ArchivDeutsches Ärzteblatt3/2016Mammographie-Screening: Nutzen-Schaden-Abwägung im internationalen Vergleich

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Mammographie-Screening: Nutzen-Schaden-Abwägung im internationalen Vergleich

Fügemann, Hella; Kääb-Sanyal, Vanessa

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Es gibt keine feste Richtlinie, wie gerettete Leben und Überdiagnosen gegeneinander aufgewogen werden können oder sollten.

Foto: dpa
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Verschiedene internationale Publikationen haben in den letzten Jahren den Nutzen des Mammographie-Screenings infrage gestellt. Gleichzeitig gerieten mögliche Schäden, insbesondere Überdiagnosen, durch die Früherkennung in den Fokus der Diskussion. Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses nun in seinem Rapid Report eine Nutzen-Schaden-Bilanz für das deutsche Programm vorgelegt und das Merkblatt zum Mammographie-Screening überarbeitet.

In den letzten Jahren sind bereits zahlreiche Nutzen-Schaden-Abwägungen von internationalen Expertengremien veröffentlicht worden (17). Dabei wird deutlich, dass es keine einheitliche Methodik gibt, weder in Bezug auf die Schätzungen zu den wichtigsten Nutzen- und Schaden-Parametern noch für die Schlussfolgerungen aus den ermittelten Zahlen. Dies erschwert den Vergleich der einzelnen Abwägungen und damit auch ihre Nachvollziehbarkeit für den Leser erheblich.

Keine einheitliche Methodik

Die Unterschiede in der Herangehensweise der einzelnen Expertengremien beginnen bereits bei der Auswahl der Datengrundlagen für die Abschätzung von Nutzen und Schaden. Damit verbunden ist die Frage nach der besten verfügbaren Evidenz. Einige Expertengremien, wie das UK Panel (1) und das IQWiG (7), ziehen ausschließlich randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) beziehungsweise systematische Übersichten von RCTs heran, da diesem Studientyp das höchste Evidenzlevel zugeschrieben wird (8). Andere Gremien, wie die IARC der WHO (6) und das Health Council of the Netherlands (5), stützen sich bei ihrer Analyse auch auf Daten aus Beobachtungsstudien aus laufenden Screening-Programmen. Diese bieten aktuellere Daten als die zur Verfügung stehenden RCTs, die sämtlich mehr als 20 Jahre zurückliegen (6). Seit dieser Zeit haben sich Diagnostik und Therapie stark weiterentwickelt, was sich auf die zu erwartenden Effekte des Mammographie-Screenings auswirkt. Beobachtungsstudien sind dafür anfälliger für systematische Verzerrungen als RCTs, weshalb ihnen ein geringeres Evidenzlevel zugeschrieben wird. Die EUROSCREEN Working Group verwendet ausschließlich Daten aus aktuell laufenden Mammographie-Screening-Programmen in Europa für ihre Metaanalysen. Dass die Auswahl der Datengrundlage einen erheblichen Einfluss auf die einzelnen Schätzungen hat, zeigen die noch folgenden Zahlenbeispiele aus diversen Nutzen-Schaden-Gegenüberstellungen.

Primäres Ziel eines Mammographie-Screening-Programms ist die Reduktion der brustkrebsspezifi-schen Mortalität. Die Auswertungen der RCTs haben ergeben, dass durch die Einladung zur Früher-kennungsuntersuchung die Sterblichkeit an Brustkrebs für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren um rund 20 Prozent reduziert werden kann. (1, 3, 4, 7). Darin sind sich sowohl Befürworter des Mammographie-Screenings, wie zum Beispiel die IARC der WHO, das UK Panel, die U.S. Preventive Services Task Force, als auch Kritiker, wie etwa das Swiss Medical Board (4) und Gøtzsche/Jørgensen (3), einig.

