ArchivDeutsches Ärzteblatt1-2/2016Telemedizin: Hinweise zur Fernbehandlung

POLITIK

Telemedizin: Hinweise zur Fernbehandlung

Krüger-Brand, Heike E.

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Die AG Telemedizin der Bundesärztekammer hat den im Berufsrecht verankerten Paragrafen zur Fernbehandlung präzisiert, um mehr Rechtssicherheit für Ärzte beim Einsatz telemedizinischer Verfahren zu schaffen.

Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“ So lautet § 7 Abs. 4 der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte (MBO-Ä). Häufig wird diese Regelung als „Fernbehandlungsverbot“ bezeichnet. Verboten ist allerdings nicht die Fernbehandlung generell, sondern berufsrechtlich unzulässig ist danach nur die „ausschließliche“ Fernbehandlung. Dennoch hat die Regelung unter Ärzten, die telemedizinische Verfahren zur Patientenversorgung einsetzen oder dies planen, zur Verunsicherung geführt. „Viele Ärzte rufen bei uns an und fragen: Was dürfen wir überhaupt, und wann kommt es zu einem Verstoß gegen die Berufsordnung?“, berichtet Dr. med. Johannes Schenkel, Referent Telemedizin, im Dezernat Telemedizin und Telematik der Bundesärztekammer (BÄK). Hinzu komme der Vorwurf vonseiten der Politik, die Ärzte verschenkten durch das Fernbehandlungsverbot die Potenziale, mittels Telemedizin die Versorgung zu verbessern.

Dabei ist Telemedizin in der Versorgungsrealität inzwischen fest etabliert und in einigen Bereichen, wie etwa der Akutversorgung von Schlaganfallpatienten, schon weit verbreitet. Erst jüngst hat der Erweiterte Bewertungsausschuss das Monitoring von Patienten mit einem implantierten Defibrillator oder CRT-System (kardiale Resynchronisationstherapie) von April 2016 an als telemedizinische Leistung in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab aufgenommen.

Die Online-Videosprechstunde soll künftig Bestandteil der Regelversorgung werden. Bei der Behandlung von Bestandspatienten sehen Experten dabei keinen Konflikt mit dem Berufsrecht. Fotos: Canstockphoto
Die Online-Videosprechstunde soll künftig Bestandteil der Regelversorgung werden. Bei der Behandlung von Bestandspatienten sehen Experten dabei keinen Konflikt mit dem Berufsrecht. Fotos: Canstockphoto

Zudem sieht das kürzlich vom Bundestag verabschiedete E-Health-Gesetz neben der telekonsiliarischen Röntgenbildbefundung auch die Online-Videosprechstunde als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Dass diese Regelung noch ins Gesetz aufgenommen wurde, geht maßgeblich auf eine Initiative der Ärzte selbst zurück: Seit September 2015 erprobt der Bundesverband der Deutschen Dermatologen gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse in einem Pilotprojekt die virtuelle Videokonsultation mit Bestandspatienten. Auch in vielen anderen Gebieten werden telemedizinische Verfahren derzeit getestet. Das vom Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der E-Health-Initiative geförderte Deutsche Telemedizinportal verzeichnet mehr als 200 Projekte sehr großer Spannbreite, was Methoden, Ziele und Versorgungsbereiche betrifft.

Vor diesem Hintergrund hat die Projektgruppe Telemedizin der BÄK anhand von telemedizinischen Versorgungsmodellen einen Überblick über die rechtlich zulässigen und unzulässigen Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten nach § 7 Abs. 4 MBO-Ä erarbeitet. Das Papier, das mit dem für die MBO zuständigen Ausschuss in der BÄK abgestimmt wurde, geht auch auf die Voraussetzungen und den Regelungszweck der Norm ein. „Die Erläuterungen schaffen für Ärztinnen und Ärzte in dem sehr dynamischen Entwicklungsfeld der Telemedizin Klarheit, welchen rechtlichen Rahmen die Berufsordnung vorgibt“, erläutert Dr. med. Udo Wolter, Vorsitzender des Ausschusses Berufsordnung.

Individuelle Behandlung

So wird klargestellt, dass sich der Geltungsbereich der Norm nur auf die „individuelle“ ärztliche Beratung oder Behandlung beschränkt. Diese liege dann vor, wenn sie auf einen bestimmten Patienten und dessen Symptome bezogen sei und in einer konkreten Situation zu einer Diagnose oder Therapieempfehlung führe. „Infolgedessen ist es berufsrechtswidrig, den einzelnen Patienten konkret zu behandeln, ohne persönlichen i. S. v. physischen Kontakt mit dem Patienten gehabt zu haben“, heißt es in dem Papier.

Allgemeine Erörterungen einer medizinischen Frage ohne Bezug auf einen bestimmten Patienten sind dagegen zulässig, wie Erläuterungen zu einer Diagnose über ein Internetportal. Allerdings kann dem Papier zufolge die Abgrenzung zwischen allgemeinen Hinweisen und einer ärztlichen Beratung oder Behandlung im Einzelfall schwierig sein, sie bedürfe daher stets einer „konkreten Prüfung in der Verantwortung des Arztes“.

