TECHNIK
Aortenklappenersatz: Therapieoption für junge Patienten
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Dezellularisierte menschliche Herzklappen können eine Alternative bei Kontraindikationen für einen mechanischen Klappenersatz darstellen.
Bei der Wahl des Klappenersatzverfahrens ergibt sich gerade für jüngere Patienten mit der Indikation zum Ersatz der Aortenklappe ein Dilemma. Einerseits spricht die hohe Lebenserwartung gegen biologische Herzklappenprothesen, die absehbare Re-Eingriffe mit sich bringen würden. Andererseits besteht immer häufiger der Patientenwunsch, eine Antikoagulation zu vermeiden, wie sie bei mechanischen Klappenprothesen dauerhaft erforderlich ist. Hinzu kommt, dass auch unter konsequenter und engmaschig kontrollierter Einnahme der blutverdünnenden Medikamente thrombembolische und hämorrhagische Komplikationen auftreten (bis zu 4,5 Prozent pro Patientenjahr) und bei jahrzehntelanger Einnahme also ein relevantes Risiko für die jungen Patienten besteht (1).
Mit den Methoden des kardialen Tissue Engineering (TE) hat man in der letzten Dekade versucht, Herzklappen zu entwickeln, die diese Nachteile nicht mit sich bringen. Prinzipiell gibt es zwei Verfahren. Dabei haben sich komplett artifizielle Konstrukte aus Polymer-Gerüsten, mit und ohne Stammzellbesiedlungen, als (noch) nicht dauerhaft belastbar erwiesen. Sie befinden sich weiter im Tierversuchsstadium (2).
Mechanische Stabilität und Haltbarkeit als Anforderungen
Bessere Ergebnisse haben Ansätze gezeigt, die vorhandene biologische Gerüste (Matrix) von tierischen und menschlichen Herzklappen als Ausgangspunkt des Tissue Engineering verfolgt haben. Dezellularisierungsmethoden sind entwickelt worden, entweder auf enzymatischer Basis oder durch Detergenzien, die zu einer massiven Verringerung der Spenderantigene führen. Die wichtigsten Punkte, die mechanische Stabilität und die dauerhafte Haltbarkeit des verbleibenden Kollagengerüstes, entsprechen für menschliche (allogene) dezellularisierte Herzklappen nahezu der von nativen humanen Klappen. Tierische (xenogene) Matrices scheinen etwas weniger stabil und erfordern teilweise zusätzliche externe Verstärkungen. Sie haben zusätzlich den Nachteil, dass tierisches Kollagen trotz der Prozessierung noch immunogen ist (3).
Zu Beginn der Entwicklung „Tissue engineerter“ Herzklappen wurde großer Forschungsaufwand für die in-vitro Besiedelung der Matrix, sei sie artifiziell oder biologischer Herkunft, betrieben, da nach damaliger Auffassung eine Besiedelung mit autologen Stammzellen als wesentlich für die Integration der Klappenkonstrukte angesehen wurde. Dieser aufwendige und den Patienten belastende Weg der Stammzellentnahme und mehrwöchiger Inkubation im pulsatilen Bioreaktor vor der Implantation wurde verlassen, da zum Teil bakterielle Kontaminationen auftraten und zu Verlusten von Implantaten führten. In Langzeitversuchen im Tiermodell wurde darüber hinaus von verschiedenen Arbeitsgruppen eine spontane Re-Besiedelung mit verschiedenen körpereigenen Zellen beobachtet, die vom Gefäßlumen und bevorzugt von der Adventitia her stattfindet und somit eine Regeneration der Matrix ermöglichen kann (4).
Ein Team um Prof. Dr. med. Axel Haverich hat sich an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) seit 1996 mit verschiedenen Dezellularisierungsmethoden von humanen Herzklappen (Homografts) beschäftigt. Homografts werden seit mehr als 50 Jahren zum Ersatz der Aortenklappe verwendet und zeigen von allen Klappenersatzverfahren die besten hämodynamischen Ergebnisse. Die durch die Dezellularisierung resultierende Matrix einer menschlichen Herzklappe besitzt eine sehr gute mechanische Stabilität und lässt sich aufgrund ihrer plastischen Eigenschaften chirurgisch ausgezeichnet implantieren.
