ArchivDeutsches Ärzteblatt37/2015Ursache generatives Verhalten
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Unfertilisierte Oozyten zur Kryo-Konservierung zu entnehmen, ist im weitesten Sinne die Fortsetzung der Einführung der hormonalen Kontrazeption vor 50 Jahren. Damals wollten die Frauen über den Zeitpunkt einer Schwangerschaft entscheiden. Bei „sozial freezing“ geht es um Ähnliches. Ein Unterschied ist der Faktor Zeit. Damals wurde der Kinderwunsch innerhalb der fertilen Phase verschoben, also bis 35 Jahre. Durch soziale Veränderungen sehen heute einige Frauen dieses Alter als zu früh für eine Mutterschaft an. Sie streben im Alter von 35 Jahre die Oozyten-Gewinnung an, bevor zu hohe genetische Risiken für das später geplante Kind auftreten.

Die gesellschaftlichen Gründe höheren Alters bei der ersten Geburt sind zu akzeptieren. Älter als 35 Jahre bei der ersten Geburt sind in Deutschland 23 % der Frauen, in Spanien 33 % und in Italien 31 %. In Bulgarien und Rumänien mit jeweils 12 % der Frauen ist die Situation wie bei uns in früheren Zeiten (1965 in den USA und in Deutschland circa 5 %). Wenn sich in den nächsten Jahren die Bildungschancen für Frauen in diesen Ländern erhöhen, wird auch das Durchschnittalter der Erstgebärenden steigen.

Die Entwicklung hat Konsequenzen für die Geburtsmedizin, exemplarisch dazu der Geburtsmodus. In letzteren beiden EU-Ländern ist die Sectio-Frequenz halb so hoch wie in den anderen drei EU-Ländern – mit jeweils 30 %. Dies wird wesentlich determiniert durch höheres Sicherheitsbedürfnis bei der Geburt mit zunehmendem Alter. Das ist assoziiert mit höherem Bildungsstatus, der auch bewussteres Nachdenken über Geburtsrisiken auslöst. Dazu gehört exemplarisch das höhere Risiko von Beckenboden-Schäden mit Prolaps (15 % [1]) und Inkontinenzfolge (30 % [2]) bei höherem Gebäralter. Solche Urogenitalprobleme können auf das Leben verkürzend wirken – nach einer aktuellen Schweizer Studie verkürzt es das Leben bis zu 20 Jahren (3) bei Frauen. Die Sectiofrequenz bei über 40-Jährigen wird durch „social freezing“ weiter ansteigen.

Fazit: Der Bedarf an „social freezing“ gehört zur konsequenten Fortentwicklung des generativen Verhaltens durch soziale Faktoren.

DOI: 10.3238/arztebl.2015.0612a

Prof. Dr. med. Dipl. Psych. J. M. Wenderlein

Universität Ulm

wenderlein@gmx.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1.
Gyhagen M, Bullarbo M, Nielsen TF, Milsom I: The prevalence of urinary incontinence 20 years after childbirth: a national cohort study in singleton primipara after vaginal or caesarean delivery. BJOG 2013; 120: 152–60 CrossRef MEDLINE
2.
Svare JA, Hansen BB, Lose G: Risk factors for urinary incontinence 1 year after the first vaginal delivery in a cohort of primiparous Danish women. Int Urogynecol J 2014; 25: 47–51 CrossRef MEDLINE
3.
John G, Gerstel E, Jung M, et al.: Urinary incontinence as a marker of higher mortality in home care patients. BJU Int 2014 13; 113–9 CrossRef MEDLINE
4.
von Wolff M, Germeyer A, Nawroth F: Fertility preservation for non-medical reasons—controversial, but increasingly common. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 27–32 VOLLTEXT
1.Gyhagen M, Bullarbo M, Nielsen TF, Milsom I: The prevalence of urinary incontinence 20 years after childbirth: a national cohort study in singleton primipara after vaginal or caesarean delivery. BJOG 2013; 120: 152–60 CrossRef MEDLINE
2.Svare JA, Hansen BB, Lose G: Risk factors for urinary incontinence 1 year after the first vaginal delivery in a cohort of primiparous Danish women. Int Urogynecol J 2014; 25: 47–51 CrossRef MEDLINE
3.John G, Gerstel E, Jung M, et al.: Urinary incontinence as a marker of higher mortality in home care patients. BJU Int 2014 13; 113–9 CrossRef MEDLINE
4.von Wolff M, Germeyer A, Nawroth F: Fertility preservation for non-medical reasons—controversial, but increasingly common. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 27–32 VOLLTEXT

Fachgebiet

Der klinische Schnappschuss

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