MEDIZIN: Originalarbeit
Musiktherapie in der Palliativmedizin
Eine randomisiert kontrollierte Studie zur Beurteilung entspannungsfördernder Effekte
Music therapy in palliative care—a randomized controlled trial to evaluate effects on relaxation
; ; ;
Hintergrund: Musiktherapeutische Behandlungen werden seit über 30 Jahren erfolgreich in der Versorgung von schwerstkranken Patienten auf Palliativstationen eingesetzt. Dennoch besteht bisher ein Mangel an hochwertigen Untersuchungen, die eine evidenzbasierte Beurteilung der psychologischen und physiologischen Effekte musiktherapeutischer Interventionen ermöglichen würden.
Methoden: In einer randomisierten kontrollierten Studie wurden 84 Patienten einer Palliativstation einer von zwei Untersuchungsgruppen zugeteilt. Die Musiktherapie-Intervention bestand aus zwei Sitzungen mit einer live gespielten musikalischen Entspannungstechnik. Patienten in der Kontrollgruppe hörten jeweils eine gesprochene Entspannungsübung. Primäre Zielgrößen waren visuelle Analogskalen zu Entspannung, Wohlbefinden und Akutschmerz. Zusätzlich wurden Herzfrequenzvariabilität und gesundheitsbezogene Lebensqualität gemessen. Die primäre Datenanalyse erfolgte nach dem „intention-to-treat“-Prinzip.
Ergebnisse: Die musiktherapeutische Behandlung erwies sich in Kovarianzanalysen als überlegen hinsichtlich der Verbesserung von Entspannung (F = 13,7; p < 0,001) und Wohlbefinden (F = 6,41; p = 0,01). Der entspannungsfördernde Effekt wurde durch einen signifikant stärkeren Anstieg hochfrequenter Oszillationen in der Herzfrequenz gestützt (F = 8,13; p = 0,01). Hinsichtlich der Schmerzreduktion zeigten sich keine signifikanten Unterschiede (F=0,4; p = 0,53). Auf der Lebensqualität-Skala „Fatigue“ wurde durch Musiktherapie eine signifikant stärkere Symptomreduktion erzielt (F = 4,74; p = 0,03).
Schlussfolgerung: Musiktherapie ist eine effektive Maßnahme mit geringen Abbruchraten zur Förderung von Entspannung und Wohlbefinden von unheilbar erkrankten Menschen in der palliativmedizinischen Versorgung.


Seit der Gründung der ersten Palliativstationen in den 1970er Jahren in Kanada leisten Musiktherapeuten einen wichtigen Beitrag in der Versorgung schwerstkranker Patienten (1). Gleichzeitig weisen Übersichtsarbeiten auf einen Mangel an hochwertigen Studien hin, die eine evidenzbasierte Empfehlung für den Einsatz von Musiktherapie in diesem Bereich ermöglichen würden (2, 3).
Unter Musiktherapie versteht man den „gezielte(n) Einsatz von Musik im Rahmen der therapeutischen Beziehung zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit“ (4). Musiktherapeutische Angebote finden sich in unterschiedlichsten Anwendungskontexten der psychiatrischen, psychosomatischen, neurologischen, geriatrischen, pädiatrischen, intensiv- und palliativmedizinischen Versorgung (5). Dabei wird unterschieden zwischen aktiven Techniken, bei denen der Patient mit Stimme oder Instrument am musikalischen Spiel teilnimmt und rezeptiven Techniken, die sich auf das aufmerksame Wahrnehmen von Musik und Klängen beschränken (6).
Palliativmedizin hat die Versorgung unheilbar erkrankter Patienten und von deren Angehörigen auf körperlicher, psychosozialer und spiritueller Ebene zum Ziel (7). Musiktherapie ist als künstlerisches Verfahren in diesem Feld auf den Erhalt beziehungsweise die Verbesserung der Lebensqualität ausgerichtet. Konkrete Zielkriterien sind die Unterstützung der symptomorientierten Behandlung, die Verbesserung der Emotionsregulation sowie die Förderung von Kommunikation und spirituellen Erfahrungen (8, 9). Erreicht werden diese durch den Einsatz von Interventionen aus den Bereichen Entspannungs- und Imaginationsverfahren, Liedformen und Improvisationstechniken (8).
