ArchivDeutsches Ärzteblatt35-36/2015Arztrecht: Wann Ärzte schweigen müssen

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Arztrecht: Wann Ärzte schweigen müssen

Weichelt, Rüdiger D.; Seichter-Mäckle, Diana

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Foto: Fotolia/Mi.Ti.
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Die ärztliche Schweigepflicht gilt umfassend. Doch sind Ärzte in der täglichen Praxis mitunter unsicher, in welchem Umfang und innerhalb welcher Grenzen sie diese standesethische Pflicht zwingend zu befolgen haben – und wann nicht.

Die ärztliche Schweigepflicht bedeutet, dass Ärzte über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut wurde oder bekannt geworden ist, auch über den Tod des Patienten hinaus, zu schweigen haben. Rechtsgrundlage ist § 203 Strafgesetzbuch (StGB) in Verbindung mit § 9 der Musterberufsordnung für Ärztinnen und Ärzte (MBO). Dies gilt nicht für Informationen, die der Arzt außerhalb der Behandlung zufällig wahrnimmt, etwa eine Schlägerei auf dem Krankenhausflur oder auf dem Besucherparkplatz.

Die Schweigepflicht ist weit auszulegen und umfasst nicht nur die Art der Krankheit und ihren Verlauf, sondern auch Anamnese, Diagnose, Therapiemaßnahmen, Prognose, psychische Auffälligkeiten, körperliche und geistige Mängel oder Besonderheiten, Patientenakten, Röntgenaufnahmen, Untersuchungsmaterial und Untersuchungsergebnisse sowie sämtliche Angaben über persönliche, wirtschaftliche, familiäre, berufliche und finanzielle Gegebenheiten des Patienten. Der Arzt muss sogar über die Identität des Patienten schweigen und darüber, dass sich der Patient überhaupt bei ihm in Behandlung befunden hat.

Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die Schweigepflicht

  • Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, erhält nach § 203 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe.
  • Neben der strafrechtlichen Verantwortung des Arztes besteht eine zivilrechtliche Haftung über § 823 II Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 203 StGB auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld. Auch kann eine Verletzung des Arzt-Patienten-Vertrags wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts geltend gemacht werden. Beispiel: Ein Psychiatrieprofessor, der in einem Ehescheidungsprozess Atteste über den geistigen Zustand des Ehemanns an die klagende Ehefrau weitergegeben hatte, musste wegen Persönlichkeitsverletzung 15 000 Euro Schadensersatz zahlen.
  • Darüber hinaus kann die zuständige Ärztekammer Maßnahmen wegen eines Verstoßes gegen § 9 der Berufsordnung ergreifen. Diese reichen von einer Warnung oder einem Verweis bis hin zu einer Geldbuße bis 50 000 Euro und zur Aberkennung der Mitgliedschaft.

Diese Rechtsfolgen betreffen per se auch ärztliche Hilfspersonen, Studenten oder Mitarbeiter in einer Verrechnungsstelle. Auch die Weitergabe an einen selbst schweigepflichtigen Arztkollegen oder Dienstvorgesetzten verstößt gegen § 203 StGB und den Krankenhausvertrag, soweit dieser Arzt nicht selbst mit der Behandlung des Kranken befasst ist. Ausnahme: Ärzte behandeln nacheinander denselben Patienten.

Ausnahmen und Grenzen der Schweigepflicht

In folgenden Fällen stößt die ärztliche Schweigepflicht an ihre Grenzen:

  • Einwilligung des Patienten: Voraussetzung für das Brechen der Schweigepflicht ist, der Patient hat nach außen erkennbar eingewilligt, ist einwilligungsfähig (kein Zwang, Drohung oder Täuschung), Träger des verletzten Rechtsguts, und das beeinträchtigte Rechtsgut unterliegt seiner Disposition (zu verneinen beim Rechtsgut „Leben“).
  • Mutmaßliche Einwilligung des Patienten, etwa Bewusstlose: Voraussetzung ist, der Arzt darf davon ausgehen, dass der Patient im Fall seiner Befragung mit der Offenbarung einverstanden wäre oder wenn offenkundig ist, dass der Patient auf eine Befragung keinen Wert legt.
  • Gesetzliche Offenbarungspflichten: Sie gelten nur in der gesundheitspolizeilichen Vorsorge (Infektionsschutzgesetz, Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten), bei personenstandsrechtlichen Meldepflichten (Geburt oder Tod) und um geplante schwere Verbrechen zu verhindern. Hinweis: Diese Regelung bezieht sich nur auf geplante und nicht auf bereits begangene Straftaten und betrifft nur schwere Straftaten wie Mord, Totschlag, Völkermord, Menschenhandel, Menschenraub, Raub oder räuberische Erpressung. Eine ärztliche Meldepflicht, wie sie in anderen westeuropäischen Ländern gesetzlich verankert ist, gibt es in Deutschland hingegen nicht. So hat ein Arzt Schuss- oder Stichverletzungen im Rahmen der Verbrechensaufklärung nicht zu melden. Grund: Eine ärztliche Meldepflicht würde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schädigen. Gleichzeitig verpflichtet dies jedoch einen notfallbehandelnden Arzt dazu, über einen Disco-Schläger oder Trunkenheitsfahrer gegenüber der Polizei Stillschweigen zu bewahren, vorbehaltlich etwaiger richterlich angeordneter Beschlagnahmen, körperlicher Untersuchungen oder Blutprobenentnahmen.

Grauzone mit ungewissem Ausgang

  • Offenbarungsrechte des Arztes: Ärzte können ihr Schweigen brechen, um nicht unbegründet strafrechtlich verfolgt zu werden, um Behauptungen zu widerlegen, die ihrem beruflichen Ansehen schaden und um Honorarforderungen durchzusetzen.

Ein Sonderfall ist das Offenbarungsrecht bei kollidierenden Rechtsgütern Einzelner oder der Allgemeinheit (§ 34 StGB „rechtfertigender Notstand“). Beispiele: Fahruntauglichkeit, Aids-Erkrankung, Geisteskrankheit, Kindesmisshandlungen. Diese Fälle geben dem behandelnden Arzt die Möglichkeit, die Schweigepflichtverletzung nachträglich zu rechtfertigen. Doch agiert der Arzt stets in einer rechtlichen Grauzone mit ungewissem Ausgang, nachdem er eine Güterabwägung zwischen Schweigerecht und Schutz der Allgemeinheit, etwa vor fahruntauglichen Fahrern, vorgenommen hat. In einer öffentlichen Verhandlung müsste der betroffene Arzt und mithin auch das Krankenhaus als Arbeitgeber mit schweren wirtschaftlichen Nachteilen durch Imageverlust rechnen, selbst wenn die Voraussetzungen des § 34 StGB vorgelegen haben.

Deshalb empfiehlt sich zunächst die Wahl „des milderen Mittels“. Beispiel: Ärzte sollten darauf hinwirken, dass der an Aids-Erkrankte seiner Ehefrau die Diagnose selbst mitteilt oder dass der Fahruntaugliche gegebenenfalls mit Hilfe der Familie selbst den Führerschein abgibt. Erst in letzter Konsequenz sollte der Arzt überhaupt in Erwägung ziehen, seine ärztliche Schweigepflicht zu brechen, um straf-, zivil- und berufsrechtliche Sanktionen für sich auszuschließen.

Rechtsanwalt Rüdiger D. Weichelt,

Rechtsanwältin Diana Seichter-Mäckle,

Seichter Rechtsanwälte, Laupheim



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