Das Verfahren zur Dezellularisierung mittels Na-Laurylsulfat und Na-Desoxycholat führt zu einer fast vollständigen Entfernung der Spenderantigene; die DNA des Spenders wird zu 99 Prozent entfernt. Im Empfänger konnten nach Implantation einer derartigen Herzklappe kaum zelluläre oder Antikörper-Reaktionen nachgewiesen werden (5, 6).
Die klinischen Ergebnisse dezellularisierter Herzklappen sind trotz der noch verhältnismäßig kurzen Nachbeobachtungszeit als hervorragend zu bezeichnen. Dezellularisierte Pulmonalklappen zum Lungenschlagaderersatz erscheinen besser als der bisherige Goldstandard kryokonservierte Homografts 7, 8). Seit 2005 wurden mehr als 120 dezellularisierte Pulmonalklappen implantiert, bisher erfolgte keine Explantation wegen Degeneration in einer Gesamtbeobachtungszeit von 430 Patientenjahren (9). Seit 2008 wurden 59 Aortenklappen implantiert, die Gesamtbeobachtungszeit dieser beträgt 120 Patientenjahre.
Implantation als Aortenwurzelersatz
Dezellularisierte Aortenklappen stellen insbesondere bei Kindern und jungen Erwachsenen oder bei Kontraindikationen für andere Klappenersatzverfahren eine vielversprechende Alternative dar (Tabelle; siehe auch das Video einer Patientin, die durch eine dezellularisierte Aortenklappe ihr zweites Kind bekommen konnte: http://arise-clinicaltrial.eu/news0/videos.html).
Die Implantation erfolgt als Aortenwurzelersatz mit Re-Implantation der Koronarien, was den Eingriff technisch anspruchsvoller als einen supra- oder intraanulären Ersatz macht. Dem gegenüber steht eine bessere Hämodynamik: So liegt die Klappenöffnungsfläche einer 23 mm xenogen biologischen Aortenklappe bei circa 1,7 bis 2,0 cm2. Die mittlere Klappenöffnungsfläche bei im Durchschnitt 22,4 ± 3,9 mm großen TE-Aortenklappen liegt dagegen bei 2,8 ± 0,3 cm2 (10).
Dezellularisierte Homografts bieten die Möglichkeit, auch schwierige anatomische Situationen nach vorangegangenen Eingriffen oder bei angeborenen Vitien zu versorgen oder einen gleichzeitigen Ersatz einer dilatierten Aorta ascendens mit einem langen Graft durchzuführen (Abbildung 1 d).
Die Prozessierung erfolgt in den Reinräumen der Firma corlife oHG, einem kleinen Start-up, das sich unter anderem auf Gewebezubereitungen spezialisiert hat (www.corlife.eu). Corlife hat ab 2010 die Zulassung für dezellularisierte Homografts zum Herzklappenersatz auf den Weg gebracht. Im August 2013 hat das Paul-Ehrlich-Institut als zuständige Bundesoberbehörde die „dezellularisierte humane Pulmonalklappe, Espoir PV“ genehmigt, und im Juli 2015 folgte die „dezellularisierte humane Aortenklappe, Arise AV“. Corlife hat damit begonnen, Kooperationsverträge mit verschiedenen Homograft-Banken und Kliniken abzuschließen, um eine breitere Verfügbarkeit von dezellularisierten Homografts für die Patientenversorgung zu ermöglichen. Begleitend dazu werden europaweit Beobachtungsstudien für dezellularisierte Pulmonal- und Aortenklappen durchgeführt, die von der Europäischen Kommission unterstützt werden und auch der Verbreitung dieser Technologien innerhalb Europas dienen (11).