Aktuell liegen fünf (quasi-)randomisierte Kontrollstudien der Evidenzstufen Ib bis IIa (10–14) zur Wirksamkeit von Musiktherapie in der Palliativmedizin vor, sowie weitere nichtrandomisierte oder unkontrollierte Pilotuntersuchungen (Stufe IIb) (15–20). Die aussagekräftigste Evidenz findet sich für die Bereiche Schmerzreduktion (10, 14, 16, 20) und Verbesserung der Lebensqualität (11, 13). Weiter zeigen sich erste Hinweise für eine Effektivität hinsichtlich der Reduktion von Angst (12, 20), der Verbesserung von emotionalem Zustand (13) und Kommunikation (15), der Reduktion des Stresslevels (17) sowie der Förderung von Spiritualität (19). Systematische Übersichtsarbeiten verdeutlichen allerdings, dass viele der genannten Studien ein hohes Risiko für methodische Verzerrungen aufweisen (2, 3, 8, 21). Eine aktuelle Analyse retrospektiver Daten zeigt, dass der Einsatz von Musiktherapie mit einer erhöhten Bereitschaft zur Diskussion über spirituelle Themen sowie mit einer Verringerung der Atemnotproblematik in Zusammenhang steht (22).
Nach aktuellem Kenntnisstand wurde noch keine randomisierte Kontrollstudie in Europa und weltweit noch keine kontrollierte Studie unter Einbezug physiologischer Messmethoden durchgeführt. Daher wurde in der vorliegenden Studie überprüft, ob musiktherapeutische Entspannungsinterventionen erfolgreich zur Erreichung folgender Endpunkte eingesetzt werden können:
- Verbesserung der Selbsteinschätzung von Entspannung, Wohlbefinden und Akutschmerz (primäre Zielgrößen),
- Auslösen einer physiologischen Entspannungsreaktion,
- Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität.
Es wurden jeweils Verbesserungen in beiden Untersuchungsgruppen und eine Überlegenheit der Musiktherapie-Intervention erwartet.
Methode
Die Studie wurde auf der Universitären Palliativstation am Krankenhaus St. Vincentius in Heidelberg durchgeführt. Sie wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg genehmigt (S-406/2012) und ins Deutsche Register Klinischer Studien (DRKS00006137) aufgenommen.
Studiendesign
Die Interventionsstudie wurde im randomisierten, kontrollierten Design umgesetzt. Patienten, die hinsichtlich der in Tabelle 1 aufgeführten Kriterien für die Studienteilnahme in Frage kamen, wurden über Studienablauf und -ziele informiert und unterzeichneten im Falle ihrer Teilnahmebereitschaft die Einverständniserklärung. Beide Interventionsarme (Musiktherapie vs. Kontrolle) wurden während der gesamten Studiendauer als gleichwertige Entspannungsübungen vorgestellt. Die Teilnehmer waren somit blind gegenüber den Untersuchungshypothesen. Weitere Methoden zur Verblindung (Therapeuten, Rater) konnten nicht implementiert werden. Nach einem Baseline-Assessment zu Lebensqualität und Vorerfahrungen mit Entspannungstechniken erfolgte die Zuteilung zu einer der beiden Untersuchungsgruppen über die Methode der zuvor nicht einsehbaren, sequenziell nummerierten Umschläge durch den Studienassistenten. Primärbehandler waren nicht in diesen Prozess involviert. Die Zuordnungssequenz wurde vor Untersuchungsbeginn im computerbasierten Blockrandomisierungsverfahren erstellt (Blockgröße = 6). Anschließend wurden zwei Sitzungen à 30 Minuten im zeitlichen Abstand von zwei Tagen durchgeführt (eGrafik 1).
Intervention
Die musikalisch gestützte Entspannungsübung wurde von ausgebildeten Musiktherapeutinnen entsprechend eines standardisierten Ablaufplans unter Verwendung von Monochord und Stimme (eAbbildung) umgesetzt. Das Monochord ist ein zu Therapiezwecken entwickeltes Instrument, bestehend aus einem rechteckigen Holzkörper mit 24 gleichgestimmten Saiten. Bei gleichförmigem Spiel erzeugt das Instrument einen atmosphärischen und obertonreichen Klang. Erste Pilotuntersuchungen deuten subjektive und physiologisch ableitbare Entspannungsreaktionen durch das Hören von Monochord-/Tamburaklängen bei onkologischen Patienten an (23–25).
