POLITIK
Dolmetscher und Sprachmittler im Gesundheitswesen: Regelungen zur Finanzierung nötig


Ohne Sprachmittler kann die Versorgung traumatisierter Flüchtlinge nicht gelingen. Eine Initiative und ein Konzept für ein Modellprojekt von Bundesärztekammer und Bundespsychotherapeutenkammer bringen Auftrieb in alte Forderungen.
Wir müssen nicht nur aus ethischen und humanitären Gründen die medizinische Versorgung von Flüchtlingen und Migranten stärker in den Fokus nehmen, sondern auch aus ökonomischen und rechtlichen Gesichtspunkten“, sagt Varinia Fernanda Morales von der Internationalen Gesellschaft für Bildung, Kultur und Partizipation gemeinnützige GmbH (bikup). Die Kölner Organisation, die in Nordrhein-Westfalen (NRW) einen Sprachmittlerpool mit rund 90 Sprachen und Dialekten koordiniert, engagiert sich dafür, die medizinische Versorgung von Flüchtlingen und Migranten sicherzustellen und bundesweite Qualitätsstandards und Ausbildungskriterien einzuhalten („ siehe „3 Fragen an ...“). Im Juli hat bikup schließlich zusammen mit dem Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e.V. die Initiative „Sprachmittlung im Gesundheitswesen“ initiiert, der auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, der Deutsche Patientenschutzbund, das Krankenhaus-Kommunikations-Centrum e.V. sowie die Österreichische Plattform Patientensicherheit angehören.
Die Initiative fordert von der Politik verbindliche Regelungen, um die Versorgung fremdsprachiger Patienten mit qualifizierter Sprachmittlung zu gewährleisten und ihnen einen barrierefreien Zugang zum Gesundheitssystem zu ermöglichen. „Jede fehlende oder mangelhafte Verständigung zwischen fremdsprachigen Patienten und Ärzten oder Psychotherapeuten erhöht das Risiko einer Fehl- beziehungsweise Mehrfachbehandlung oder auch Unterversorgung. Dies kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen für die Patienten haben“, warnt die Initiative. Sprachliche Barrieren seien auch
ein Grund dafür, dass Migranten weitaus seltener Leistungen der Gesundheitsvorsorge in Anspruch nähmen – mit den entsprechenden Konsequenzen.
Haftungsrechtliche Folgen bei mangelnder Aufklärung
Zudem müssten haftungsrechtliche Konsequenzen bedacht werden: Ärzte und Psychotherapeuten haben eine Aufklärungspflicht. Patienten können aber nur in eine Behandlung einwilligen, wenn sie den Arzt hinreichend verstehen. Eine unzulängliche Aufklärung oder gar nicht gewünschte Behandlung hätte also auch in diesem Sinne Folgen.
Während in einfachen Alltagssituationen der Einsatz ehrenamtlicher Laiendolmetscher hilfreich sein kann, brauche es im Gesundheitswesen professionelle Dolmetscher sowie qualifizierte Sprach- und Integrationsmittler, betont die Initiative „Sprachmittlung im Gesundheitswesen“: „Sie besitzen Techniken und Methoden, um im Gespräch neutral zu bleiben, das Gesagte vollständig und transparent widerzugeben und sich im positiven Sinne vom Gehörten abzugrenzen“, heißt es im Gründungsstatement. Ehrenamtlich tätige Helfer oder gar Familienangehörige könnten durch das Gehörte psychisch belastet oder überfordert werden.
Gesetzlich geregelt werden sollte vor allem die Übernahme aller anfallenden Kosten für die Sprachmittlung, fordert die Initiative. Eine Aufnahme der Leistungen von Dolmetschern sowie Sprach- und Integrationsmittler in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung sei daher unabdingbar.