Zusammengefasst steht mit diesem neuartigen Verfahren zum Aortenklappenersatz eine weitere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung, die insbesondere für jüngere Patienten, Patientinnen mit Kinderwunsch oder Patienten mit Kontraindikationen für einen mechanischen Klappenersatz eine Alternative darstellen kann.
Samir Sarikouch, Igor Tudorache, Serghei Cebotari, Alexander Horke, Axel Haverich*
Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Andres Hilfiker
Leibniz Forschungslaboratorien für
Biotechnologie und Artefizielle Organe (LEBAO) –
Exzellenzcluster REBIRTH, MHH
*unter Mitarbeit von Michael Harder, corlife oHG, Hannover
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3515
oder über QR-Code.
1. | Svensson LG, Adams DH, Bonow RO, et al.: Aortic valve and ascending aorta guide lines for management and quality measures. Ann Thorac Surg, 2013 Jun; 95(6 Suppl): 1–66 CrossRef MEDLINE |
2. | Emmert MY, Weber B, Behr L, et al.: Transcatheter aortic valve implantation using anatomically oriented, marrow stromal cell-based, stented, tissue-engineered heart valves: technical considerations and implications for translational cell-based heart valve concepts. Eur J Cardiothorac Surg, 2014 Jan; 45(1): 61–8 CrossRef MEDLINE |
3. | Kasimir MT, Rieder E, Seebacher G, et al.: Decellularization does not eliminate thrombogenicity and inflammatory stimulation in tissue-engineered porcine heart valves. J Heart Valve Dis, 2006 Mar; 15(2): 278–86 MEDLINE |
4. | Della Barbera M, Valente M, Basso C, Thiene G: Morphologic studies of cell endogenous repopulation in decellularized aortic and pulmonary homografts im- planted in sheep. Cardiovasc Pathol, 2015 Mar-Apr; 24(2):102–9 CrossRef MEDLINE |
5. | Neumann A, Sarikouch S, Breymann T, et al.: Early systemic cellular immune response in children and young adults receiving decellularized fresh allografts for pulmonary valve replacement.Tissue Eng Part A, 2014 Mar; 20(5–6): 1003–11 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
6. | Böer U, Schridde A, Anssar M, et al.: The immune response to crosslinked tissue is reduced in decellularized xenogeneic and absent in decellularized allogeneic heart valves. Int J Artif Organs, 2015 May 7; 38(4): 199–209 CrossRef MEDLINE |
7. | Neumann A, Cebotari S, Tudorache I, Haverich A, Sarikouch S: Heart valve engineering: decellularized allograft matrices in clinical practice. Biomed Tech (Berl), 2013 Oct; 58(5): 453–6 CrossRef MEDLINE |
8. | Cebotari S, Tudorache I, Ciubotaru A, et al.: Use of fresh decellularized allografts for pulmonary valve replacement may reduce the reoperation rate in children and young adults: early report. Circulation, 2011 Sep 13; 124(11 Suppl): 115–23 CrossRef MEDLINE |
9. | Sarikouch S, Horke A, Tudorache I, et al.: Decellularized Fresh Homografts for Pulmonary Valve Replacement: A Decade of Clinical Experience. EACTS, October 2015: Abstract ID 6984. |
10. | Tudorache I, Horke A, Sarikouch S, et al.: Decellularized homografts for aortic valve and aorta ascendens replacement. EACTS, October 2015: Abstract ID 7380. |
11. | www.arise-clinicaltrial.eu ; www.espoir-clinicaltrial.eu . |
12. | Sievers HH, Stierle U, Charitos EI, et al.: A multicentre evaluation of the autograft procedure for young patients undergoing aortic valve replacement: update on the German Ross Registry. Eur J Cardiothorac Surg, 2015 Feb [Epub ahead of print] CrossRef |
13. | El-Hamamsy I, Eryigit Z, Stevens LM, et al.: Long-term outcomes after autograft versus homograft aortic root replacement in adults with aortic valve disease: a randomised controlled trial. Lancet, 2010 Aug 14; 376(9740): 524–31 CrossRef |