ArchivDeutsches Ärzteblatt1-2/2016Orale Kontrazeption: Neue Pillen, höheres Risiko

MEDIZINREPORT

Orale Kontrazeption: Neue Pillen, höheres Risiko

Hibbeler, Birgit

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Eine Klage gegen die Firma Bayer hat die Diskussion über Kombinationspillen neu entfacht. Pillen der dritten und vierten Generation haben ein höheres Risiko venöser Thromboembolien. Insgesamt ist die Gefahr bei allen Präparaten aber gering.

Die Debatte um die Sicherheit von oralen Kontrazeptiva ist neu entbrannt. Grund ist die Klage einer 31-jährigen Frau gegen den Pharmakonzern Bayer. Sie hatte nach der Einnahme der Antibaby-pille Yasminelle eine Lungenembolie erlitten. Mitte Dezember begann der Zivilprozess am Landgericht im baden-württembergischen Waldshut-Tiengen. Die Klägerin fühlte sich durch die Packungsbeilage nicht ausreichend informiert. Sie ist Nichtraucherin und erlitt die Embolie 2009 – im Alter von 25 Jahren.

Bayer teilte mit, die Ansprüche der Klägerin seien unbegründet. Sie verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld. In den USA haben bereits mehrere Tausend Frauen geklagt. Der Bayerkonzern schloss rund 9 000 Vergleiche und zahlte insgesamt 1,9 Milliarden US-Dollar, ohne aber eine juristisch wirksame Verantwortung anzuerkennen.

Die Risiken von Yasminelle und anderer niedrig dosierter Kombinationspillen der dritten und vierten Generation sind schon lange bekannt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wies 2014 in einem Rote-Hand-Brief unter anderem auf die Risiken von Drospirenon hin. Der Wirkstoff ist als Gestagenanteil in Yasminelle enthalten.

In dem Rote-Hand-Brief geht es um die Gefahr venöser Thromboembolien (VTE) unter Einnahme von Kombinationspillen mit geringem Öströgengehalt (Ethinylestradiol < 50 μg). Bei diesen sogenannten Mikropillen ist das VTE-Risiko vom verwendeten Gestagen abhängig (Tabelle). Bei Präparaten, die zum Beispiel Drospirenon enthalten, ist es höher als bei solchen mit Levonorgestrel.

Das BfArM stellt in dem Rote-Hand-Brief aber auch klar: Das Risiko für das Auftreten einer VTE ist bei den niedrig dosierten Kombinationspillen insgesamt gering. Allerdings sind sie sehr weit verbreitet. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) veröffentlichte im Jahr 2014 eine Mitteilung, die eine Hochrechnung für die Zahl der erwarteten VTE in Deutschland enthielt (Tabelle). Die AkdÄ wies außerdem darauf hin, dass in Deutschland der Anteil der verordneten Kombinationspillen der dritten und vierten Generation hoch ist. Während er in Frankreich und Großbritannien zwischen 30 und 40 Prozent liegt, entfallen in Deutschland immerhin 50 bis 70 Prozent der Verordnungen auf die neueren Präparate.

Kürzlich kritiserte die Techniker Krankenkasse (TK) das Verordnungsverhalten bei den Antibaby-pillen. Die TK sieht die Ursachen vor allem im Marketing. Die Patientinnen versprechen sich von den neuen Pillen eine reinere Haut oder eine geringere Gewichtszunahme. „Die Hersteller von Pillen haben offenbar herausgefunden, wie man gerade für die Zielgruppe der jungen Frauen neue Medien nutzt, um diese spezifisch und mit ihrer Sprache zu erreichen“, berichtet die Pharmakologin Prof. Dr. med. Petra Thürmann, die als medizinische Beraterin für den TK-Pillenreport fungierte. „Letztendlich sind hier verantwortungsbewusste Ärztinnen und Ärzte und deren Fachgesellschaften gefordert, in ihren Leitlinien Stellung zu beziehen“, sagt sie.

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) erklärte auf Anfrage, bei der Auswahl einer Antibabypille müsse für jede Patientin individuell Nutzen und Risiko geprüft werden. Die DGGG verweist auf den Rote-Hand-Brief sowie eine Checkliste, die das BfArM für Ärzte erstellt hat. Eine aktuell gültige Leitlinie zum Thema Empfängnisverhütung gibt es nicht. Die DGGG arbeitet derzeit an einer S3-Leitlinie. Diese soll Ende 2016 vorliegen.

Dr. med. Birgit Hibbeler

@Der Rote-Hand-Brief und die Checkliste für Ärzte:
www.aerzteblatt.de/1625

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