ArchivDeutsches Ärzteblatt41/2015Nobelpreis für Medizin 2015: Scharfe Waffen gegen drei gefürchtete Parasiten

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Nobelpreis für Medizin 2015: Scharfe Waffen gegen drei gefürchtete Parasiten

Grunert, Dustin; Zylka-Menhorn, Vera

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Avermectin und Artemisinin: Arzneimittel gegen armutsassoziierte Erkrankungen

Die drei Parasiten: Der Fadenwurm Brugia malayi (links, Foto: picture alliance/BSIP) kann Elephantiasis und Onchocerca volvulus (Mitte, Foto: picture alliance/BSIP) Flussblindheit auslösen. Plasmodium vivax (rechts, in Blut; Foto: picture alliance/Okapia) verursacht Malaria.
Die drei Parasiten: Der Fadenwurm Brugia malayi (links, Foto: picture alliance/BSIP) kann Elephantiasis und Onchocerca volvulus (Mitte, Foto: picture alliance/BSIP) Flussblindheit auslösen. Plasmodium vivax (rechts, in Blut; Foto: picture alliance/Okapia) verursacht Malaria.

Seit Jahrtausenden ist die Menschheit parasitären Erkrankungen ausgesetzt, sie gehören zu den großen Gesundheitsproblemen der Welt. Medikamentöse Therapien, die leicht verfügbar sind und geringe Nebenwirkungen haben, sind daher für Millionen Menschen lebensrettend. Der diesjährige Nobelpreis für Physiologie oder Medizin würdigt nun die Entwicklung von Arzneimitteln, die im großen Maß gegen Flussblindheit (Onchozerkiasis), lymphatische Filariose (Elephantiasis) und Malaria eingesetzt werden.

Geehrt werden der gebürtige Ire William C. Campbell und der Japaner Satoshi Omura für die Entdeckung von Avermectin, das die Behandlung der tropischen Flussblindheit und der Elephantiasis nach Ansicht des Nobelkomitees „radikal verändert hat“. Sie erhalten die Hälfte des Preisgeldes in Höhe von etwa 850 000 Euro. Die zweite Hälfte geht an die die chinesische Pharmakologin Youyou Tu für die Entdeckung von Artemisinin, heute das Standardmedikament zur Behandlung der Malaria.

Das Nobelpreiskomitee entschied sich damit wieder für die stark anwendungsbezogene Wissenschaft, nachdem in den vergangenen vier Jahren die Grundlagenforschung bedacht worden war. Die Verbesserung der globalen Gesundheit und die Verminderung des Leidens für Millionen Menschen durch die Wirkstoffe Avermectin und Artemisinin seien unermesslich, heißt es in der Begründung des Nobelkomitees.

Antibakterielle Wirkung zur „Selbstverteidigung“

Avermectin gehört zu einer Gruppe von Neurotoxinen, die als Endprodukte der Fermentation des „Strahlenpilzes“ Streptomyces avermitilis entstehen. Chemisch handelt es sich um Makrolide. Der japanische Mikrobiologe Omura konzentrierte sich bei seiner Forschung auf Bakterien der Gattung Streptomyces, die im Boden leben und dafür bekannt waren, zahlreiche Substanzen mit antibakterieller Wirkung zur „Selbstverteidigung“ zu produzieren (darunter Streptomycin, für dessen Entdeckung Selman Waksman 1952 den Nobelpreis erhielt). Auf diese Weise eliminieren sie konkurrierende Bakterienarten und verschaffen sich einen Wettbewerbsvorteil um Nährstoffe und Lebensraum.

Mit seinen innovativen Methoden zur Kultivierung und Charakterisierung dieser Bakterien isolierte Omura neue Stämme von Streptomyces aus Bodenproben und züchtete sie erfolgreich im Labor. Aus mehreren tausend solcher Kulturen wählte er die 50 vielversprechendsten aus, um sie weiter auf ihre Aktivität gegen pathogene Mikroorganismen zu testen. Eine dieser Kulturen war, wie sich später herausstellte, Streptomyces avermitilis.

Der Biochemiker, Biologe und Parasitologe William C. Campbell, der in den USA arbeitet, erhielt von Omura Bakterienkulturen und testete sie gegen verschiedene Parasiten. Campbell zeigte, dass ein Bestandteil der Kulturen außergewöhnlich wirksam gegen Parasiten in Haus- und Nutztieren war. Der Wirkstoff Avermectin wurde isoliert und chemisch zum noch wirksameren Ivermectin modifiziert.

Ivermectin kam als Arzneistoff zur Behandlung und Vorbeugung von durch Ektoparasiten oder Fadenwürmer hervorgerufene Krankheiten (Parasitose, Helminthiasis) auf den Markt. „Nebenbei“ wurde entdeckt, dass Ivermectin auch gegen Parasiten beim Menschen aktiv ist. Darunter waren auch die Erreger von Flusskrankheit und Elephantiasis. Die Behandlung ist so erfolgreich, dass diese Krankheiten heute beinahe ausgerottet sind, so das Nobelkomitee.

Die Avermectin-Neurotoxine erhöhen bei Wirbellosen die Membrandurchlässigkeit der Nerven- beziehungsweise der Muskelzellen für Chlorid-Ionen. Dies führt zur Hyperpolarisation der Zellmembran und zu einer Blockierung der Erregungsüberleitung – und damit zur Lähmung der Parasiten. Daneben beeinflussen Avermectine in höherer Dosierung auch die Rezeptoren für γ-Aminobuttersäure (GABA) in Synapsen, die GABA als Neurotransmitter nutzen. Die betroffenen Schädlinge werden paralysiert.

