POLITIK
Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen: „Der Patient gewinnt ganz klar“


Eine bessere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern soll die Arzneimitteltherapie chronisch Kranker sicherer machen. Hausarzt Axel Stelzner und Apothekerin Anja Leistner aus dem sächsischen Lichtentanne sind überzeugt von dem Modell.
Es ist ein trüber Dienstag im Herbst. Auf der Hauptstraße herrscht nur wenig Verkehr, es sind kaum Fußgänger unterwegs. Die Praxis von Dipl.-Med. Axel Stelzner (51) liegt nur wenige hundert Meter vom Bahnhof Lichtentanne entfernt. Alle zwei Stunden gibt es eine Direktverbindung nach Leipzig oder ins nahe Zwickau. Stelzner ist einer von fünf (de facto sind es eigentlich nur vier) Ärzten, die in der 6 600 Einwohner zählenden Gemeinde praktizieren, dabei aber zum Teil auch Patienten aus unterversorgten Nachbarregionen wie Reichenbach und Zwickau betreuen. Und er gehört zu den knapp 600 Ärztinnen und Ärzten, die sich neben rund 900 Apothekerinnen und Apothekern in Sachsen und Thüringen an der Arzneimittelinitiative ARMIN beteiligen (Kasten). Das Modellprojekt zielt darauf ab, durch eine enge Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern die Arzneimitteltherapie von chronisch kranken Patienten sicherer zu machen.
Stelzners Projektpartnerin ist Anja Leistner (37). Die Apothekerin betreibt nur wenige Gehminuten von seiner Praxis entfernt Lichtentannes einzige Apotheke. Beide arbeiten seit jeher eng und gut zusammen, versprechen sich aber von ARMIN weitere Verbesserungen. Denn das Modell stellt die Zusammenarbeit auf vertragliche Füße und bietet, wenn einmal alle Module funktionsbereit sind, eine elektronische Plattform für den professionellen Austausch.
Technisch umgesetzt sind bereits die Wirkstoffverordnung und der Medikationskatalog. Letzterer bietet dem Arzt die Möglichkeit, aus einer nach häufigen Indikationen sortierten Liste mit wenigen Klicks Wirkstoffe auszuwählen. Diese erscheinen dann automatisch auf dem Rezept. Der Vorteil für den Arzt: „Die Wirkstoffverordnungen für in das Modellprojekt eingeschriebene Patienten werden aus meinem Verordnungsvolumen herausgerechnet und belasten nicht mehr mein Medikamentenbudget“, sagt Stelzner.
Herzstück von ARMIN für Arzt und Apotheker ist jedoch die gemeinsame elektronische Plattform für einen digitalen Medikationsplan für diejenigen Patienten, die fünf oder mehr Medikamente einnehmen müssen. Stelzner merkt an, dass er seinen Patienten schon immer Medikationspläne mit Informationen über Dosierung und Einnahmehinweisen an die Hand gegeben hat, allerdings musste er die gesamte Medikation selbst erfassen. „Dies nimmt mir bei ARMIN der Apotheker in Zukunft ab“ sagte der Hausarzt.
An dieser Möglichkeit wird zurzeit mit Hochdruck gearbeitet. Denn die technische Umsetzung des elektronischen Medikationsplans ist unter anderem wegen der hohen Anforderungen an den Datenschutz schwierig. „Aber wenn das Ganze erst einmal technisch reibungslos läuft, erleichtert das meine Arbeit erheblich.“
Die Rollen von Arzt und Apotheker sind bei ARMIN klar festgelegt. Das Erfassen sämtlicher Arzneimittel, die ein eingeschriebener Patient einnimmt, übernimmt Apothekerin Leistner. Dazu zählen auch die Medikamente, die der Patient in der Apotheke oder der Drogerie selbst gekauft hat und von denen der Arzt nicht immer erfährt.
Für die Medikationsanalyse vereinbart Leistner eigens einen Termin, zu dem die Patienten alle Arzneimittel mitbringen. „Ich habe sogar Patienten zu Hause besucht und konnte mir dort alles zeigen lassen: wo die Medikamente gelagert werden, wie die Patienten sie anwenden, ob sie wissen, wofür sie was einnehmen“, sagt Leistner. Eine Stunde nimmt sie sich in der Regel für Analyse und Beratung Zeit. „Dabei treten dann auch die Probleme zutage“, meint die Apothekerin. Wie bei dem Patienten, der Medikamente vom Nachbarn einnahm, oder demjenigen, der mit seinem Spacer nicht zurechtkam – „ein Anwendungsproblem, das sonst vielleicht einfach unter den Tisch gefallen wäre“.
