POLITIK
Suizidbeihilfe: Verbot bei Geschäftsmäßigkeit


Einen Tag nach der Verabschiedung eines neuen Hospiz- und Palliativgesetzes stimmte der Bundestag über die Suizidbeihilfe ab: Sterbehilfevereine sollen verboten, persönlicher und ärztlicher Handlungsspielraum aber erhalten werden.
Foto: dpa
Als kurz vor 13 Uhr am 6. November Bundeskanzlerin Angela Merkel durch den Plenarsaal des Deutschen Bundestages lief und lächelnd Hände schüttelte sowie Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe relaxt an der Regierungsbank lehnte und mit Michael Brand (alle CDU) plauderte, war den Beobachtern auf der Tribüne bereits vor der endgültigen Auszählung der Stimmkarten klar, welches Ergebnis die namentliche Abstimmung des Entwurfes eines „Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ haben würde.
13.02 Uhr war es offiziell: Eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung ist künftig in Deutschland verboten, Angebote, wie die des Vereins „Sterbehilfe Deutschland“ von Roger Kusch untersagt. Das Gesetz, vorgelegt von einer interfraktionellen Gruppe um Brand und Kerstin Griese (SPD) und unterstützt von Merkel und Gröhe, erhielt in der dritten Lesung 360 von 602 abgegebenen Stimmen. Mit Nein stimmten 233 Parlamentarier, neun enthielten sich.
Überraschende Mehrheit
Vorausgegangen war der überraschend eindeutigen Entscheidung des Deutschen Bundestages eine breite gesellschaftliche Debatte sowie am Tag selbst nochmals eine emotionale Aussprache. Ab 9.24 Uhr versuchten die Vertreter aller vier vorliegenden fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfe sowie die des Antrags von Katja Keul (Bündnis90/Die Grünen) und Brigitte Zypries (SPD), der die vorherige Gesetzeslage beibehalten wollte, die noch unentschiedenen Volksvertreter zu überzeugen. Abgeordnete um Patrick Sensburg (CDU) traten für ein völliges Verbot der Suizidbeihilfe ein; Parlamentarier um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) plädierten dafür, allein die auf Gewinn angelegte Suizidbeihilfe zu verbieten.
Abgeordnete um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach und Carola Reimann (beide SPD) warben dafür, Ärzten explizit die Suizidbeihilfe unter bestimmten Bedingungen zu erlauben. Sie warnten vor dem Entwurf von Brand und Griese, der nach ihrer Ansicht Ärzte kriminalisiere. Um einen Scharlatan zu erwischen, dürften nicht Tausende Ärzte mit Strafe bedroht werden, sagte Hintze.
Die Befürworter des geschäftsmäßigen Verbots der Suizidbeihilfe warnten hingegen vor wachsendem Druck auf Kranke und Alte aus dem Leben zu scheiden, wenn ein „ärztliches Regelangebot“ von Suizidbeihilfe vorliege. Gröhe wies vehement den Vorwurf zurück, das Gesetz kriminalisiere Ärzte. Diese könnten immer noch mit Augenmaß behandeln, betonte er. Aber es mache einen Unterschied, ob der ärztlich assistierte Suizid als Dienstleistung angeboten würde.
12.21 Uhr waren die Parlamentarier aufgefordert, ihre Stimmzettel abzugeben, auf denen sie sich für einen der vier Gesetzentwürfe oder gegen alle und damit für die Beibehaltung der gültigen Rechtslage entscheiden konnten. 12.45 Uhr war bereits sicher, dass es keine weiteren Abstimmungsrunden in zweiter Lesung geben würde: Der Entwurf von Brand/Griese erhielt 309 von 599 gültigen Stimmen; mehr als die drei alternativen Gesetzentwürfe (Hintze/Reimann 128, Künast/Sitte 52; Sensburg 37), die Nein-Stimmen (70) und Enthaltungen (3) zusammen. Die namentliche Abstimmung in dritter Lesung wurde somit zur Formsache.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Wir begrüßen es sehr, dass die große Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag ein Signal gegen Suizidbeihilfe in Deutschland gesetzt und der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe einen Riegel vorgeschoben hat. Die Neuregelung wird nicht dazu führen, dass Ärztinnen und Ärzte kriminalisiert werden, wie dies von den Gegnern des Entwurfs im Vorfeld der Abstimmung behauptet wurde. Nach eingehender inhaltlicher und rechtlicher Prüfung kann die Bundesärztekammer keine Gefahr der Kriminalisierung der Ärzteschaft erkennen.
Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer
Aus meiner palliativmedizinischen Erfahrung ist es richtig, die organisierte und auf Wiederholung angelegte Beihilfe zum Suizid zu verhindern. Denn der Wunsch zu sterben ist oft komplex und Ausdruck einer Ambivalenz. Bei der organisierten Suizidhilfe besteht die große Gefahr, dass diese Komplexität nicht berücksichtigt wird, und der Druck auf die Schwerstkranken wächst, den vermeintlich leichten Ausweg aus ihrem Leid zu wählen. Für uns Ärzte ändert sich mit dem neuen Gesetz nichts. In der Begründung wird klargestellt, dass die bedarfsgerechte Verabreichung von Medikamenten zur Symptomkontrolle und Entscheidungen zu Therapieabbruch oder -verzicht nicht gemeint sind – selbst wenn sich dies lebensverkürzend auswirken kann.
Prof. Dr. med. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP)
Wir als DGHO begrüßen das Verbot kommerzieller Suizidbeihilfe. Die Problematik des neu verabschiedeten Gesetzes liegt jedoch in der Unschärfe der Definition der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“. Denn ärztliche Tätigkeit in Praxis und Klinik ist stets geschäftsmäßig organisiert und durch Wiederholung gekennzeichnet. Eine Umfrage unter unseren Mitgliedern zeigte, dass Hilfe zur Selbsttötung nie zum ärztlichen „Regelangebot“ gehörte. Die Angst vor dem Autonomieverlust treibt Patienten jedoch zu der Frage nach Hilfe bei der Selbsttötung – mehr als unerträgliche Schmerzen oder Atemnot. Deshalb: Auch der Respekt vor dem Todeswunsch ist Bestandteil einer lange gewachsenen, vertrauensvollen und intakten Arzt-Patienten-Beziehung.
Prof. Dr. med. Diana Lüftner, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Positionen und Meinungen
Deutscher Hospiz- und PalliativVerband:
Mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung wurde eine zentrale Forderung des DHPV aufgegriffen. Der Angst vor Würdeverlust mit der gesetzlichen Legitimierung der gewerblichen und organisierten Beihilfe zum Suizid zu begegnen, wie in anderen Entwürfen vorgesehen, kann in einer solidarischen Gesellschaft nicht gewollt sein.
Deutschen Stiftung Patientenschutz:
Der Deutsche Bundestag hat eine klare und weise Entscheidung getroffen. Sie bedeutet keinesfalls den Verlust von Selbstbestimmung. Vielmehr ist das Votum ein wichtiges Signal an pflegebedürftige, depressive, alte und kranke Menschen. Für sie gibt es nicht nur die Entscheidung zwischen Maximaltherapie und Lebensbeendigung. Zudem wird die organisierte Suizidassistenz nicht Teil ärztlicher Therapie. Jedoch bleibt der Auftrag an die Mediziner klar: Der Patient allein entscheidet über die Therapie – selbst wenn diese zum Tode führt. Sterbenlassen ist keine Tötung.
Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben:
Für die Menschen in Deutschland wird die Situation durch das neue Gesetz nicht einfacher. Zunehmend bleibt Sterbenskranken, falls sie ihr Leben selbstbestimmt beenden wollen, nur der Weg in die Schweiz. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Zahl der Brutalsuizide von Menschen, denen die palliativmedizinischen Hilfen nicht genügen, weiter zunimmt.
Diakonie Deutschland:
Es ist richtig und gut, dass der Bundestag entschieden hat, Geschäfte mit dem Wunsch nach einem assistierten Suizid zu verbieten. Gerade in einer immer älter werdenden Gesellschaft kann es nicht darum gehen, ob und wie Menschen auf Verlangen geholfen werden kann, aus dem Leben zu scheiden.
@ Alle Gesetzentwürfe unter:
www.aerzteblatt.de/151918
Heubel, Friedrich