ArchivDeutsches Ärzteblatt5/2016Gesundheit: Fehlernährt

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Gesundheit: Fehlernährt

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur
Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur

Keine Zeitschrift ohne Rezeptideen, kein Fernsehprogramm ohne Kochsendung. Vegetarisch oder vegan, Steinzeit- oder Mittelmeerdiät, keine oder nur wenige Kohlenhydrate? Essen ist omnipräsent, und es fehlt nicht an guten Ratschlägen für eine gesunde Ernährung. Aber gerade bei der Ernährung bleiben sich die Deutschen treu: zu süß, zu fett, zu salzig. Bekannte Folgen: Mehr als die Hälfte der deutschen Frauen und zwei Drittel der Männer sind übergewichtig.

An Untersuchungen hierzu fehlt es nicht. Ende letzten Jahres stellte der Bericht „Gesundheit in Deutschland“ des Robert Koch-Instituts der deutschen Bevölkerung eigentlich ein gutes Gesundheitszeugnis aus: sinkende Sterblichkeitsraten, weniger Erkrankungen an Herzinfarkt, Schlaganfall und koronarer Herzkrankheit; aber auch besorgniserregende Fallzahlen an Diabetes und Adipositas. Daneben bestimmt ein weiterer Faktor die Gesundheit der Bevölkerung: der soziale Status. Menschen aus sozial schwächeren Schichten sterben früher, Frauen um acht Jahre, Männer um elf Jahre. Und sie ernähren sich schlechter. Im Januar präsentierte der für die Ernährung zuständige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) – Stichwort Prävention: warum eigentlich nicht Gröhe? – den Ernährungsreport 2016. Seine Schlussfolgerung aus dem Bericht, die Deutschen würden sich ausgewogen und gesund ernähren, ließ bei den Diabetologen den Blutdruck steigen. „Diese Darstellung des Ministeriums widerspricht fundamental der Ernährungsrealität in Deutschland“, kritisierte die Deutsche Diabetes Gesellschaft den Minister. Auch hier der Hinweis auf den zu hohen Verbrauch von Zucker, Fett und Salz als Hauptursachen für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.

Jetzt macht der Deutsche Herzbericht (Seite 166) am Beispiel Sachsen-Anhalt deutlich, welche Folgen ein niedriges Bildungsniveau in Verbindung mit einer hohen Prävalenz von Adipositas und Diabetes mellitus haben. Sachsen-Anhalt nimmt im Bundesländervergleich eine Spitzenposition in der Mortalitätsstatistik für Herzinfarkt und ischämische Herzkrankheit ein.

Die Ratschläge, wie man die Epidemie von Übergewichtigen eindämmen könnte, gleichen sich weltweit. Besteuerung und bessere Deklarierung von ungesunden Lebensmitteln, Aufklärung in Schulen, verbesserte Identifizierung von unentdeckten Hypertonikern und Diabetikern. Dazu politische Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und niedrige Bildung.

Die Bundesregierung will 2016 ein Konzept entwickeln, wie Zucker, Salz und Fette in Fertigprodukten reduziert werden können. Zwei Millionen Euro sind dafür vorgesehen, wie das Ernährungsministerium auf eine Kleine Anfrage der Grünen antwortete. Viel ist das nicht. Denn auf 17 Milliarden Euro beziffert eine vom Bundesforschungsministerium geförderte Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die durch ungesunde Ernährung entstehenden jährlichen Kosten für das Gesundheitssystem. In der EU haben solche Reduktionsprogramme bereits 2007 begonnen. Deutschland hat noch viel Nachholbedarf. Zudem muss die Lebensmittelindustrie Verantwortung übernehmen. Die Regierung lässt auch hier Konsequenz vermissen, denn beim Reduktionsprogramm soll die Industrie auf freiwilliger Basis handeln können. Zu guter Letzt müssen wir selbst darauf achten, was auf unserem Teller landet. Denn nur „An apple a day keeps the doctor away“, reicht da nicht.

Michael Schmedt
Stellv. Chefredakteur

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