Gut findet Leistner, dass auf dem Medikationsplan auch die Wirkstoffnamen verzeichnet werden. „Denn den Patienten sind die Unterschiede zwischen Arzneimittelnamen und -wirkstoff völlig fremd. So schön die Rabattverträge für die Wirtschaftlichkeit sind, gerade für ältere Patienten ist es bei einem Präparatewechsel schwierig nachzuvollziehen, dass RamiLich das gleiche ist wie Delix.“ Leistner bereitet es sichtlich Freude, im Rahmen des Medikationsmanagements mehr Verantwortung zu übernehmen: „Hier kann ich meine fachliche Kompetenz einbringen, den Patienten aktiv Hilfestellung leisten und natürlich die Arbeit von Doktor Stelzner unterstützen.“ Das Ergebnis ihrer Medikationsanalyse trägt sie mit Kommentaren und Hinweisen auf dem Medikationsplan ein. Noch funktioniert das nur auf dem Papier, vor Ende des Jahres wird sie ihre Ergebnisse aber hoffentlich digital einpflegen können. Auf den Medikations-Server kann ihr hausärztlicher Partner dann direkt zugreifen.
„Früher musste ich die Medikationserfassung selbst machen. Da lagen hier Medikamentenpackungen in großer Zahl auf dem Schreibtisch“, erinnert sich Stelzner. „Jetzt muss ich nur noch die Details managen, wenn es zum Beispiel Kompatibilitätsprobleme gibt. Da bin ich als Arzt gefragt und behalte mir auch die letzte Entscheidung vor.“ Auf den Erhalt der Therapiefreiheit lege er nämlich großen Wert, betont Stelzner mit Blick auf Kritiker des Modells. Und die sei mit ARMIN in jedem Fall gewährleistet.
„Für die Patienten ist es von großem Vorteil, wenn Arzt und Apotheker harmonieren. Da gibt es vielerorts noch Nachholbedarf“, meint Stelzner. „Vielleicht kann ARMIN dazu auch einen Beitrag leisten.“ Apothekerin Leistner ergänzt, dass im Rahmen des Projekts jede Berufsgruppe ihre klar umrissenen Aufgaben und Zuständigkeiten hat. „Es will keiner den anderen kontrollieren. Das soll eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe sein.“ Den erhöhten Betreuungsaufwand erhalten Arzt und Apotheker honoriert: Für das erste Medikationsgespräch erhalten beide je 94,50 Euro, für die Folgeinterventionen pro Quartal 21 Euro und für eine Akutintervention zum Beispiel bei einer Krankenhausentlassung mit wesentlicher Änderung der Medikation 42 Euro.
Der Bedarf für ein besseres Medikationsmanagement ist nach Ansicht der Projektpartner in Sachsen und Thüringen jedenfalls unbestritten. Sie schätzen, dass in den beiden Ländern mehr als 300 000 Patienten von ARMIN profitieren könnten. Um auch die Ärzte und Apotheker von dem Projekt zu überzeugen, müsse man ihnen beweisen, dass es funktioniere, erklären Stelzner und Leistner einmütig. Nachteile des Modells fallen beiden auch nach längerem Nachdenken nicht ein. „Wie viele Krankenhauseinweisungen gibt es aufgrund von Verwechselungen oder Nebenwirkungen?“, fragt Leistner. „Der Patient gewinnt ganz klar.“ Und Stelzner ergänzt: „Wir werden alles daransetzen, das Projekt zum Erfolg zu führen.“
Heike Korzilius
Die Arzneimittelinitiative ARMIN
Die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) startete am 1. April 2014. Träger sind die Kassenärztlichen Vereinigungen Sachsen und Thüringen, die Apothekerverbände der beiden Länder sowie die AOK Plus. Das Modellvorhaben zielt darauf, durch eine enge Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern die Therapietreue und Einnahmesicherheit bei Patienten zu fördern, die regelmäßig mehr als fünf Arzneimittel einnehmen.
ARMIN besteht aus drei Modulen, die stufenweise umgesetzt werden. Die teilnehmenden Ärzte verpflichten sich, überwiegend Wirkstoffe zu verordnen und sich bei deren Auswahl an einem Medikationskatalog zu orientieren, der derzeit für zwölf häufige Indikationen Wirkstoffe der ersten Wahl und Reservewirkstoffe listet. Wirkstoffverordnung und Medikationskatalog gingen am 1. Juli 2014 an den Start. Zurzeit wird mit dem Medikationsmanagement das dritte Modul in der Praxis erprobt.
Im Rahmen des Medikationsmanagements erfasst der Apotheker sämtliche auch selbst gekaufte Arzneimittel, die der Patient einnimmt und vermerkt mögliche Über-, Unter- oder Fehlversorgung. Auf dieser Basis erstellen Arzt und Apotheker gemeinsam einen Medikationsplan, der neben der Dosierung auch Hinweise zur richtigen Einnahme der Medikamente enthält. Spätestens im Sommer 2016 sollen Ärzte und Apotheker über das KV Safenet elektronisch auf den Medikationsplan zugreifen können. Dabei ist die Arbeitsteilung zwischen beiden Berufsgruppen klar definiert. Die Therapiehoheit bleibt beim Arzt. Für das aufwendige Erstgespräch mit dem Patienten zur Dokumentation seiner kompletten Medikation erhalten Arzt und Apotheker einmalig 94,50 Euro. In jedem darauf folgenden Quartal erhalten sie für kürzere Folgeberatungen 21 Euro.
Das Grundkonzept für ARMIN entwickelten die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände bereits 2010. Gesetzliche Grundlage für den Modellversuch ist § 63 SGB V.
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