POLITIK
Halbzeitbilanz: Hermann Gröhe und sein Ministeramt
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Seit fast zwei Jahren steht Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) im Mittelpunkt des Gesundheitswesens – von Anfang an fleißig, freundlich und kommunikativ. Diese Seite zeigt er auch auf seiner Sommertour durch Deutschland.
Wenn Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sich eine Rolle in einer TV-Arztserie aussuchen könnte, wüsste der CDU-Politiker, wen er definitiv nicht verkörpern wollte: „Sicherlich nicht den Arzt“, stellt er Mitte August in Erfurt klar. Die thüringische Landeshauptstadt ist eine der sechs Stationen seiner diesjährigen Sommerreise mit Journalisten, bei der Gröhe sehr unterschiedliche Projekte, Initiativen und Einrichtungen im Gesundheitswesen besucht. Dazu gehören das Unfallkrankenhaus in Berlin, Forschungseinrichtungen in Marburg, ein Präventionskurs in Köln, die St. Augustinus-Kliniken in Neuss und ein Biotech-Unternehmen in Hilden.
Am Set der TV-Serie „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“ in Erfurt will er mit den verantwortlichen Produzenten auch über die gesellschaftliche Relevanz und Verantwortung von Arztserien sprechen: Ob man nicht einmal das Thema Impfen aufnehmen könne? Oder Vorsorgeuntersuchungen? Die TV-Produzenten reagieren verhalten, verweisen auf ihre langen Produktionszeiten und Planungen, finden: „Serien sind Unterhaltung und haben keinen Bildungsauftrag.“
Sie werden sich weder vom nachhakenden Minister noch von Fragen der mitreisenden Journalisten aus dem Konzept bringen lassen, das wird schnell klar. Aber auch Gröhe nimmt in Erfurt nicht jeden Vorschlag bereitwillig auf. Die Maskenbildnerin bemüht sich erfolglos, ihn eine Schnittwunde auf den Arm schminken zu dürfen, die vom Assistenzarzt-Darsteller Philipp Danne untersucht werden soll. Das überlässt Gröhe der örtlichen CDU-Abgeordneten Antje Tillmann, sie muss diese Showeinlage für ihn übernehmen.
So ist Gröhe: Er spielt nicht den Arzt, der er nicht ist, und er lässt nicht mit sich spielen. Das hat er in den knapp zwei Jahren seiner Amtszeit deutlich gemacht. Er hat sich öffentlich nicht zu vollmundigen Absichtsklärungen oder markigen Ankündigungen hinreißen lassen, sich zurückgehalten, eingearbeitet, zugehört und nachgefragt, wie viele berichten. Erstaunt registrierten viele langjährige gesundheitspolitische Interessenvertreter, dass der fachlich unbewanderte Gröhe seit Amtsantritt Vorhaben um Vorhaben anstieß.
Gröhe und die Ärzte
Viele davon lösten kritische Anmerkungen und Proteste der Selbstverwaltung aus, doch die Zahl der Gesetzesinitiativen ohne lautes, öffentliches Geschrei ist im Vergleich zu vielen seiner Vorgänger beachtlich. Die eigene Arbeit und Vorhaben des Ministeriums frühzeitig auf Plakaten anzukündigen und zu loben, so wie es manche Minister taten, ist dabei definitiv nicht Gröhes Art.
Bei ärztlichen Organisationen und Verbänden ist das Meinungsbild zu Gröhe vielschichtig. Häufig wird kritisiert, dass er zu stur den Koalitionsvertrag abarbeite und zu wenig Einwände und Anregungen zulasse. Persönlich finden ihn im Grunde alle zu- und umgänglich: Er bleibt bei Winterempfängen und Sommerfesten nicht nur ein halbes Stündchen, sondern gern länger – das schätzen die Gastgeber. Beim Neujahrsempfang in der Berliner Dependance des Deutschen Hausärzteverbands blieb Gröhe geraume Zeit, obwohl es voll und eng war. Beim diesjährigen Sommerfest der Allianz Deutscher Ärzteverbände in einem schattigen Garten holte er sich Bier und Gegrilltes und fand Zeit, mit vielen zu plaudern.