Der Studienassistent erhob zunächst Prä-Werte zu den Selbsteinschätzungsskalen und startete die Messung der Herzfrequenzvariabilität („heart rate variability“ [HRV]). Nach fünf Minuten verließ er den Raum. Die Musiktherapeutin initiierte anschließend eine kurze Achtsamkeitsübung untermalt von leisen Klängen auf dem Monochord. Unter Einbezug des Atemrhythmus des Patienten wurden Lautstärke, Dynamik und Tonumfang des Instrumentalspiels im weiteren Verlauf gesteigert sowie eine stimmliche Improvisation in einem ionischen oder mixolydischen Modus eingeführt (siehe [26] für eine Übersicht über Kirchentonarten). Gegen Ende der etwa 15-minütigen Improvisation wurde die Intensität schrittweise reduziert. In einem 5-minütigen Nachgespräch hatte der Patient Gelegenheit, über seine Erlebnisse während des Hörens zu reflektieren. Anschließend verabschiedete sich die Therapeutin. Der Studienassistent kehrte zurück zur Postmessung der Selbsteinschätzungsskalen und Messung der Herzfrequenzvariabilität. Diese Intervention wurde zwei Tage später wiederholt (eGrafik 2).
Patienten in der Kontrollgruppe durchliefen eine zeitäquivalente Intervention ohne musikalische Inhalte oder therapeutische Beziehung. Hierzu wurde ein 20-minütiges Exzerpt aus dem „Mindfulness-Based Stress Reduction“ (MBSR)-Programm über Kopfhörer vorgespielt (27). Bei MBSR handelt es sich um ein mehrwöchiges Trainingsprogramm, dessen gesundheitsförderliche Effekte gut nachgewiesen sind (28). Der Einsatz der hier verwendeten Körperreise bewirkte im Sinne einer aktiven Kontrollbedingung einen moderat entspannungsfördernden, aber keinen spezifisch therapeutischen Effekt. Während der Durchführung verweilte der Studienassistent still im Patientenzimmer, um als Ansprechpartner für Fragen oder einen möglichen Abbruchwunsch zur Verfügung zu stehen.
Messmethoden
Die unmittelbare Selbsteinschätzung der Teilnehmer vor und nach jeder Sitzung diente als primärer Endpunkt. Zum Einsatz kamen visuelle Analogskalen (VAS, 0–10) zur subjektiven Wahrnehmung der Patienten von Entspannung, allgemeinem Wohlbefinden und Akutschmerz. Vorherige Studien konnten adäquate psychometrische Eigenschaften für visuelle Analogskalen zur Messung von Akutschmerz nachweisen (29).
Über den gesamten Sitzungsverlauf erfolgten kontinuierliche Aufzeichnungen der Abstände zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen in Millisekunden mittels Photoplethysmographie (Nexus Blood Volume Pulse Sensor, 128 sps). Herzfrequenzvariabilität gilt als Indikator für die Funktionalität des autonomen Nervensystems (30). Ausgehend von der Beobachtung, dass ein gesunder Herzrhythmus keinen statischen Verlauf aufweist, sondern das Ergebnis einer dynamischen Wechselwirkung zwischen aufsteigenden und absteigenden neuronalen Bahnen ist, werden von der natürlichen Oszillation in der Herzfrequenz Rückschlüsse auf die kardiovaskuläre Aktivität des autonomen Nervensystems gezogen (31). Kurzfristige, hochfrequente (HF) Veränderungen, wie die an die Atmung gekoppelte respiratorische Sinusarrhythmie, werden vor allem über Bahnen des Nervus vagus gesteuert und lassen sich daher auf parasympathsiche Aktivität zurückführen (30). Geringe Herzfrequenzvariabilität gilt als Risikofaktor bei kardiovaskulären (32) und onkologischen Erkrankungen (33, 34) und hat sich in Studien als Prädiktor von Mortalität erwiesen (35). Außerdem steht eine niedrige Herzfrequenzvariabilität als Index emotionaler Dysregulation in Verbindung mit einer Reihe von psychiatrischen und psychosomatischen Erkrankungen (36).
Verglichen wurde der Zustand unmittelbar vor und nach der Intervention (jeweils fünf Minuten). Zusätzlich wurde die mittlere Amplitude des peripheren Blutvolumenflusses (BVP-A) für dieselben Zeitfenster abgeleitet. Eine hohe Amplitude impliziert hohen Blutfluss in den Fingerspitzen und somit geringere sympathische Aktivität (37).