Nutzenbewertungen variieren

Große Differenzen ergeben sich hingegen bei der Angabe von absoluten Zahlen. So schätzt etwa das IQWiG, dass bei ein bis zwei von 1 000 Frauen der Tod infolge von Brustkrebs vermieden werden kann (7). Das UK Panel hingegen spricht von 4,3 geretteten Leben pro 1 000 Frauen (1). Die EUROSCREEN Working Group gibt an, dass durch das Mammographie-Screening sogar sieben bis neun von 1 000 Frauen vor dem Tod an Brustkrebs bewahrt werden können (2).

Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Die Angaben unterscheiden sich in Bezug auf den Beobachtungszeitraum (Follow-up). Der Einfluss der Nachbeobachtungszeit wird in der Grafik zu den Mortalitätsraten aus dem Two-County-Trial (Schweden) sehr gut sichtbar: Mit zunehmender Beobachtungsdauer wird der absolute Unterschied in den Mortalitätsraten zugunsten der gescreenten Gruppe größer, und das bei konstant bleibender relativer Mortalitätsreduktion.

Kumulative Brustkrebsmortalität Swedish Two-County Trial
Grafik
Kumulative Brustkrebsmortalität Swedish Two-County Trial

Das IQWiG stellt seine Nutzen-Schaden-Abwägung bezogen auf einen Beobachtungszeitraum von zehn Jahren dar, da die RCTs eine mediane Beobachtungszeit von elf Jahren umfassen. Die Begründung für die Wahl eines Zehn-Jahres-Zeitraums, obwohl Frauen in Deutschland 20 Jahre lang zum Screening eingeladen werden, liegt in der Datenverfügbarkeit: „Man kann unter Annahmen schätzen, was 20 Jahre Mammografie bringen. Oder man kann beschreiben, was man über zehn Jahre weiß“, sagt dazu Klaus Koch vom IQWiG (10). Das UK Panel geht bei seinen Angaben zur absoluten brustkrebsspezifischen Mortalitätsreduktion von einem Follow-up von 25 Jahren aus, der einen reinen Nachbeobachtungszeitraum von bis zu zehn Jahren beinhaltet (1). Die EUROSCREEN Working Group setzt sogar einen Beobachtungszeitraum von 30 Jahren für seine Berechnungen an (20 Jahre Screening und weitere zehn Jahre Nachbeobachtung). Das Expertengremium betont, dass ein ausreichend langes Follow-up von elementarer Bedeutung sei: „Breast cancer service screening is a long-term investment. Implementation takes several years and, due to good survival rates in many European countries, final outcomes can only be fully evaluated after a long period of follow-up (at least 20 years)“ (2).

Ein weiterer Unterschied kommt durch die Auswahl der betrachteten Population zustande. Für die individuelle Entscheidungsfindung für oder gegen eine Teilnahme sind Angaben über den Nutzen und Schaden bei Teilnahme relevant und nicht Effekte auf Bevölkerungsebene. Daher wird im neuen Merkblatt durchgehend von teilnehmenden Frauen gesprochen. Die Ergebnisse der RCTs beziehen sich auf eingeladene Frauen, wobei die Teilnahmeraten in den Studien mit 65 bis 85 Prozent relativ hoch waren. Werden diese Ergebnisse von eingeladenen Frauen direkt auf Teilnehmerinnen übertragen, kann dies zu einer Unterschätzung der Effekte führen, sowohl der positiven als auch der negativen, was im Rapid Report entsprechend diskutiert wird (7). Die EUROSCREEN Working Group ermittelt dagegen Angaben für die tatsächlich am Screening teilnehmenden Frauen (2). Auch das UK Panel präsentiert in seiner Publikation eine konkrete Zahlenangabe zum Nutzen für Frauen, die tatsächlich teilnehmen: Demnach erhöht sich die Anzahl der geretteten Leben von 4,3 pro 1 000 eingeladene Frauen auf 5,6 pro 1 000 Teilnehmerinnen (1).