Psychisch kranke Flüchtlinge massiv unterversorgt
Die fehlende Finanzierung von Dolmetschern und Sprachmittlern ist nach Ansicht von Bundesärztekammer (BÄK) und Bundespsychotherapeutenkammer mitverantwortlich für die massive Unterversorgung von psychisch kranken Asylsuchenden und Flüchtlingen. Nach Schätzungen der BPtK erhalten nur vier Prozent der psychisch kranken Flüchtlinge eine angemessene Behandlung (siehe auch „Krieg, Verlust und Gewalt“ im DÄ Heft 40). BÄK und BPtK haben gemeinsam ein Konzept für ein Modellprojekt entwickelt, das die Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge verbessern soll. Aufgefordert dazu hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor dem Hintergrund von Beschlüssen der Integrationsministerkonferenz und der
Gesundheitsministerkonferenz, die wiederum eine EU-Aufnahmerichtlinie in nationales Recht umsetzen müssen. Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten ist es, „den besonderen Bedürfnissen schutzbedürftiger Personen Rechnung zu tragen“. Hierzu zählen Flüchtlinge, die aufgrund von Folter, Vergewaltigung oder sonstiger Gewalt psychisch erkrankt sind. Auch deshalb wurden mit der Asylrechtsreform, die am
1. November in Kraft treten soll, Regelungen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen beschlossen. Für traumatisierte Flüchtlinge müssen zukünftig mehr Psychotherapeuten und Ärzte verfügbar sein. Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) und Krankenkassen sind danach verpflichtet, befristet und speziell für die Behandlung von den benannten Flüchtlingen, Psychotherapeuten und Ärzte zu ermächtigen. Eine Finanzierung von Dolmetschern und Sprachmittlern ist in der Asylrechtsreform nicht vorgesehen.
Bundesweiten Pool an Sprachmittlern aufbauen
Doch ohne Sprachmittlung nützen in den meisten Fällen auch mehr Ärzte und Psychotherapeuten wenig. „Faktisch können sowohl Psychotherapien, die von der GKV genehmigt wurden, als auch psychiatrische Behandlungen im ambulanten Bereich nicht durchgeführt werden, da die Kosten für Sprachmittlung nicht übernommen werden“, kritisieren BÄK und BPtK. Formal könne zwar parallel zum Antrag auf Psychotherapie bei der GKV die Übernahme von Kosten für Sprachmittlung nach § 73 SGB XII bei den Sozialbehörden gestellt werden. Die Bearbeitungsdauer dafür betrage jedoch häufig mehrere Monate und würde letztlich häufig abgelehnt.
Die beiden Kammern schlagen vor, einen bundesweiten Sprachmittlerpool aufzubauen. Hierfür müssten die Strukturen geschaffen werden, vor allem eine bundesweite Koordinierungsstelle und Netzwerke in den Bundesländern. Sprachmittler, die bei psychisch kranken Flüchtlingen eingesetzt werden, brauchen zusätzlich spezifische Kompetenzen. „Sie sollten Grundkenntnisse über die Psychotraumatherapie sowie die Ätiologie und Phänomenologie psychischer Erkrankungen bei Flüchtlingen besitzen“, heißt es in dem Konzept. Zudem sollten sie Strategien anwenden können, um mit belastenden Gesprächsinhalten umgehen zu können. Die Koordinierungsstelle sollte in diesem Sinne qualifizierte Sprachmittler an Ärzte und Psychotherapeuten vermitteln und auch die Vergütung übernehmen. Hierfür sollen Bundesmittel zur Verfügung stehen.
Ziel des Modellprojekts ist es zu erproben und zu evaluieren, welche Organisationsstrukturen mit welchen Kompetenzen und im Rahmen welcher Abläufe dazu führen, dass psychisch kranke Flüchtlinge zeitnah versorgt werden. Die Vorschläge der beiden Kammern liegen dem BMG aktuell vor.
Petra Bühring
Zwei Berufsbilder
Qualifizierte Dolmetscher
Qualifizierte Dolmetscher haben ein Diplom- oder Masterstudium an einer Hoch- oder Fachschule absolviert. Sie verfügen über Sprachkenntnisse auf C2-Niveau (angelehnt an den europäischen Referenzrahmen) und vertiefte Kenntnisse über die Kultur der Länder ihrer Arbeitssprachen. Sie haben gelernt, Inhalte sachlich, unparteiisch, zielgruppengerecht und – bei aller erforderlichen Empathie – mit professioneller Distanz zu übertragen. Die Spezialisierung auf das Gesundheitswesen erfolgte bereits im Studium oder im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit.
