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Frau Dr. Gorris-Vollmer beschreibt gute Behandlungserfolge bei Schwindelpatienten mit Gelenkblockierungen in der oberen Halswirbelsäule. Es besteht kein Zweifel, dass zahlreiche Schwindelpatienten auch Beschwerden und Befunde im Hals- und Nackenbereich haben und dass ein Zusammenhang im Einzelfall bestehen kann. Dieser Zusammenhang wird aber sehr häufig unbegründet vermutet, zumal etablierte klinische Tests oder apparative Diagnostik zur Bestätigung nicht zur Verfügung stehen. Auf dieses Dilemma weist auch eine in diesem Jahr erschienene Übersichtsarbeit hin (1). Aktuell bleibt es dabei: Wenn nach gründlicher Anamnese und Untersuchung bei Schwindelpatienten auch behandlungsbedürftige Befunde an der Halswirbelsäule vorliegen, so sollten diese unabhängig vom Schwindel behandelt werden. Wenn dann auch der Schwindel reduziert ist, umso besser. Wir können allerdings aus unserem überregionalem Zentrum berichten, dass sehr viele Patienten im Verlauf Behandlungen an Kopfgelenken und Halswirbelsäule erhalten haben, die nicht zu einer Besserung des Schwindels geführt haben.

Herr Dr. Walter weist zurecht darauf hin, dass bei Schwindelpatienten auch im Alter die Möglichkeit zur medikamentösen ursächlichen und symptomatischen Therapie besteht. Symptomatische Behandlungen sollten nach unserer Auffassung mit einem klar besprochenen Behandlungsziel für einen definierten Zeitraum gegeben werden. Nicht sedierende Medikamente sind dabei zu bevorzugen. Die angesprochene Behandlung mit Betahistin als Mittel der Wahl beim Endolymphhydrops ist auch nach unserer klinischen Erfahrung wirksam, auch wenn nach wie vor hochwertige klinische Evidenz für diese Behandlung fehlt (2). Die angesprochene Anpassung des Umfelds zur Vermeidung von Stürzen bei Schwindelpatienten ist extrem wichtig.

Herr Prof. Ernst beschreibt die sequenziell auftretende Degeneration vestibulärer Sinneszellen mit zunehmendem Alter. Die Zahl vestibulärer Haarzellen in Bogengängen und Otolithenorganen nimmt schon von Jugend an kontinuierlich ab. Die vestibuläre Funktion bleibt aber durch intersensorische und zentrale Kompensationsmechanismen lange erhalten (3). Damit der Zeitpunkt bis zur Dekompensation möglichst weit in höheres Alter verschoben werden kann und damit bestehende Defizite ausgeglichen werden, ist Gleichgewichtstraining sinnvoll. Ein vielversprechender Ansatz dafür ist das angesprochene Neurofeedback-Gleichgewichtstraining, das in Berlin entwickelt wurde. Wir können nur bekräftigen, dass der Erhalt oder Ersatz aller sensorischer Funktionen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter von größter Bedeutung ist. Zur Diagnostik der Defizite müssen standardisierte Stand- und Gangtests – wie von uns beschrieben – verwendet werden. Diese müssen erschwerte Bedingungen einschließen, um alltagsrelavante Defizite abzubilden. Apparative Verfahren, wie die angesproche Posturographie, sind auch aus unserer Sicht eine wertvolle Ergänzung, die aber nicht überall zur Verfügung steht und nach Durchführung auch richtig interpretiert werden muss.

Dr. Krause und Prof. Hensen weisen auf die Rolle der Hyponatriämie als klinisch relevante Ursache von Gangunsicherheit im Alter hin. Die dafür vorliegende Evidenz wird im Arztbrief ausführlich dargelegt. Auf sinnvolle Laboruntersuchungen sind wir in unserem Artikel nicht eingegangen, weil nach unserer Erfahrung diese Untersuchungen zuverlässig vom Hausarzt durchgeführt werden, wenn Schwindel und Gangunsicherheit bestehen. Sowohl Elektrolytstörungen, als auch Blutbildveränderungen (Anämie), Leber-, Nieren, und Schilddrüsenfunktionsstörungen sind in diesem Zusammenhang relevant. Im Leserbrief wird zurecht noch einmal darauf hingewiesen, dass Elektrolytstörungen häufig iatrogen als Folge von Medikamenteneinnahme entstehen können. Einige der angesprochenen Medikamente (Carbamazepin, Antidepressiva) verstärken Schwindel und Gangunsicherheit durch zusätzliche zentrale Effekte.

Die Zuschriften bekräftigen insgesamt die Notwendigkeit eines interdisziplinären Denkens bei der Beurteilung von Patienten mit Schwindel und Gangstörungen (4). Nach unserer Überzeugung passen für diese und andere Gruppen von Patienten die traditionellen Fächergrenzen nicht zu den Beschwerden. Die betroffenen Patienten suchen oft mehrere Fachärzte auf und bekommen spät Hilfe. Das Problem wurde erkannt. In einem Modellprojekt in München wurde mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ein Zentrum aufgebaut, in dem zahlreiche Disziplinen in Krankenversorgung und Forschung gemeinsam am Thema Schwindel arbeiten (www.klinikum.uni-muenchen.de/Deutsches-Schwindelzentrum-IFB-LMU/de/).

DOI: 10.3238/arztebl.2016.0059b

Für die Autoren:

Prof. Dr. med. Klaus Jahn

Schön Klinik Bad Aibling und

Deutsches Schwindel- und Gleichgewichtszentrum der

Ludwig-Maximilians-Universität München

klaus.jahn@med.uni-muenchen.de


Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1.
Hain TC: Cervicogenic causes of vertigo. Curr Opin Neurol 2015; 28: 69–73 CrossRef MEDLINE
2.
Lacour M: Betahistine treatment in managing vertigo and improving vestibular compensation: clarification. J Vest Res 2013; 23: 139–51 MEDLINE
3.
Jahn K, Naeßl A, Schneider E, Strupp M, Brandt T, Dieterich M: Inverse U-shaped curve for age dependency of torsional eye movement responses to galvanic vestibular stimulation. Brain 2003; 126: 1579–89 CrossRef MEDLINE
4.
Jahn K, Kressig RW, Bridenbaugh SA, Brandt T, Schniepp R: Dizziness and unstable gait in old age—etiology, diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 387–93 VOLLTEXT
1.Hain TC: Cervicogenic causes of vertigo. Curr Opin Neurol 2015; 28: 69–73 CrossRef MEDLINE
2.Lacour M: Betahistine treatment in managing vertigo and improving vestibular compensation: clarification. J Vest Res 2013; 23: 139–51 MEDLINE
3.Jahn K, Naeßl A, Schneider E, Strupp M, Brandt T, Dieterich M: Inverse U-shaped curve for age dependency of torsional eye movement responses to galvanic vestibular stimulation. Brain 2003; 126: 1579–89 CrossRef MEDLINE
4.Jahn K, Kressig RW, Bridenbaugh SA, Brandt T, Schniepp R: Dizziness and unstable gait in old age—etiology, diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 387–93 VOLLTEXT

Fachgebiet

Der klinische Schnappschuss

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