Problem der Überdiagnosen

Als bedeutendster Nachteil des Mammographie-Screenings werden Überdiagnosen angesehen. Dabei handelt es sich nicht um eine falsche Diagnose, wie häufig irrtümlicherweise angenommen wird. Als Überdiagnose bezeichnet man eine Brustkrebserkrankung, die zu Lebzeiten der betroffenen Frau ohne Früherkennungsuntersuchung nicht auffällig geworden wäre. Auf die einzelne Frau bezogen kann nicht individuell festgestellt werden, ob es sich bei ihr um eine Überdiagnose handelt oder nicht. Es ist nur möglich, die Häufigkeit von Überdiagnosen zu schätzen. In der wissenschaftlichen Literatur herrscht eine enorme Spannweite in Bezug auf die Angaben zum Ausmaß von Überdiagnosen, da diese nur mithilfe mathematischer Modellierungen geschätzt werden können. Im Rapid Report des IQWiG heißt es dazu: „Es gibt keine international konsentierte Methodik zur Quantifizierung von Überdiagnosen“ (7). Diese methodische Vielfalt erschwert die Vergleichbarkeit von Ergebnissen.

Das UK Panel hat verschiedene mathematische Modelle angewandt, um Raten an Überdiagnosen zu schätzen. In diesen Modellen wurden unterschiedliche Annahmen gemacht – verschieden lange Beobachtungszeiträume, unterschiedliche Altersgruppen, unterschiedliche Bezugsgrößen. „The Panel believes that there is no single best way to estimate overdiagnosis. . . . None of the methods is wrong – they just address different questions“ (1). In der abschließenden Bewertung hält es zwei methodische Ansätze für am sinnvollsten: die Schätzung auf Bevölkerungsebene sowie aus der individuellen Perspektive der Frau. In beiden Fällen sind Überdiagnosen definiert als Differenz der aufgetretenen Brustkrebsfälle (Überschussinzidenz) in der eingeladenen Population gegenüber der Kontrollgruppe ohne Screening nach ausreichend langer Nachbeobachtung. Für die Berechnung wurden drei RCTs identifiziert, in denen der Kontrollgruppe auch nach Beendigung der aktiven Studienphase kein Screening angeboten wurde (Malmö I, Canada I und II). Die reine Nachbeobachtungszeit nach dem Ende der Screening-Phase lag in diesen Studien bei sechs bis 15 Jahre.

Unsichere Schätzungen

Für die Schätzung des Anteils an Überdiagnosen auf Bevölkerungsebene wurde die Überschussinzi-denz in Bezug gesetzt zu der Anzahl Brustkrebsfälle in der eingeladenen Population am Ende der gesamten Beobachtungszeit (Screening-Phase plus Nachbeobachtungszeitraum). Auf Basis der Ergebnisse der drei RCTs hat das UK Panel in einer eigenen Metaanalyse eine Überdiagnoserate auf Bevölkerungsebene von 10,7 Prozent ermittelt (inklusive in-situ-Tumore) (1).

Bei der individuellen Perspektive geht es um die Frage, wie wahrscheinlich es für eine Frau ist, die ab dem Alter von 50 Jahren zur Untersuchung eingeladen wird, während der Screening-Phase eine Überdiagnose zu erhalten. Dementsprechend wird hier als Bezugsgröße ausschließlich die in der eingeladenen Population aufgetretene An-zahl der Brustkrebsfälle während der Screening-Phase berücksichtigt. In einer weiteren Metaanalyse der gleichen RCTs schätzt das UK Panel diese Wahrscheinlichkeit auf 19 Prozent (1). Auf das Mammographie-Screening-Programm in Großbritannien bezogen bedeutet dies, dass von 1 000 eingeladenen Frauen (ab 50 Jahren, über einen Zeitraum von 20 Jahren, Screening alle drei Jahre) 12,9 Frauen eine Überdiagnose erhalten (1).

Das IQWiG hat sich bei seiner Schätzung an der methodischen Herangehensweise des UK Panels ori-entiert (individuelle Perspektive der Frau). Zur Abschätzung des Ausmaßes an Überdiagnosen hat das IQWiG eine eigene Metaanalyse auf der Datenbasis von zwei RCTs (Malmö I und Canada II) durchge-führt. Ergebnisse aus Canada I schließt das IQWiG aus, da es sich hier um Daten bezogen auf Frauen im Alter zwischen 40 und 49 Jahren handelt, die nicht der Zielgruppe des deutschen Screening-Programms entsprechen. Es wurde für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren eine Überdiagnoserate von 17,3 Prozent ermittelt (7). Auf dieser Basis schätzt das IQWiG die absolute Anzahl von Überdiagnosen auf fünf bis sieben pro 1 000 Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren, die zehn Jahre lang zum Screening eingeladen werden (7).