Zur Überprüfung mittelfristiger Interventionseffekte wurden beim Erstkontakt sowie nach Ende der zweiten Sitzung Daten zur Lebensqualität mittels EORTC QLQ-C15-PAL erhoben. Dieser Fragebogen ist eine 15 Items und 10 Subskalen umfassende, für den Palliativbereich adaptierte und validierte Kurzversion des in der Krebsforschung weit verbreiteten QLQ-C30 (38).
Statistische Analyse
Die Beschreibung der Stichprobenkennwerte erfolgte anhand von Mittelwerten, Standardabweichungen und Häufigkeiten. Die Vergleichbarkeit der beiden Untersuchungsgruppen vor Studienbeginn wurde mithilfe von χ²-Test und t-Tests für unabhängige Stichproben überprüft. Unterschiede zwischen Sitzung 1 und Sitzung 2 wurden über t-Tests für verbundene Stichproben analysiert. Die Überprüfung der Untersuchungshypothesen erfolgte im Rahmen von Kovarianzanalysen (ANCOVA), wobei die Prä-Werte als Kovariate und die Post-Werte als abhängige Variable in die Modelle aufgenommen wurden (visuelle Analogskalen und Herzfrequenzvariabilität wurden über beide Sitzungen gemittelt, sofern keine signifikanten Unterschiede zwischen den Sitzungen vorlagen). Physiologische Daten, deren Ausgangswerte nicht normalverteilt waren, wurden für weitere Analysen log-transformiert. Für die Berechnung der „number needed to treat“ (NNT) wurde eine Verbesserung um 30 % als Erfolg definiert. Unvollständige Datensätze wurden im Rahmen einer „intention-to-treat“-Analyse über die Methode der „last observation carried forward“ vervollständigt. Lagen zu keinem Messzeitpunkt ergebnisrelevante Daten vor, wurde der Baseline-Gruppenmittelwert für Prä- und Post-Messung als Nulleffekt imputiert. Die Ergebnisse wurden anschließend in Sensitivitätsanalysen auf Robustheit getestet („complete case analysis“, [CCA]). Für die drei primären Zielgrößen der Studie (visuelle Analogskalen) wurde die Typ-I-Fehlerwahrscheinlichkeit nach Bonferroni auf α = 0,017 korrigiert. Weiterführende Analysen wurden mit α = 0,05 getestet. Im Zuge der Datenauswertung kamen die Softwarepakete Biotrace +, Kubios 2.1, und IBM SPSS Statistics 20 zum Einsatz. Die Fallzahlberechnung sowie weitere Details zur hier beschriebenen Methodik können im publizierten Studienprotokoll eingesehen werden (39).
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung
Den primären Endpunkt erreichten 78 der 84 eingeschlossenen Probanden (= Abschluss einer vollständigen Sitzung mit Daten der visuellen Analogskalen). Vollständige psychometrische Datensätze lagen in 68 Fällen vor (= Abschluss beider Sitzungen mit vollständigen Daten zu visuellen Analogskalen und Lebensqualität; eGrafik 3). In die Analyse der physiologischen Parameter konnten Daten von 76 Patienten einbezogen werden.
Das mittlere Alter der zu 71,4 % weiblichen Patienten betrug 63,0 (± 13,4) Jahre. Die häufigsten Hauptdiagnosen waren Mammakarzinom (N = 17), Pankreaskarzinom (N = 11), Ovarialkarzinom (N = 7) und Prostatakarzinom (N = 6). Bis aufzwei Patienten handelte es sich ansonsten ausschließlich um weitere maligne Tumorerkrankungen. Vor Untersuchungsbeginn zeigten sich keine Gruppenunterschiede hinsichtlich Alter, Geschlecht, Diagnose, Funktionsniveau und Interesse an Entspannungsübungen (eTabelle).
Primäre Zielgrößen
Eine Übersicht über Mittelwerte, Standardabweichungen und Ergebnisse der Kovarianzanalyse gibt Tabelle 2. Da sich die Effekte zwischen beiden Sitzungen nicht bedeutsam unterschieden (p > 0,05), wurden die Werte für weitere Analysen gemittelt. Es zeigten sich signifikant stärkere Verbesserungen in der Musiktherapiegruppe verglichen mit der Kontrollgruppe hinsichtlich selbsteingeschätzter Entspannung (p < 0,001) und Wohlbefinden (p = 0,013). Grafik 1 zeigt Boxplots zu den Veränderungswerten auf den primären Zielgrößen im Gruppenvergleich. Die „number needed to treat“-Analyse ergab, dass 2,80 (Entspannung) beziehungsweise 5,25 (Wohlbefinden) Patienten mit Musiktherapie behandelt werden müssten, um einen günstigen Ausgang mehr zu erreichen. In Bezug auf die Schmerzwahrnehmung ergaben sich keine signifikanten Gruppenunterschiede (p = 0,53). Tabelle 3 zeigt Mittelwertdifferenzen und Effektstärken für die Gruppenvergleiche.