Gröhe und die Kollegialität
Dass es nicht immer heiter zugeht, wenn Ärztevertreter zusammenkommen, weiß er wohl – und hat über ein solches Erlebnis während der Sommerreise erzählt: Die Ereignisse im Vorfeld seines ersten Neujahrsempfangs im Berliner KaDeWe im Jahr 2014, als der damalige Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Köhler, seinen Rückzug ankündigte, haben ihn überrascht und wohl auch schockiert. Damals drangen Details zu den heftigen Differenzen im KBV-Vorstand an die Öffentlichkeit. Als Gröhe beim traditionellen Empfang von Bundesärztekammer (BÄK), KBV, Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung Berlin sprach, mahnte er: „Für die ärztliche Selbstverwaltung wünsche ich mir einen kollegialen und respektvollen Umgang.“
Gröhe und die Forschung
Auch beim Zwischenstopp in Marburg geht es um Kollegialität. Wie finden Wissenschaftler und Mediziner verschiedener Disziplinen, die komplexe Krankheitsbilder erforschen und Patienten versorgen, besser zusammen? Auf den Marburger Lahnbergen kann Gröhe eine der modernsten Medizintechnikanlagen der Welt besichtigen. Im Ionenstrahl-Therapiezentrum sollen – nach jahrelangen Querelen zwischen dem Land Hessen, der Rhön Klinikum AG sowie der Siemens AG – ab Oktober Patienten bestrahlt werden. Eigentlich hätte das bereits seit 2012 passieren sollen. Doch es war ein „ganz ganz schwieriger Weg“, wie alle Beteiligten betonen und ausführlich begründen.
Der politische Streit seiner Parteifreunde in Hessen interessiert den Gesundheitsminister auf dieser Station seiner Reise wenig. Er will sich über den Stand der Forschung bei Krebserkrankungen, Parkinson und Demenz informieren. „Man sagt mir immer: Schau nicht nur auf die Spitzenzentren in Heidelberg, Berlin oder Hamburg. Schau auch auf die kleinen Städte“, hat Gröhe zuvor über sein Ziel erzählt. Verantwortliche der Universitätsklinik Marburg, aber auch der Universitätsmedizin in Heidelberg, die künftig beim Ionenstrahl-Therapiezentrum kooperieren werden, zeigen ihm ausführlich, wie die Patientenversorgung in der High-Tech-Anlage demnächst funktionieren soll. Ohne die Zusammenarbeit zwischen Physikern und Medizinern gäbe es solche Anlagen nicht.
Ein Raunen geht durch den Saal, als die Kaufmännische Direktorin der Heidelberger Uniklinik, Irmtraut Gürkan, erzählt, dass an ihrem Standort die gesetzlichen Krankenkassen die Ionen-Therapie zahlten, private Krankenversicherungen aber oft nicht. „Nach Verhandlungen im Einzelfall natürlich auch“, ergänzt Gröhe später. Das findet er wichtig: „Der deutsche Anspruch ist: Spitzenmedizin muss allen Menschen zur Verfügung stehen.“
Gröhe und die Ethik
Zuwendung, Menschlichkeit und Ethik – das sind Themen, die Gröhe sehr bewegen, wie die Liste der angestoßenen und umgesetzten Gesetzesvorhaben in den letzten zwei Jahren belegt. BÄK-Präsident Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery hatte dieses Interesse bereits in einem Interview im Frühjahr 2014 angesprochen. Gröhe habe „schnell klargemacht, dass er sein Amt nicht als Krankenkassenminister versteht, sondern auch moralisch-ethische Fragen in seine Überlegungen einbezieht“, sagte Montgomery damals dem Deutschen Ärzteblatt. Dabei sei man durchaus auf einer Wellenlänge. Gröhe richtete in seinem Ministerium in den vergangenen Monaten ein Referat für Ethik im Gesundheitswesen ein – als erster Minister, wie er betont.
