THEMEN DER ZEIT
Herbert-Lewin-Forschungspreis: Brüche und Kontinuitäten im Blick


Aus einer Vielzahl eingereichter Forschungsarbeiten zur Rolle der Ärzteschaft in der NS-Zeit wählte die Jury drei Preisträger aus.
Bereits zum fünften Mal wurde am 20. November in Berlin, dieses Mal in den Räumen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Forschungspreis zur Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus verliehen. Der Preis, in diesem Jahr erstmals benannt nach Herbert Lewin, wird alle zwei Jahre gemeinsam ausgeschrieben vom Bundesministerium für Gesundheit, von der Bundesärztekammer, der Bundeszahnärztekammer und der KBV. Die Ausschreibung richtet sich an Ärzte und Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen. Der Name von Prof. Dr. med. Herbert Lewin stehe exemplarisch für die Diffamierung und Verfolgung der Juden in der NS-Zeit, verweise aber auch auf eine fortgesetzte Diskriminierung nach 1945, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, bei der Preisverleihung. Herbert Lewin (1899– 1982), dessen Habilitationsschrift bereits 1932 aus antisemitischen Gründen abgelehnt wurde, der als Häftlingsarzt in verschiedenen Konzentrationslagern das Kriegsende überlebte, wurde 1949 zunächst die Berufung zum Direktor der Frauenklinik in Offenburg mit der Begründung verweigert, keine Frau könne sich ihm, dem das Rachegefühl eines KZ’lers innewohne, mit ruhigem Gewissen anvertrauen.
Formen der Erinnerung
Die Zeit nach 1945 in den Blick gefasst zu haben, ist einer der Gründe dafür, dass die Jury den mit 7 500 Euro dotierten 1. Preis an Dr. med. dent. Gisela Tascher für ihre Regionalstudie „Staat, Macht und ärztliche Berufsausübung 1920–1956. Gesundheitswesen und Politik: Das Beispiel Saarland“ vergab. Hier werde beispielhaft und auf hohem wissenschaftlichem Niveau der Blick nicht nur auf Brüche, sondern auch auf Kontinuitäten, sowohl in den Strukturen als auch im personellen Bereich, gerichtet, heißt es in der Bewertung durch die Jury. Beleuchtet würden die jeweiligen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die ärztliche Berufsausübung sowie die Rolle der ärztlichen Standesvertretungen in unterschiedlichen politischen Kontexten einschließlich der Karrieren führender Standesvertreter.
Der mit 2 500 Euro dotierte 2. Preis wurde zweimal vergeben. Dr. phil. Sascha Topp geht in seiner wissenschaftlichen Studie „Geschichte als Argument in der Nachkriegsmedizin – Formen der Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Euthanasie zwischen Politisierung und Historiographie“ der Frage nach, wie innerhalb der medizinischen Profession die NS-Medizinverbrechen historiographisch dargestellt und Teil der Erinnerungskultur wurden – insbesondere mit Blick auf die Entwicklung der Ethik in der Medizin in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945.
Gleichfalls mit dem 2. Preis ausgezeichnet wurde Priv.-Doz. Dr. med. Bernd Höffken für sein biografisches Forschungsarbeit „Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933“. Beeindruckend sei hier, urteilt die Jury, die akribische Vorgehensweise, mit der systematisch die Schicksale und Lebensdaten von 133 jüdischen Ärzten in Nürnberg mit Empathie und der gebotenen wissenschaftlichen Gründlichkeit aufgearbeitet werden. Damit werde den verfolgten oder ermordeten Nürnberger Ärzten ein bleibendes Denkmal im Sinne des biblischen Yad Vashem gesetzt.
Montgomery verwies in diesem Kontext auf die historische Bedeutung des Treffens von Bundesärztekammer und Israeli Medical Association vor wenigen Monaten in Berlin. In der gemeinsamen Erklärung werde auf die Schuld und die Verstrickung der deutschen Ärzteschaft in der NS-Zeit hingewiesen. Ernst nehmen müsse man auch die Sorgen der Juden hierzulande vor dem Antisemitismus vieler Zuwanderer aus islamischen Ländern. „Willkommenskultur bedeutet auch, deutlich zu machen, dass es religiösen Fanatismus bei uns nicht geben darf“, betonte Montgomery.
Thomas Gerst