Die EUROSCREEN Working Group geht, wie schon bei der Mortalitätsanalyse, von einem Beobachtungszeitraum von 30 Jahren aus (20 Jahre Screening plus zehn Jahre Nachbeobachtung). In seiner Metaanalyse mit sechs eingeschlossenen Beobachtungsstudien aus laufenden Mammographie-Screening-Programmen kommt die EUROSCREEN Working Group auf eine mittlere Schätzung von 6,5 Prozent (ein Prozent bis zehn Prozent) Überdiagnosen für teilnehmende Frauen zwischen 50 und 79 Jahren inklusive In-situ-Tumoren (2). Bezogen auf 1 000 Frauen, die ab dem Alter von 50 Jahren im Abstand von jeweils zwei Jahren an zehn Screening-Runden teilnehmen und bis zum 79. Lebensjahr nachbeobachtet werden, erhalten vier Frauen eine Überdiagnose (2). Die Angabe von ein bis zehn Prozent Überdiagnosen halten unter anderem die IARC Working Group der WHO, das Health Council of the Netherlands, aber auch das Swiss Medical Board für eine valide Schätzung.

Die unterschiedlichen, von den einzelnen Expertengremien präsentierten Zahlen zu Nutzen und Schaden zeigen sehr deutlich, wie sehr die Herangehensweisen und zugrunde liegenden Annahmen variieren. Einfluss auf die Schätzungen haben vor allem die Auswahl der Datengrundlage, der gewählte Beobachtungs- beziehungsweise Nachbeobachtungszeitraum und die Unterscheidung in eingeladene beziehungsweise teilnehmende Frauen.

Das UK Panel betont in seinem Bericht, dass die eigenen Schätzungen mit Unsicherheit behaftet sind: „ . . . there are potential biases in the trials and concerns about the generalisability of results from the trials to the current UK screening programmes“ (1). Im Rapid Report des IQWiG heißt es: „Die Berechnung der Kennzahlen zur brustkrebsspezifischen Mortalität und Überdiagnosen beinhaltet erhebliche Unsicherheiten“ (7). Diese Unsicherheiten werden im neuen Merkblatt durch die Angabe von Spannen ausgedrückt.

Stellt man die brustkrebsspezifische Mortalitätsreduktion als dem primären Nutzen der Rate an Überdiagnosen als dem primären Schadenparameter des Mammographie-Screenings gegenüber, so ergibt sich laut IQWiG eine Bilanz von ein bis zwei geretteten Leben gegenüber fünf bis sieben Überdiagnosen pro 1 000 eingeladene Frauen, bezogen auf einen Screening-Zeitraum von zehn Jahren (7). Das UK Panel kommt in seiner Nutzen-Schaden-Abwägung zu einem Verhältnis von eins zu drei (4,3 gerettete Leben gegenüber 12,9 Überdiagnosen pro 1 000 eingeladene Frauen in 25 Jahren) (1). In der Nutzen-Schaden-Bilanz der EUROSCREEN Working Group stehen für einen 30-Jahres-Zeitraum sieben bis neun geretteten Leben vier Überdiagnosen pro 1 000 Teilnehmerinnen gegenüber und es ergibt sich daher eine umgekehrte Bilanz von zwei zu eins (2).