Sekundäre Zielgrößen
In der Analyse der physiologischen Daten ergab sich eine signifikant stärkere Zunahme hochfrequenter (HF) Veränderungen in der Herzfrequenzvariabilität in der Musiktherapiegruppe (p = 0,01). Hinsichtlich des peripheren Blutvolumenflusses (BVP-A) zeigte sich ein nichtsignifikanter Trend hin zu verstärkter Vasodilatation in der Experimentalgruppe (p = 0,07) (Grafik 2).
Zusätzliche Analysen untersuchten Unterschiede auf den Subskalen des Lebensqualitätsfragebogens. eGrafik 3 verdeutlicht, dass es in beiden Untersuchungsgruppen zwischen Studienaufnahme und -beendigung zu Verbesserungen auf der Skala „Lebensqualität insgesamt“ kam. Die Verbesserungen fielen in der Experimentalgruppe deskriptiv stärker aus, der Gruppenunterschied war jedoch nicht signifikant (p = 0,14). Eine Überlegenheit der Musiktherapiegruppe wurde für die Fatigue-Subskala festgestellt (p = 0,03). Weitere deskriptive Tendenzen in erwarteter Richtung zeigten sich für die Skalen Verstopfung (p = 0,13) und körperliches Funktionsniveau (p = 0,14). In den verbleibenden Bereichen gab es keine weiteren Effekte.
Im Zuge der CCA-Sensitivitätsanalysen verfehlte der Effekt auf Fatigue knapp das Signifikanzniveau (p = 0,07). Alle anderen bisher berichteten Testentscheidungen waren robust gegenüber Variationen im Umgang mit fehlenden Daten.
Diskussion
Die primäre Hypothese der vorliegenden Untersuchung wird durch die Ergebnisse gestützt: Durch Musiktherapie konnte die subjektive Einschätzung von Entspannung und Wohlbefinden bei unheilbar erkrankten Patienten einer Palliativstation verbessert werden. Die Effektstärken zwischen den Gruppen lagen im mittleren bis hohen Bereich (Tabelle 3). Dieser Befund wird sowohl durch die signifikante Zunahme hochfrequenter (HF) Variationen in der Herzfrequenz als auch durch eine Tendenz zu verstärkter Peripherdurchblutung (BVP-A) gestützt, was für eine erhöhte parasympathische und reduzierte sympathische Modulation der kardiovaskulären Aktivität des autonomen Nervensystems spricht. Aufgrund der starken interindividuellen Heterogenität in den physiologischen Daten ist eine zusätzliche Verlaufsanalyse geplant.
Nicht bestätigt werden konnte die Hypothese, dass Musiktherapie zur Schmerzreduktion beiträgt. Bei Betrachtung der Ausgangswerte fällt auf, dass viele der Teilnehmer vor Untersuchungsbeginn bereits schmerztherapeutisch gut eingestellt waren. In anderen Studien, die Evidenz für eine analgetische Wirkung von Musiktherapie lieferten, wurden gezielt Patienten mit Schmerzproblematik eingeschlossen (10).
Die beobachtete Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität in beiden Gruppen lässt sich durch eine effektive palliativmedizinische Behandlung erklären. Die Effekte sind in der Musiktherapiegruppe stärker, erreichen jedoch nicht das Signifikanzniveau. Um auf einem globalen Kriterium wie Lebensqualität Effekte abbilden zu können, sind möglicherweise breitere Interventionsangebote nötig. In vorherigen Studien wurde teilweise auf die standardisierte Beschreibung spezifischer Interventionen verzichtet und neben rezeptiven auch aktive Techniken eingesetzt (11, 13).