Obwohl Ivermectin in Deutschland oral nicht zugelassen ist, hat der Wirkstoff hierzulande sogar eine aktuelle Bedeutung. Wie Prof. Dr. med. Emil C. Reisinger, Direktor der Abteilung Tropenmedizin und Infektionskrankheiten der Universität Rostock, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt erläutert, wird der Wirkstoff im off-label-use eingesetzt, um Läusebefall in Notunterkünften unter Flüchtlingen zu behandeln.

Extrakt aus Artemisia annua war interessanter Kandidat

Die Malaria wurde traditionell mit Chloroquin oder Chinin behandelt, allerdings mit abnehmendem Erfolg, die Erkrankung war wieder auf dem Vormarsch. In den 1960er Jahren wandte sich Youyou Tu im Auftrag der chinesischen Regierung der Naturheilkunde zu, um neue Therapieformen gegen Malaria zu finden. Sie testete zahlreiche pflanzliche Heilmittel an Plasmodium-infizierten Tieren. Ein Extrakt aus der Pflanze Artemisia annua (Einjähriger Beifuß) erwies sich als interessanter Kandidat. Allerdings waren die Ergebnisse nicht konsistent, so dass die chinesische Forscherin ihre Literaturrecherchen intensivierte; dabei entdeckte sie Hinweise, wie die aktive Komponente von Artemisia annua erfolgreich extrahiert werden könnte.

Ihr gelang es nachfolgend als Erste zu beweisen, dass diese Komponente, die später Artemisinin genannt wurde, sowohl bei infizierten Tieren als auch bei Menschen wirksam war. Artemisinin repräsentierte damit eine neue Klasse von Antimalariamitteln. Es wird weltweit zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Stämmen von Plasmodium falciparum, dem Erreger der Malaria tropica, eingesetzt. Als sogenannte Artemisinin-basierte Therapie hat das Mittel die Sterblichkeit an der Malaria um mehr als 20 Prozent, bei Kindern sogar um mehr als 30 Prozent gesenkt.

Der Artemisiningehalt von Pflanzenzüchtungen liegt bei einem Wirkstoffgehalt von bis zu 1,4 Prozent. Aus dem eingedampften Rohextrakt, einem gelben, viskosen Öl, wird Artemisinin durch Umkristallisation gewonnen, jedoch ist dieses Verfahren relativ teuer und folglich ist der Preis hoch. Experimentell wird die Biosynthese in genetisch modifizierten Bakterien (Escherichia coli) und Hefen (Saccharomyces cerevisiae) erforscht.

Fazit

  • Von den Arzneimittel, die auf den Erfindungen der diesjährigen Nobelpreisträger aufbauen, profitieren 3,4 Milliarden Menschen in mehr als 100 Ländern, darunter den ärmsten Staaten der Welt.
  • Das Nobelkomitee verwies darauf, dass alle drei Forscher nur im Interesse der Menschen gearbeitet hätten. Obwohl sie Medikamente entwickelt haben, besitzt keiner von ihnen ein Patent auf die global verwendeten Wirkstoffe. 
  • Die Weltgesundheitsorganisation WHO und viele weitere Organisationen tragen heute dazu bei, dass diese Medikamente auch die Patienten in abgeschiedenen Regionen erreichen.
  • Die Arzneimittel selbst werden dafür von Pharmaunternehmen entweder zu Sonderkonditionen abgegeben (im Falle von Malaria) oder gespendet (im Fall von Flussblindheit und lymphatischer Filariose).

Dustin Grunert

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Youyou Tu
Youyou Tu

Youyou Tu ist die zwölfte Frau, die den Medizin-Nobelpreis erhält. Geboren 1930 studierte sie von 1951 bis 1955 an der Fakultät für Pharmazie der Medizinischen Universität Peking. Danach war sie an der Chinesischen Akademie für traditionelle chinesische Medizin tätig. 2011 erhielt sie bereits den Albert Lasker Award for Clinical Medical Research.

Satoshi Omura
Satoshi Omura

Der 1935 geborene Satoshi Omura, von 1990 bis 2008 Präsident des Kitasato-Instituts Tokio, hat Chemie an der Naturwissenschaftlichen Universität Tokio studiert (1963) und wurde anschließend im Fach Pharmazie (1968) und im Fach Chemie (1970) promoviert. Der Pharmakologe und Chemiker ist seit 1992 Mitglied der Leopoldina in der Sektion Mikrobiologie und Immunologie. 1997 erhielt er die Robert-Koch-Medaille für sein herausragendes Lebenswerk. Omura hat die Ehre mit großer Bescheidenheit aufgenommen. „Ich dachte, darf ich es wirklich sein!? Denn vieles habe ich von den Mikroorganismen gelernt. Für sie sei der Preis angemessen, so der 80-Jährige gegenüber dem japanischen Fernsehsender NHK.

William Cecil Campbell
William Cecil Campbell

William Cecil Campbell, geboren 1930, studierte am Trinity College der Universität Dublin, an dem er 1952 seinen Bachelor erlangte. Durch ein Fulbright-Stipendium unterstützt ging er in die Vereinigten Staaten, wo er an der University of Wisconsin Madison 1954 seinen Master machte und 1957 mit einer Arbeit über Leberegel promoviert wurde. Danach war er über 30 Jahre (bis 1990) am Merck Institute for Therapeutic Research tätig, in denen er unter anderem an der Entwicklung von Avermectin maßgeblich beteiligt war. 2002 wurde er zum Mitglied der National Academy of Sciences der Vereinigten Staaten gewählt. Derzeit lehrt und forscht Campbell als emeritierter Professor an der Drew University in Madison, New Jersey.

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