Empfehlung für Screening

Beide Expertengremien sprechen auf Basis ihrer Auswertungen eine ausdrückliche Empfehlung für das Mammographie-Screening aus. Trotz der ungünstig anmutenden Nutzen-Schaden-Bilanz von eins zu drei heißt es im UK Panel: „The Panel concludes that the UK breast screening programmes confer significant benefit and should continue“ (1). Dies zeigt deutlich, dass die Abwägung von Nutzen und Schaden auch eine subjektive Komponente enthält. Es gibt keine feste Richtlinie, in welcher Höhe sowie in welcher Art und Weise gerettete Leben und Überdiagnosen gegeneinander aufgewogen werden können oder sollten. Neben dem UK Panel und der EUROSCREEN Working Group bewerten unter anderem auch die U.S. Preventive Services Task Force, die IARC der WHO und das Health Council of the Netherlands den Nutzen des Mammographie-Screenings als Früherkennungsmaßnahme für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren höher als den potenziellen Schaden. Das Swiss Medical Board hingegen spricht keine Empfehlung für das Mammographie-Screening in der Schweiz aus – allerdings nicht auf der Grundlage der ermittelten Zahlen zu Nutzen und Schaden, sondern auf Basis von sogenannten Nutzwerten (4). Diesem methodischen Ansatz ist bislang kein weiteres Expertengremium gefolgt, daher ist ein Vergleich nicht möglich. Das IQWiG gibt keine Bewertung zu seiner Nutzen-Schaden-Bilanz ab.

Hella Fügemann (MPH),
Dr. rer. nat. Vanessa Kääb-Sanyal

Kooperationsgemeinschaft Mammographie
Berlin

@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0316
oder über QR-Code.

1.
Independent UK Panel on Breast Cancer Screening. The benefits and harms of
breast cancer screening: an independent review. 2012.
2.
EUROSCREEN Working Group: Summary of the evidence of breast cancer service screening outcomes in Europe and first estimate of the benefit and harm balance sheet. J Med Screen 2012; 19 Suppl 1: 5–13 CrossRef MEDLINE
3.
Gøtzsche PC, Jørgensen KJ: Screening
for breast cancer with mammography. Cochrane Database Syst Rev 2013; 6: CD001877 CrossRef
4.
Swiss Medical Board: Systematisches Mammographie-Screening. 2014.
5.
Health Council of the Netherlands: Population Screening for breast cancer: expectations and developments. The Hague:
Health Council of the Netherlands, 2014; publication no. 2014/01E.
6.
Lauby-Secretan B, et al.: Breast-Cancer Screening – Viewpoint of the IARC Working Group. N Engl J Med 2015; 372: 2353–8 CrossRef MEDLINE
7.
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Einladungsschreiben und Merkblatt zum Mammographie-Screening. Rapid Report. IQWiG-Berichte – Nr. 288; 2015.
8.
Centre for evidence-based medicine (Zugriff am 28. 9. 2015): http://www.cebm.net/ocebm-levels-of-evidence/
9.
Tabar L, et al.: (2011): Swedish Two-County Trial: Impact of Mammographic Screening on Breast Cancer Mortality during 3 Decades. Radiology 2011; 260: Number 3.
10.
Pressemitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. 20. 4. 2015. www.iqwig.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen/frauen-verstandlich-uber-nutzen-und-schaden-des-mammografie-screenings-informieren.6654.html
Kumulative Brustkrebsmortalität Swedish Two-County Trial
Grafik
Kumulative Brustkrebsmortalität Swedish Two-County Trial
1.Independent UK Panel on Breast Cancer Screening. The benefits and harms of
breast cancer screening: an independent review. 2012.
2.EUROSCREEN Working Group: Summary of the evidence of breast cancer service screening outcomes in Europe and first estimate of the benefit and harm balance sheet. J Med Screen 2012; 19 Suppl 1: 5–13 CrossRef MEDLINE
3.Gøtzsche PC, Jørgensen KJ: Screening
for breast cancer with mammography. Cochrane Database Syst Rev 2013; 6: CD001877 CrossRef
4.Swiss Medical Board: Systematisches Mammographie-Screening. 2014.
5.Health Council of the Netherlands: Population Screening for breast cancer: expectations and developments. The Hague:
Health Council of the Netherlands, 2014; publication no. 2014/01E.
6.Lauby-Secretan B, et al.: Breast-Cancer Screening – Viewpoint of the IARC Working Group. N Engl J Med 2015; 372: 2353–8 CrossRef MEDLINE
7.Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Einladungsschreiben und Merkblatt zum Mammographie-Screening. Rapid Report. IQWiG-Berichte – Nr. 288; 2015.
8. Centre for evidence-based medicine (Zugriff am 28. 9. 2015): http://www.cebm.net/ocebm-levels-of-evidence/
9.Tabar L, et al.: (2011): Swedish Two-County Trial: Impact of Mammographic Screening on Breast Cancer Mortality during 3 Decades. Radiology 2011; 260: Number 3.
10.Pressemitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. 20. 4. 2015. www.iqwig.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen/frauen-verstandlich-uber-nutzen-und-schaden-des-mammografie-screenings-informieren.6654.html