Gleichwohl hat Gröhe nun auf der Sommerreise klar gemacht, dass für ihn Hightech in der Medizin und Zuwendung kein Widerspruch sein müssen. „Mich ärgert es gelegentlich, wenn in vielen Zusammenhängen fast verächtlich über Apparatemedizin gesprochen wird“, sagte er. Hieran werde schließlich doch sichtbar, was die Medizin heute leisten könne. Dass dieses Potenzial im Einzelfall Probleme bereiten kann, leugnet er nicht: „Wir brauchen eine ethische Diskussion, wie man mit einem Wissensvorsprung dank moderner Medizin umgeht.“
Gröhe und die digitale Welt
Die Telematik-Infrastruktur ist neben der (inzwischen abgeschlossenen) Suche nach einem neuen Begriff von Pflegebedürftigkeit und dem (verabschiedeten) Präventionsgesetz eines der Vorhaben, über das Jahre gestritten wurde – und das möglicherweise auch noch in dieser Legislaturperiode abgearbeitet wird. „Die Telematik-Infrastruktur dürfte eines der größten Digitalisierungsprojekte weltweit sein“, sagt Gröhe auf seiner Reise. „Das ist auch industriepolitisch interessant“, fügt er hinzu. Beinahe hätte er im Bus, irgendwo auf der Autobahn zwischen Marburg und Köln, sogar seine Gesundheitskarte aus dem Portemonnaie gezogen. „Auf meiner Gesundheitskarte ist ein schönes Passbild“, versichert er. „Doch sie kann noch mehr. Und ich will, dass sie das bald zeigen kann.“
Damit der Minister beim Thema Telematik nicht selbst in die Schusslinie gerät, wird Staatssekretär Lutz Stroppe beim Kurznachrichtendienst Twitter deutlicher: „Start der Gesundheits-IT wurde bis Juni nicht infrage gestellt. Jetzt keine Ausreden. Probebetrieb soll dieses Jahr beginnen“, schreibt er Ende Juli. Und fügt in einem zweiten Eintrag hinzu: „Verträge der Gematik mit Industrie müssen alle einhalten. Digitalisierung des Gesundheitswesens muss fristgerecht kommen.“
Telemedizin, Versorgungsstärkungsgesetz, Ethik, Forschung, Pflege – Gröhe war in den vergangenen Monaten so fleißig, dass man fast Erschöpfungszustände im Bundesgesundheitsministerium vermuten könnte. Zum emsigen Hausherrn an der Berliner Friedrichstraße und am Dienstsitz in Bonn in der Rochusstraße wurde er nach den langen Koalitionsverhandlungen. Am Ende fiel dem damaligen CDU-Generalsekretär und erfolgreichen Wahlkampforganisator sein heutiges Ressort zu. Anfänglich lächelte die Szene, fühlte sich von der Kanzlerin schlecht behandelt, da sie „einen Neuling“ bekommen hatte.
Gröhe und sein Arbeitsstil
Der „Neuling“ hat sich eingearbeitet und Respekt verschafft. Seinen Arbeitsalltag beschreibt er auf der Sommertour als Spagat „zwischen InEK-Studie und dem Gespräch über die Wirklichkeit mit einem Klinikchef vor Ort“. Wenn er Studien des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) liest, Expertisen der Fachabteilungen aus seinem Haus oder auch die Vorschläge der Interessenverbände, bespricht er das gerne mit Weggefährten aus der Praxis – zu Hause in Neuss, dem Wahlkreis, für den er seit 1994 der Bundestagsabgeordnete ist. Dort hält er die Kontakte zu Leitern von Krankenhäusern, Pflege- und Behinderteneinrichtungen. Am letzten Abend der Sommerreise läuft er durch die Altstadt, die Menschen in den Cafés drehen sich um, einige grüßen „ihren“ Abordneten. Er wirkt entspannt, zeigt gerne historische Gebäude von seinem „Nüss“, wie man die Stadt hier am Niederrhein nennt.
Unaufgeregt, fleißig, an der Sache orientiert, Konflikte eher sportlich als ideologisch betrachtend: Das alles schreibt man Gröhes Amtsführung mittlerweile zu. Er bringt Kontrahenten im Gesundheitswesen an einen Tisch, die oft jahrelang nicht mehr miteinander gesprochen haben. Er organisiert seine Gesetzesvorhaben lange im Hintergrund, damit sie nicht vorschnell im Politikbetrieb scheitern. Beispiel: das künftige Pflegeberufegesetz. Es wird nach seiner Aussage seit Monaten hinter den Kulissen mit Länder-Vertretern, den 16 Kultusministerien und Pflegefachverbänden ausgehandelt und abgestimmt.
Plakate werden bei Gröhe erst aufgehängt, wenn ein Gesetz abgeschlossen ist. So hält er es gerade mit der Pflegereform: An der Werbung des Bundesgesundheitsministeriums dafür kommt keiner in Berlin vorbei. Diese Gesetzgebung bedeutet ihm viel. „Das stolze Haus, das vor 20 Jahren ein Christdemokrat geschaffen hat, haben wir jetzt einer gewissen Grundsanierung unterzogen. Darauf bin ich stolz.“
Ob es nun so flott und geräuschlos weitergeht? Wohl kaum. Dafür werden steigende Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der näherrückende Wahlkampf in fünf Ländern im Jahr 2016 und der Bundestagswahl 2017 sorgen. Gröhe wird es vermutlich wieder sportlich nehmen. Zum Tag der offenen Tür der Bundesregierung hat er Ende August das Ministerium geöffnet – und lädt ein zu Fitnessübungen mit dem Gymnastikball.
Rebecca Beerheide, Sabine Rieser