Auf der Fatigue-Subskala waren die beobachteten Unterschiede statistisch signifikant, was mit Befunden einer aktuellen Pilotstudie mit Brustkrebspatientinnen übereinstimmt (40). Da die Auswertung der einzelnen Lebensqualitätsskalen explorativ erfolgte (ohne α-Adjustierung für multiple Tests), bieten sich hier unmittelbare Anschlussmöglichkeiten für zukünftige Studien an.
Es gilt zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Studiendesign kein dritter Untersuchungsarm ohne Intervention („treatment as usual“) implementiert werden konnte. Aufgrund der besseren ethischen Vertretbarkeit fiel die Entscheidung zugunsten einer aktiven Kontrollbedingung aus (21). Durch das gewählte Studiendesign teilen beide Untersuchungsarme Wirkfaktoren in den Bereichen persönliche Zuwendung und Entspannung. Die beobachteten Unterschiede werden folglich durch die beiden nicht gemeinsamen Faktoren Musik und therapeutische Beziehung ausgelöst. In Bezugnahme auf die zuvor aufgezeigte Definition (4) stellen genau diese beiden Aspekte den Kern des Selbstverständnisses von Musiktherapeuten dar, weshalb die präsentierten Studienergebnisse als Wirksamkeitsnachweise für eine genuin musiktherapeutische Intervention angesehen werden können. Langfristige Therapieeffekte sind aufgrund der kurzen Verweildauer von Patienten auf Palliativstationen (zum Teil wenige Tage) nur schwer messbar.
Da in der Studie keine Informationen darüber zur Verfügung gestellt wurden, welche der beiden Interventionen die Experimental- und welche die Kontrollbedingung darstellte, waren die Patienten „blind“ gegenüber den Untersuchungshypothesen. Weitere Ansätze zur Verblindung (Musiktherapeut, Studienassistent) waren aus organisatorischen Gründen nicht möglich. Bei insgesamt 78 musiktherapeutischen Sitzungen gab es lediglich einen Abbruch (= 1,3 %) bedingt durch Schmerzen/Unruhe seitens des Patienten (eGrafik 3), was eine hohe Akzeptanz und geringe Nebenwirkungen vermuten lässt.
Die vorliegende Untersuchung liefert als erste randomisierte kontrollierte Studie unter Einbezug objektiver Daten Evidenz zur Wirksamkeit von rezeptiver Musiktherapie auf Wohlbefinden und Entspannung von Patienten in palliativmedizinischer Versorgung. Die getestete Entspannungsübung kann von praktizierenden Musiktherapeuten in der Arbeit mit Schwerstkranken und Sterbenden effektiv eingesetzt werden. Aufgrund der in den letzten Jahren gewachsenen Datenlage (10, 20) empfiehlt sich eine Neubewertung der Effektivität von Musiktherapie in den einschlägigen Übersichtsarbeiten (2, 3).
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 19. 5. 2015, revidierte Fassung angenommen: 24. 8. 2015
Anschrift für die Verfasser
Dipl.-Psych. Marco Warth, M.A.
Zentrum für Schmerztherapie und Palliativmedizin
Klinik für Anaesthesiologie, Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 131, 69120 Heidelberg
marco.warth@hochschule-heidelberg.de
Zitierweise
Warth M, Keßler J, Hillecke TK, Bardenheuer HJ: Music therapy in palliative care—a randomized controlled trial to evaluate effects on relaxation.
Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 788–94. DOI: 10.3238/arztebl.2015.0788
@The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
eGrafiken, eTabelle und eAbbildung:
www.aerzteblatt.de/15m0788 oder über QR-Code
J Palliat Care 2001; 17: 142–6 MEDLINE
An integrative review of the heart’s anatomy and heart rate variability. Front Psychol 2014; 5 5: ArtID: 1040 CrossRef
Zentrum für Schmerztherapie und Palliativmedizin, Klinik für Anaesthesiologie, Universität
Heidelberg: Dipl.-Psych. Warth, M.A., PD Dr. med. Keßler, Prof. Dr. med. Bardenheuer
Fakultät für Therapiewissenschaften, SRH Hochschule Heidelberg: Dipl.-Psych. Warth, M.A.,
Prof. Dr. sc. hum. Hillecke
Danksagung
Die Autoren danken Gisela Platzbecker, Josien van Kampen und Kerstin Röbig für die Unterstützung bei der Durchführung der musiktherapeutischen Sitzungen.
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Sammito, Stefan; Böckelmann, Irina
Warth, Marco; Keßler, Jens; Hillecke, Thomas K.; Bardenheuer, Hubert J.
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