Kommentare

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dr.med.thomas.g.schaetzler
am Sonntag, 24. April 2016, 19:35

Deutsches Mammographie-Screening durch IQWiG und G-BA relativiert!

Das neue Anschreiben und Merkblatt des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bzw. des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (GBA) zum deutschen Mammographie - Screening - Programm lesen sich wie ein "Handbuch der populären medizinischen Irrtümer". Da hilft Medizin-bildungsfern "Das Einmaleins der Skepsis" von Prof. G. Gigerenzer auch nicht weiter.

Diese Entscheidungshilfe soll eine Weiterentwicklung eines vom IQWiG erstellten Merkblatts sein, das der GBA im Januar 2016 veröffentlicht hatte.

Bereits der Titel im Merkblatt der überlangen 16-seitigen "Informationen zum Mammographiescreening - Programm zur Früherkennung von Brustkrebs für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren" ist formal und inhaltlich unsinnig. Brustkrebs ist die häufigste Malignom-Todesursache bei Frauen weltweit in allen Industrie-Ländern mit hoher Lebenserwartung (Ausnahme aus genetischen Gründen: Japan). Es gehört eine gewisse Portion gender-spezifische, medizinische Einfältigkeit dazu, die Altersgruppe unter 50 und über 69 Jahre bei der Früherkennung des Mammakarzinoms alternativlos auszuschließen.

Mit dem für Ratsuchende unverständlich saloppen Anglizismus „Screening“ („to screen“, engl. „etwas auf den Bildschirm bringen“), welcher hier vorsorgemedizinisch als Suche nach Krankheiten in einer definierten Bevölkerungsgruppe gemeint ist, verstecken sich IQWiG und GBA vor einer zwingend notwendigen Abgrenzung zwischen Vorsorge (Prävention) und Früherkennung. Und dies ist keinesfalls semantische Spitzfindigkeit. Das IQWiG stellt im Merkblatt des GBA auf Seite 6 fest: „Etwa 970 von 1000 Frauen erhalten nach der Untersuchung einen unauffälligen Befund.“

Abgesehen von der für Laien nur in völlig anderen Bereichen üblichen Promille-Rechnung, fährt das IQWiG/GBA auf Seite 7 fort: „Nach zwei Jahren erhalten diese Frauen erneut eine Einladung zur Mammographie“. Damit ist jedoch die Mammografie für 97% der Frauen als rein präventive Vorsorgeuntersuchung abgeschlossen, denn sie haben nach medizinisch möglicher Testgenauigkeit keinen Tumor („free of tumor“). Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit einer primären Tumordetektion 2 Jahre später deutlich geringer, als in der Gesamtpopulation möglicherweise prämorbider Frauen vom 40. bis 90. Lebensjahr mit altersabhängig steigender Inzidenz und Prävalenz.

„30 Frauen werden zu weiteren Untersuchungen eingeladen“ heißt es in der IQWiG-Promille-Rechnung; „24 Frauen haben keinen Brustkrebs“ und „6 Frauen erhalten die Diagnose Brustkrebs“ (Seite 7). Nur und ausschließlich bei diesen 6 Frauen, also bei 0,6 Prozent, greift das „Mammographiescreening“ nicht mehr als präventive Vorsorgeuntersuchung, sondern als Krebs-Früherkennung. Deshalb ist auch der IQWiG/GBA-Satz für die Teilnehmerinnen irreführend und diskriminierend "Wichtig zu wissen: Die Mammographie kann nicht verhindern, dass Brustkrebs entsteht." Denn dieser unterstellt der praktischen Lebenserfahrung einer Nichtbetroffenheit in 99,4 Prozent als Ergebnis einer nicht repräsentativen Suggestiv-Befragung die Einfalt, dass der Brustkrebs damit gar nicht erst entstehen könne: Vgl. Gesundheitsmonitor „Mammografie-Screening und informierte Entscheidung: mehr Fragen als Antworten“ von Marie-Luise Dierks und Norbert Schmacke
http://gesundheitsmonitor.de/uploads/tx_itaoarticles/2014-03-Beitrag.pdf

