntersuchungen durchgeführt werden.
Eine isolierte Bestimmung des Apolipoprotein-E-Genotyps als genetischer Risikofaktor wird aufgrund mangelnder diagnostischer Trennschärfe und prädiktiver Wertigkeit im Rahmen der Diagnostik nicht empfohlen (6).
Liquordiagnostik: Regelhaft sollten bestimmt werden: die Zellzahl, das Gesamtprotein, die Laktatkonzentration, die Glukose, der Albuminquotient, die intrathekale IgG-Produktion und oligoklonale Banden. Die Liquordiagnostik dient zum einen dem Ausschluss einer entzündlichen Gehirnerkrankung, zum anderen erlaubt sie eine Differenzierung zwischen primär neurodegenerativen Demenzerkrankungen und anderen Ursachen demenzieller Syndrome.
Die kombinierte Bestimmung der Neurodegenerationsmarker einschließlich beta-Amyloid-1–42, beta-Amyloid-1–40, beta-Amyloid-Ratio, Gesamt-Tau und Phospho-Tau ist der Bestimmung nur eines einzelnen Parameters überlegen und zu empfehlen (1).
Bei der Abnahme von Liquor ist darauf zu achten, dass für die Bestimmung der Neurodegenerationsmarker ein Polypropylenröhrchen verwendet wird.
Zerebrale Bildgebung: Die zerebrale strukturelle Bildgebung dient der Aufdeckung behandelbarer Ursachen einer Demenz (zum Beispiel Tumor, subdurales Hämatom, Normaldruckhydrozephalus) und der ätiologischen Differenzierung primärer Demenzerkrankungen. Bei Verfügbarkeit – und wenn keine Kontraindikationen vorliegen – sollte eine kraniale Kernspintomographie durchgeführt werden.
Bei Unsicherheiten in der Differenzialdiagnostik stehen weitere funktionelle Bildgebungsverfahren, die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), zur Verfügung (FDG-PET, Amyloid-PET und an manchen Zentren auch das Tau-PET).
Schweregradeinteilung und Behandlung
Die der Alzheimererkrankung zugrunde liegenden neuropathologischen Veränderungen lassen sich anhand der heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten (Amyloid- und Tauveränderungen durch Neurodegenerationsmarker im Nervenwasser oder das Amyloid- beziehungsweise Tau-PET) bereits im präklinischen/prodromalen Stadium diagnostizieren (Grafik 2).
Das Prodromalstadium der Alzheimererkrankung zeichnet sich durch das Vorhandensein dieser neuropathologischen Biomarker und eine leichte kognitive Störung (MCI), eine episodische Gedächtnisstörung, aus. Eine ausführliche Beratung sollte in diesem Stadium individuell im Kontext der aktuellen Lebenssituation und Planung sowie aufgrund der derzeit noch limitierten evidenzbasierten Therapiemöglichkeiten erfolgen. Die leichte, mittelgradige und schwere Demenz charakterisiert das nachfolgende klinische Stadium der Alzheimererkrankung.
Leitlinien- und stadiengerechte Therapie
Die Leitlinien- und stadiengerechte pharmakologische Therapie der Alzheimer-Demenz und der gemischten Demenz setzt sich zusammen aus der Behandlung der Kernsymptomatik der Demenz und, falls notwendig, einer Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen.
Die Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sind wirksam in Hinsicht auf die Fähigkeit zur Verrichtung von Alltagsaktivitäten, auf die Besserung kognitiver Funktionen und auf den ärztlichen Gesamteindruck bei der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz (1). Es soll hierbei die höchste verträgliche Dosis angestrebt werden.
Memantin ist wirksam auf die Kognition, Alltagsfunktion und den klinischen Gesamteindruck bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz. Eine Add-on-Behandlung mit Memantin bei Patienten, die Donepezil erhalten, ist der Monotherapie mit Donepezil bei schwerer Alzheimer-Demenz (MMST 5–9 Punkte) überlegen.
Die Therapie der vaskulären Demenz orientiert sich an der Behandlung relevanter vaskulärer Risikofaktoren und Grunderkrankungen, die zu weiteren vaskulären Schädigungen führen können.
Für die Frontotemporale Demenz und die Lewy-Körperchen-Demenz steht keine evidenzbasierte Therapieempfehlung zur Verfügung.
Bei der Demenz für die Parkinsonkrankheit kann Rivastigmin empfohlen werden.
Psychosoziale Interventionen sind zentraler und notwendiger Bestandteil der Betreuung von Menschen mit Demenz und der Angehörigen. Sie umfassen unter anderem kognitives Training, kognitive Stimulation, Ergotherapie, Realitätsorientierung, körperliche Aktivierung, multisensorische Verfahren und angehörigenbezogene Interventionen. ▄
DOI: 10.3238/PersNeuro.2015.08.17.03
Univ.-Prof. Dr. med. Kathrin Reetz
Univ.-Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz
Gedächtnisambulanz, Klinik für Neurologie, Uniklinik RWTH Aachen
Interessenkonflikt: Herr Schulz erhielt Honorare für Beratertätigkeiten im Advisory Board von Novartis, Lilly, Teva, Daichii Sankyo und Schwabe sowie für Vorträge von Bayer und Boehringer.
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3315
(commissioned by the Social Care Institute for Excellence and the National Institute for Health and Clinical Excellence); Dementia 2007.
1. | DGN DGfN: S3-Leitlinie „Demenzen“: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN); 2009. |
2. | Folstein MF, Folstein SE, McHugh PR: „Mini-mental state“. A practical method for grading the cognitive state of patients for the clinician. Journal of psychiatric research 1975; 12: 189–98 CrossRef |
3. | Kalbe E, Kessler J, Calabrese P, Smith R, Passmore AP, Brand M, et al.: DemTect: a new, sensitive cognitive screening test to support the diagnosis of mild cognitive impairment and early dementia. International journal of geriatric psychiatry 2004; 19: 136–43 CrossRef MEDLINE |
4. | Nasreddine ZS, Phillips NA, Bedirian V, Charbonneau S, Whitehead V, Collin I, et al.: The Montreal Cognitive Assessment, MoCA: a brief screening tool for mild cognitive impairment. Journal of the American Geriatrics Society 2005; 53: 695–9 CrossRef MEDLINE |
5. | Costa AS, Fimm B, Friesen P, Soundjock H, Rottschy C, Gross T, et al.: Alternate-form reliability of the Montreal cognitive assessment screening test in a clinical setting. Dementia and geriatric cog- nitive disorders 2012; 33: 379–84 CrossRef MEDLINE |
6. | A NICE-SCIE Guideline on supporting people with dementia and their carers in health and social care. National clinical practice guideline. National Collaborating Centre for Mental Health (commissioned by the Social Care Institute for Excellence and the National Institute for Health and Clinical Excellence); Dementia 2007. |