ArchivDeutsches Ärzteblatt6/2016Versorgung von Flüchtlingen: Weniger Zeit für die Diagnose

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Versorgung von Flüchtlingen: Weniger Zeit für die Diagnose

Beerheide, Rebecca

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Über den Asylantrag für Flüchtlinge soll künftig in Aufnahmezentren schneller entschieden werden. Das bedeutet auch: Ärzte müssen zügiger Gutachten erstellen.

Erste Untersuchung nach der Ankunft in Deutschland: Wie viel Zeit bleibt Ärzten dafür künftig? Foto: dpa
Erste Untersuchung nach der Ankunft in Deutschland: Wie viel Zeit bleibt Ärzten dafür künftig? Foto: dpa

Für Menschen, die nach Deutschland flüchten, soll künftig ein schnelleres Asylverfahren gelten. Während es bislang in einigen Fällen bis zu 150 Arbeitstage dauern konnte, bis ein Antrag entschieden wurde, sollen künftig 48 Stunden vergehen, bis eine Entscheidung getroffen ist. Mit diesem „integrierten Flüchtlingsmanagement“ will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die große Zahl der Anträge besser verwalten. Dafür sollen bundesweit Ankunftszentren geschaffen werden. Gesetzliche Grundlage ist das sogenannte Asylpaket II, welches das Bundeskabinett bereits beschlossen hat. In den kommenden Wochen soll der Bundestag darüber abstimmen.

In den Ankunftszentren soll es einen Gesundheitscheck geben, dessen Ergebnis auch in die Entscheidung für oder gegen einen Asylantrag einbezogen wird. Die Rahmenbedingungen für ärztliche Atteste werden ebenfalls in dem Gesetz zum Asylpaket II konkretisiert. Die Bundesärztekammer fordert, dass Ärztinnen und Ärzten ausreichend Zeit für den Gesundheitscheck gegeben wird. Das müsse nicht nur für körperliche Erkrankungen, sondern auch für die Diagnose bei psychischen Erkrankungen gelten. Vorgesehen ist, dass nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung verschlechtern würden, von einer Abschiebung abgesehen werden kann. „In Fällen von Posttraumatischer Belastungsstörung soll die Abschiebung aber möglich sein“, erläutert die BÄK in einer Stellungnahme.

Gutachten in einer Woche

Von der BÄK und auch der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) wird das heftig kritisiert: „Wir fordern, dass schwerwiegende oder lebensbedrohliche psychische Erkrankungen grundsätzlich als Erkrankungen gelten, die eine Abschiebung nicht möglich machen“, erklärte BPtK-Präsident Dr. rer. nat. Dietrich Munz. Nach Angaben der BPtK müsse ein Flüchtling innerhalb einer Woche alle Gutachten einholen, die eine psychische Erkrankung belegen. „Dies ist für einen Flüchtling in der kurzen Zeit praktisch unmöglich“, erklärt Munz weiter. Auch der Menscherechtsbeauftragte der BÄK, Dr. med. Ulrich Clever, fordert, dass psychische Krankheiten unter den Begriff der „lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen“ eingestuft werden können.

Fast zeitgleich zum Kabinettsbeschluss des Asylpakets II hat eine Expertenkommission der Robert-Bosch-Stiftung ein Gutachten zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen vorgestellt. Demnach erfülle die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen kaum die Mindeststandards. Dies läge nicht am Einsatz der Medizinerinnen und Mediziner, sondern vielmehr an der unterschiedlichen Handhabung der Gesundheitskarte in den Bundesländern. Kritisiert wird zudem, dass Flüchtlinge in den ersten 15 Monaten nur eine Versorgung in Notfällen zusteht. Außerdem fordert die Kommission, dass es mehr medizinisches Personal sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in den Erstunterkünften geben müsse.

Rebecca Beerheide

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