MEDIZIN: Diskussion
Degenerative Veränderungen als Ursache
Degenerative Changes of the Vestibular Receptors as Underlying Mechanism


Die Autoren verweisen auf das Vorkommen von spezifischen Gleichgewichtsstörungen (zum Beispiel M. Menière, Prävalenz 0,1 % in der Normalbevölkerung) (1), gehen aber nicht ausreichend auf die sequenziell auftretenden, spezifischen degenerativen Veränderungen der Gleichgewichtsrezeptoren (in der Reihenfolge : Bogengangsrezeptoren → Sacculus → Utrikulus) (2) ein, die das klinische Bild der Gleichgewichtsstörungen im Alter bestimmen, wie im zeitlichen Verlauf über 30 Jahre (bislang weltweit einmalig) die Berliner Altersstudie (3) gezeigt hat. Auch wurde hier gezeigt, ob die Hauptdeterminanten für das psychosoziale Wohlbefinden, die sozialen Interaktionen und die kognitiv-motorischen Funktionen primär die sensorischen Systeme Hören und Gleichgewicht sind. Da Stürze regelhaft aus der Bewegung entstehen, sind die vorgeschlagenen Stand- und Gangtests (zum Beispiel hat der Romberg-Test nur eine Sensitivität von 30 % zur Aufdeckung vestibulärer Defizite) eventuell als Screeninguntersuchungen geeignet, aber zur Objektivierung des Ausmaßes beziehungsweise zur Bestimmung eines Therapiebedarfs nicht hinreichend geeignet. Durch moderne posturografische Verfahren (4) mit standardisierten Stand- und Gangtests, die die Alltagssituationen des Seniors abbilden, gelingt eine belastbare Bestimmung der Gleichgewichtsstabilität und eine Abschätzung des Sturzrisikos, was dann für eine spezifische Intervention (zum Beispiel ein sogenanntes Neurofeedback-Gleichgewichtstraining) genutzt werden kann. Ein wichtiger Aspekt ist zudem eine Optimierung des Hörvermögens mit technischen Hilfen/Implantaten, denn bei verbesserter Raumwahrnehmung stürzt man weniger. Der Ersatz aller sensorischer Funktionen, das wurde von den Autoren für das Sehen nachdrücklich erwähnt, spielt eine überragende Rolle für ein selbstbestimmtes Leben im Alter.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0058b
Prof. Dr. med. Arneborg Ernst
HNO-Klinik im ukb, Berlin
Arneborg.Ernst@ukb.de
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
1. | Jahn K, Kressig RW, Bridenbaugh SA, Brandt T, Schniepp R: Dizziness and unstable gait in old age—etiology, diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 387–93 VOLLTEXT |
2. | Agrawal Y, Zuniga MG, Davalos-Bichara M, et al.: Decline in semicircular canal and otolith function with age. Otol Neurotol 2012; 832–39 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
3. | Baltes PB, Mayer KU: The Berlin Aging Study—aging from 70 to 100. Cambridge University Press 2001 PubMed Central |
4. | Basta D, Rossi-Izquierdo M, Soto-Varela A, et al.: Efficacy of a vibrotactile neurofeedback training in stance and gait conditions for the treatment of balance deficits: A double-blind, placebo-controlled multicenter study. Otol Neurotol 2011; 32: 1422–99 CrossRef MEDLINE |
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Frontiers in Neurology, 202110.3389/fneur.2021.691917