Ausschließlich per Telemedizin

Als Ergänzung einer „herkömmlichen“ ärztlichen Behandlung ist auch die ausschließliche telemedizinische Behandlung rechtlich unter definierten Bedingungen möglich. Voraussetzung ist hierfür im Regelfall der physische Arztkontakt des Patienten zu Beginn einer Behandlung. Anschließend kann die Behandlung zumindest zeitweise ohne persönlichen Kontakt zum Patienten per Telemedizin fortgeführt werden. Ein Beispiel hierfür sind Telekonsile: „Der Konsiliarius wird dabei grundsätzlich nicht zum (mit-)behandelnden Arzt“, heißt es. Die Empfehlungen des Konsiliararztes würden durch denjenigen Arzt vermittelt, der mit dem Patienten in unmittelbarem Kontakt stehe. Auch teleradiologische Untersuchungen sind ohne unmittelbaren physischen Patientenkontakt zulässig. Gleiches gilt für Notfälle: So ist etwa die funkärztliche Versorgung auf hoher See erlaubt, wenn die ärztliche Hilfe auf anderem Weg nicht schnell genug beim Patienten verfügbar ist.

Darüber hinaus muss auch bei telemedizinischen Verfahren ein Arzt den Patienten „unmittelbar“ behandeln. Der Begriff besagt, dass die Behandlung „auf eigenen, unmittelbaren Wahrnehmungen des Arztes“ unter Einbezug aller seiner fünf Sinne beruhen muss – gemeint ist damit die persönliche körperliche Untersuchung des Patienten nach der gebotenen ärztlichen Sorgfaltspflicht. Im Hinblick auf die Fernbehandlung ist somit stets mindestens ein unmittelbar behandelnder Arzt als Beteiligter erforderlich. Zugleich heißt das, es können mehrere Ärzte in die Behandlung eingebunden sein, ohne dass bei allen ein unmittelbarer Patientenkontakt gegeben sein muss.

Die telemedizinischen Versorgungsmodelle, die die AG Telemedizin im Hinblick auf den Paragrafen zur Fernbehandlung analysiert hat, umfassen unterschiedliche Modelle des Telekonsils, die Telediagnostik (Teleradiologie und Telepathologie), Telemonitoring-Szenarien und die Telekonsultation. „Ärztinnen und Ärzte können sich hier informieren, welche telemedizinischen Versorgungsmodelle mit der aktuellen Berufsordnung für Ärzte vereinbar sind“, erklärte Dr. med. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender der Projektgruppe, die die Erläuterungen gemeinsam mit Juristen und Telemedizinexperten erarbeitet hat. „Die Hinweise und Erläuterungen zeigen, dass ein sehr weites Spektrum telemedizinischer Versorgung mit unserer Berufsordnung vereinbar ist.“

Überwiegend konfliktfrei

Als problematisch erweist sich dabei letztlich nur eine Variante der Telekonsultation: Wenn bei einem Arzt-Patienten-Kontakt etwa per Video eine Diagnose oder Therapieempfehlung ohne Einbettung in einen Behandlungszusammenhang erfolgt, ist dies derzeit zumindest in Deutschland berufsrechtswidrig (Kasten). Eine allgemeine krankheitsbezogene Beratung durch Ärzte beispielsweise im Online-Chat wäre hingegen mit den berufsrechtlichen Regelungen vereinbar.

Heike E. Krüger-Brand

@Hinweise und Erläuterungen zu § 7 Abs. 4 MBO-Ä im Internet:
www.aerzteblatt.de/1608

3 Fragen an . . .

Dr. med. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender des Telematikausschusses der BÄK

Das Papier zum § 7 Absatz 4 MBO-Ä gibt überwiegend Entwarnung, was mögliche Konflikte von telemedizinischen Verfahren mit dem Berufsrecht betrifft, oder?

Bartmann: In der Tat hat eine Analyse aller bisher in Deutschland bekannt gewordener Telemedizinprojekte ergeben, dass in der Regel kein realer Konflikt mit dem § 7 Abs.4 der MBO besteht. Lediglich ein Modell, wie es auch von MedGate in Basel praktiziert wird, nämlich die Beratung eines Patienten, den man zuvor nicht persönlich im Rahmen einer Präsenzsprechstunde gesehen und kennengelernt hat, würde in Deutschland zu berufsrechtlichen Konsequenzen führen.

Die Grauzone zwischen allgemeiner medizinischer Information und konkreter ärztlicher Beratung bleibt?

Bartmann: Das, was eventuell als Grauzone wahrgenommen werden könnte, ist kein exklusives Phänomen der Telemedizin. Jedem Patientenkontakt hinterlegt ist die Einhaltung der Sorgfaltspflicht. Diese ist aber nicht normierbar. Nur Arzt und Patient können letztendlich gemeinsam entscheiden, was in einer aktuellen Situation angemessen und vertretbar ist. Auch die Behandlung ohne Untersuchung und unvollständige Anamnese in einer Präsenzsprechstunde würde im Schadensfall berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Warum kann man das Fernbehandlungsverbot nicht komplett abschaffen?

Bartmann: Den dritten Schritt vor dem ersten zu tun, kann nie erfolgreich sein. Eine völlige Freigabe würde die bereits heute beklagte Intransparenz bei unkontrollierten, nicht gegenseitig dokumentierten Arztkontakten noch potenzieren. Damit würden wir unserem Auftrag nach einer verantwortlichen Patientensteuerung im Gesundheitswesen nicht mehr gerecht werden können.

Auch in der Schweiz darf nicht jeder Arzt einen Patienten außerhalb der Ordination behandeln. MedGate funktioniert wie ein virtueller Hausarzt, bei dem jeder Kontakt in einer elektronischen Patientenakte dokumentiert und kontrolliert wird.

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.
Deutsches Ärzteblatt plus
zum Thema
Themen:

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote