POLITIK
Unabhängige Patientenberatung: Eine Frage des Vertrauens
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Seit Jahresbeginn wird die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) von einem privaten Dienstleister organisiert. Die Kritik daran will der neue Geschäftsführer im Gespräch ausräumen. So soll ein Auditor künftig für mehr Vertrauen sorgen.
Eine App, zentrale Strukturen, mehr Aufmerksamkeit und rund 130 Städte, in denen Menschen eine unabhängige Patientenberatung bekommen können: Die neuen Betreiber der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) sind ambitioniert ins Jahr 2016 gestartet – müssen sich aber seit Gewinn der Ausschreibung im Herbst 2015 mit Vorwürfen fehlender Unabhängigkeit beschäftigen. Grund dafür ist die Muttergesellschaft der neuen Betreiber: Die Sanvartis GmbH aus Duisburg bietet seit 1999 mit Call-Centern Dienstleistungen für Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen oder Pharmaunternehmen. Ein weiterer Geschäftsbereich ist nun die UPD, die laut Gesetz Patienten unabhängig von jedem Einfluss beraten soll. „Ohne Not werden Strukturen zerschlagen“, oder „der GKV-Spitzenverband will sich offensichtlich die lästigen, aber objektiven Kritiker vom Hals halten“, heißt es kritisch bei Politikern von Grünen und Linken. Auch Ärzteorganisationen zweifeln an der Unabhängigkeit der Beratung.
Der neue Geschäftsführer der UPD, Thorben Krumwiede, versucht die Kritik zu entkräften: Man wolle in den kommenden Jahren eine gute Idee noch besser machen. „Wir haben die Patientenberatung umstrukturiert und professioneller aufgestellt“, sagt Krumwiede im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Das Vertrauen der Patienten, die sich beraten lassen wollen, sei durch die mediale Kritik nicht beschädigt, so der 38-jährige Betriebswirt, der zuvor unter anderem beim AOK-Bundesverband sowie bei der AOK Rheinland/Hamburg im Versorgungsmanagement gearbeitet hat. „Der Bürger hat unsere Beratung im ersten Monat angenommen, das sehen wir an den Zahlen pro Tag. Diese sind weit über den Erwartungen“, so Krumwiede.
Nur zwei Mitarbeiter aus der früheren Struktur
Seit Monaten werde eine neue Beratungsstruktur aufgebaut. Für die rund 80 Vollzeitstellen in Berlin wurden nur zwei Mitarbeiter aus den früheren Strukturen übernommen. Großes Interesse habe es bei den früheren Mitarbeitern nicht gegeben. Insgesamt sollen für die Zentrale 110 Menschen arbeiten, dazu kommen die Berater vor Ort. Alle seien direkt bei der UPD angestellt, keiner arbeite zusätzlich für Sanvartis, versichert Krumwiede. Sollten die Beratungskapazitäten ausgeschöpft sein, könne ein Team der Sanvartis als „menschlicher Anrufbeantworter“ zwar Anrufe annehmen. „Die Mitarbeiter dort haben aber absolut keine Möglichkeit, auf unsere Systeme zuzugreifen, sie geben auch keine Auskünfte oder führen Beratungen durch.“
Stärker als bislang soll die Beratung von der Zentrale in Berlin gesteuert werden. „Wir wollen eine Zentralisierung der Experten und gleichzeitig eine Zentralisierung des Wissens. Damit stellen wir sicher, dass die Berater – vor Ort und am Telefon – die gleiche Qualität anbieten können.“ Derzeit werde das medizinische sowie das juristische Beratungsteam weiter ausgebaut. Unter den angestellten Ärzten seien vor allem Orthopäden und Internisten, dazu kommen Pharmazeuten, andere Fächer werden bei Bedarf hinzugezogen. „Wir haben derzeit ein juristisches Team von 25 bis 30 Mitarbeitern, das wir je nach Nachfrage in den nächsten Monaten noch weiter aufbauen werden“, sagt Krumwiede. Die psychosoziale Beratung sei im Team der medizinischen Berater angesiedelt. „Nach den Erfahrungen der ersten Wochen zeigt sich, dass der Beratungsbedarf aktuell hier sehr gering ist.“
Die Berater vor Ort in rund 30 Städten müssen mindestens eine Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellter haben. Experten aus der Berliner Zentrale sollen bei komplizierten Fällen kontaktiert werden, sie könnten sich per Video in die Beratungen einschalten. Als Anlaufstelle in Städten und Gemeinden sollen in den kommenden Monaten auch Beratungsmobile dienen: Damit werden rund hundert Orte vier Mal pro Jahr angefahren, um über die UPD zu informieren und zu beraten.
Die Kritik, die neuen Betreiber schränkten die Beratung vor Ort ein, lässt Krumwiede nicht gelten. „Die Vor-Ort-Beratungen bleiben auf gleichem Niveau. Bislang wurden bei der UPD durchschnittlich zwei Vor-Ort-Beratungen pro Tag nachgefragt. Diesen Bedarf werden wir zum Start der lokalen Beratungsstellen auch weiterhin decken können.“ Man wolle Termine vereinbaren, um Öffnungszeiten vor Ort anzupassen. Die alten UPD-Betreiber zählten jährlich rund 10 000 Vor-Ort-Beratungen.
Angezweifelt wurde auch die Unabhängigkeit der neuen UPD bei Aussagen zu medizinischen und juristischen Themen. Krumwiede wehrt sich gegen solche Vorwürfe. Die neuen Betreiber hätten eigene Datenbanken für juristische Fragen erstellt. Auch für medizinische Inhalte wurden Texte erarbeitet, die den Mitarbeitern im Call-Center als Grundlage für die Beratung dienen sollen. Dabei habe man darauf geachtet, dass es neben den Fachinformationen auch Erläuterungen in einer patientengerechten Sprache gebe. Um Texte objektiv und ohne Einflussnahme von außen zu erarbeiten, gebe es mehrere Qualitätssicherungsstufen: Ein Medical-Writer-Team erstelle die Inhalte, Ärzte und Juristen geben sie im Sechs-Augen-Prinzip frei und überprüfen sie regelmäßig. So sei sichergestellt, dass Leitlinien- oder andere relevante Änderungen aufgenommen werden, erklärt Krumwiede.
Ein neu eingeführter Auditor soll die Unabhängigkeit der UPD überwachen. Der Auditor kann auf alle Beratungsinhalte sowie Abläufe innerhalb der UPD zugreifen. Bei Unstimmigkeiten soll der Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), informiert werden. Wer diesen Posten übernimmt, soll in den kommenden Wochen geklärt werden; einen Zeitpunkt will das Büro des Patientenbeauftragten auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes nicht nennen. Eine erste Beiratssitzung, an der auch der Beauftragte, die Gesellschafter sowie UPD-Geschäftsführer Krumwiede teilnehmen werden, findet am 9. März statt.
Frage der Unabhängigkeit bleibt in der Diskussion
Für die Gesundheitspolitiker ist die Vergabe der UPD an ein privates Unternehmen noch nicht ausgestanden: Die Linke fordert von der Bundesregierung eine Gesetzesänderung. So soll es eine dauerhafte Finanzierung der Beratung aus Steuermitteln und nicht aus Krankenkassenbeiträgen geben, die Ausschreibungspflicht soll entfallen. Eine Anhörung dazu soll es vor dem Gesundheitsausschuss am 24. Februar geben.
Auch die Grünen sehen erheblichen Reformbedarf: „Die aktuelle Vergabe der UPD über ein Ausschreibungsverfahren hat gezeigt, dass dies die Unabhängigkeit der UPD zu einer Schimäre hat werden lassen“, sagt Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. „Wir sehen für die Zukunft die Notwendigkeit, eine unabhängige Patientenberatung als engagierten Garanten sozialer Bürgerrechte strukturell zu verankern. Denkbar wäre dabei eine Stiftungslösung, um Eingriffe – von welcher Seite auch immer – zu verhindern.“
Rebecca Beerheide, Thomas Gerst
Neun Millionen Jährlich für die Beratung
Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) wurde 2011 als gesetzlich vorgeschriebene Regelleistung auf den Weg gebracht. Finanziert von den Krankenkassen, soll sie ein von Krankenkassen und Leistungserbringern unabhängiges Beratungs- und Informationsangebot bieten. Nach einer europaweiten Ausschreibung wurden zunächst die Träger des zuvor durchgeführten UPD-Modellvorhabens (Sozialverband VdK Deutschland, Verbraucherzentrale Bundesverband, Verbund unabhängige Patientenberatung) mit der Fortführung der Patientenberatung beauftragt.
Nach erneuter Ausschreibung übernahm zum 1. Januar 2016 der Gesundheitsdienstleister Sanvartis die Durchführung der unabhängigen Patientenberatung. Die Fördermittel in Höhe von derzeit neun Millionen Euro jährlich werden nunmehr jeweils für eine Laufzeit von sieben Jahren vergeben.
Im Jahr 2015 wurden von der UPD rund 80 000 Beratungsgespräche durchgeführt. Leistungsrechtliche Fragen dominierten die Beratung, gefolgt von Anliegen zu Patientenrechten und psychosozialer Beratung zu Krankheits- und Lebensbewältigung. Bei 12 301 Beratungsgesprächen ging es explizit um Beschwerden. Diese betrafen sehr häufig zum einen vermutete Behandlungsfehler oder Verstöße gegen Patientenrechte, Berufspflichten, Verhaltensnormen, zum anderen die Durchsetzung von Ansprüchen gegen Kostenträger und die Rechtmäßigkeit von Geldforderungen und Zuzahlungen.
Pfeiffer, Andreas