Weitere Fehler und medizinisch-senologische Ungenauigkeiten im zitierten Merkblatt:

- „Die Kosten werden von den Krankenkassen [GKV] übernommen. Sind Sie privat [PKV] versichert, klären Sie die Kostenübernahme bitte vorab mit Ihrer Versicherung“ (Seite 2) vergisst, dass PKV und GKV in den Leistungspflichten mindestens gleichwertig sein müssen.

- Klassische „contradictio in adjecto“ sind die beiden Sätze: „Oft ist Brustkrebs heilbar, entwickelt sich langsam und bildet keine Metastasen. Er kann aber auch schnell wachsen und sich im Körper ausbreiten“ (Seite 2). Denn dies ist eindeutig Staging-, Grading-, Hormonrezeptoren-, Herceptin- und Alters-abhängig.

- „Stellen Sie sich 1000 Frauen vor, die wie Sie zur Früherkennung eingeladen sind. Von diesen Frauen erkranken innerhalb der nächsten zehn Jahre etwa 35 an Brustkrebs“ (Seite 3). Diese Schätzung ist viel zu niedrig: Denn beim ersten Mal sind bereits 6 Frauen an Brustkrebs erkrankt (vgl. S. 7). 10 Jahre mit 5 Mammografie-„Screenings“ später sind unter Berücksichtigung der Altersprogression und der familiär-genetischen Risikoerhöhung bei der Tumorinzidenz weit mehr als 36 Frauen an Brustkrebs erkrankt und detektiert worden. Die Brustkrebs-Prävalenz liegt wesentlich höher. Die geschönte Zahl 35 ist ein schlichter Rechenfehler von IQWiG/GBA.

- Logische Entgleisung auf Seite 13: „Die Mammographie kann nur für die Frauen einen Nutzen haben, bei denen ein gefährlicher Krebs noch im Frühstadium gefunden wird.“Dies suggeriert, dass Brustkrebs-Spätstadien nicht mehr untersuch- und behandelbar sind, obwohl auf Seite 3 als Gipfel der Beliebigkeit von unverbindlichen Aussagen steht: „Ob Sie am Mammographie-Screening teilnehmen möchten oder nicht, entscheiden Sie selbst.“

- Vollends unglaubwürdig macht sich das IQWiG-GBA- Merkblatt mit „Wie schon erwähnt, können Tumore und verdächtige Zellveränderungen entdeckt werden, die sich aber nicht zu einer Bedrohung entwickeln und nie Probleme machen würden“ (Seite 10). Dies hebt auf die tendenziöse Diskussion um das „Duktale Carcinoma in Situ (DCIS)“ (Seite 8) ab, bei dem so getan wird, als sei es häufig ein harmloser „Haustierkrebs“. Die wissenschaftliche Diskussion darüber ist keineswegs abgeschlossen und gehört nicht in ein allgemein verständliches Merkblatt.

Dass Brustkrebserkrankungen von begleitenden Multimorbiditäten, Inzidenzen und Prävalenzen bzw. Traumata und Unfällen oder hohem Lebensalter, welche ebenfalls zum Tod führen können, überlagert bzw. überschattet werden, ist leider auch eine Alltagserfahrung unserer Sterblichkeit und Endlichkeit.