Sie unterliegen der Schweigepflicht und der Berufs- und Ehrenordnung ihres Berufsverbandes.
Sprach- und Integrationsmittler
Professionelle Sprach- und Integrationsmittler absolvieren eine ein- bis eineinhalbjährige Vollzeitfortbildung. Neben überprüften Muttersprach- und Deutschkenntnissen auf dem Sprachniveau C1 verfügen sie über eigene Migrationserfahrungen. Professionelle Sprach- und Kulturmittlung erfolgt, indem fachkundig, transparent und allparteilich gedolmetscht und bei Bedarf soziokulturelles Hintergrundwissen vermittelt wird. Sprach- und Integrationsmittler verfügen über ein fundiertes Grundlagenwissen in Medizin und Psychologie und erläutern bei Bedarf länderspezifische Unterschiede der medizinischen Versorgungsstrukturen. Sie unterliegen der Schweigepflicht und sind an einen Berufskodex gebunden.
3 Fragen an . . .
Varinia Fernanda Morales, Internationale Gesellschaft für Bildung, Kultur und Partizipation gGmbH
Was bietet Ihre Organisation an?
Morales: Wir haben einen landesweiten Sprachmittlerpool mit etwa 300 qualifizierten Sprach- und Integrationsmittlern, die rund 90 Sprachen und Dialekte abdecken. Überwiegend greifen Kliniken, Psychosoziale Zentren und Traumaambulanzen auf unser Angebot zurück. Eine gute Kooperation besteht mit den zehn psychiatrischen Kliniken des Landschaftsverbands Rheinland. Seltener sind Anfragen von niedergelassen Ärzten, weil die Kosten nicht übernommen werden.
Bei der Fortbildung können wir eine langjährige Erfahrung aufweisen. Nach bundesweit einheitlichen Qualitätsstandards und Ausbildungskriterien qualifizieren wir Menschen in einer einjährigen Vollzeitausbildung zu Sprach- und Integrationsmittlern. Das Curriculum, das wir zusammen mit Ärzten und Psychotherapeuten erarbeitet haben, beinhaltet auch Grundkenntnisse der Medizin, Psychologie und Psychotherapie.
Wer absolviert diese Fortbildung?
Morales: Dies ist in vielerlei Hinsicht bunt gemischt. Es sind viele Akademiker dabei, zum Beispiel die deutsche Journalistin, die zwölf Jahre in der Türkei als Auslandskorrespondentin gearbeitet hat, die iranische Psychologin, der afghanische Lehrer, der aus Syrien geflohene Rechtsanwalt, die Chinesin, die bei der UNO gearbeitet hat, der Handwerker, aber auch die Hausfrau, die Kurdisch, Arabisch und Kurmandschi spricht. Die Motivation ist sehr
unterschiedlich: Manche wollen sich in ihrem Leben neu aufstellen oder sich auch sozial engagieren.
Was wünschen Sie sich
von der Politik?
Morales: Wir brauchen verbindliche Regelungen zum Einsatz qualifizierter Sprachmittlung und nicht nur Konstrukte über Modellprojekte. Es gibt bereits bewährte Ansätze, die es zu implementieren gilt. Die Finanzierung für professionelle Sprachmittlung muss sichergestellt werden. Die Sprach- und Integrationsmittler bekommen zurzeit 35 bis 40 Euro pro Stunde – das ist für die Qualität und Anforderungen ihrer Arbeit nicht viel. Wir haben gute und bewährte Strukturen für NRW geschaffen, und dies könnte auf Bundesebene erweitert werden . . .
Gondos, Marta
David, Matthias
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.am Montag, 23. November 2015, 11:52
Sprachmittler auch für deutschsprachige Patienten