Dass hier aber ein tendenziöses, wenig aufklärerisches Merkblatt publiziert wird, welches allgemeinen Standards der Differenzierung von Vorsorge (Prävention) und Früherkennung im internationalen Vergleich nicht Stand hält, ist die eine Sache. Aber hier die Brustkrebs-Problematik mit Vorsorge-Prävention, Früh-Detektion und möglicher Kuration bei Frauen herunter spielen bzw. ausgerechnet auf Frauen vom 50. bis 69. Lebensjahr und ausschließlich auf die Mammografie eingrenzen zu wollen, ist m. E. fahrlässig. Es zeugt von fehlendem Verständnis für Gesundheit, senologische Krankheit und medizinische Kernkompetenz.

Die Publikation aus Fortschr Röntgenstr [RöFo] 2016; 188(01): 33-37 DOI: 10.1055/s-0041-107835 von S. Weigel et al. mit dem Titel 'Reduction of Advanced Breast Cancer Stages at Subsequent Participation in Mammography Screening' ist ebenfalls ein Schlag ins Gesicht der aktuellen Aktivitäten vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) und Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Diese wollen das Mammografie-Screening-Programm durch ein völlig irreführendes Merkblatt in seiner Substanz relativieren. Vgl. hierzu
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/65949/Entscheidungshilfe-zum-Mammographie-Screening-steht-zur-Kommentierung

und meine Veröffentlichung auf DocCheckBlog:
"Neues Anschreiben und Merkblatt des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bzw. des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (GBA) sind ein ‚Handbuch der populären medizinischen Irrtümer‘."
http://news.doccheck.com/de/blog/post/3543-mammografie-to-screen-or-not-to-screen/

Bei 19.563 Erstuntersuchungen und 18.034 Folgeuntersuchungen einer Screening-Einheit im Zeitraum von Januar 2008 bis Dezember 2010 lag die Zwei-Jahres-Inzidenzrate bei Frauen in der Erstuntersuchung bei 1,29 Prozent inzidentes Mammakarzinom und n i c h t, wie im IQWiG/GBA-Merkblatt irreführend behauptet, bei weniger als der Hälfte von nur 0,6 Prozent!

Mammakarzinome aller Stadien lagen bei Frauen in der Folgeuntersuchung als Zwei-Jahres-Inzidenzrate erfreulicherweise signifikant niedriger (0,85 Prozent), aber immer noch höher als vom IQWiG/GBA behauptet.

Fortgeschrittenen Brustkrebs-Stadien zeigten in den Folgeteilnahmen geringere Zwei-Jahresinzidenzen von 0,26 Prozent als bei Erstteilnahme mit 0,48 Prozent.

Das Mammographie-Screening Münster/Westfalen detektierte bereits 2008-2010 demnach mehr als doppelt so viele Mamma-Karzinome, als bisher vom IQWiG/GBA verlautbart, und kann in der Folge den Anteil fortgeschrittener Krebsstadien senken.

IQWiG/GBA spielen mit verharmlosenden Zahlen und gezinkten Karten und riskieren damit eine höhere Morbidität und Mortalität besonders bei fortgeschrittenem Brustkrebs von Frauen, die durch das neu formulierte Merkblatt einerseits abgeschreckt und abgehalten werden, andererseits sich in falscher Sicherheit wiegen.

Quelle: "Reduction of Advanced Breast Cancer Stages at Subsequent Participation in Mammography Screening - Abnahme fortgeschrittener Brustkrebsstadien bei wiederholter Teilnahme am Mammografie-Screening" - Volltext
https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/s-0041-107835

Das IQWiG hatte öffentlich unter 'berichte@iqwig.de' zu Stellungnahmen interessierter Fachkreise aufgerufen: "Stellungnahmeverfahren zu [P14-03] Einladungsschreiben und Entscheidungshilfe zum Mammographie-Screening". Dazu habe ich mich folgendermaßen geäußert:
- http://news.doccheck.com/de/blog/post/3543-mammografie-to-screen-or-not-to-screen/
- http://news.doccheck.com/de/blog/post/3601-iqwig-und-gba-stellen-die-tatsachen-auf-den-kopf/
- http://www.esanum.de/dr-thomas-schatzler-uber-das-fragwurdige-mammografie-screening-merkblatt/

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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