ArchivDeutsches Ärzteblatt9/2016Arzneimittelsicherheit: Biosimilars aus Sicht des Juristen

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Arzneimittelsicherheit: Biosimilars aus Sicht des Juristen

Sträter, Burkhard

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Bei den biologischen Nachahmer-Arzneimitteln bestehen Herausforderungen hinsichtlich der Zulassung, der Arzneimittelsicherheit, der Verordnung durch den Arzt und die Abgabe durch den Apotheker.

Monoklonale Antikörper sind Beispiele für Biopharmazeutika (Biologicals). Biosimilars sind Nachahmerpräparate von Biopharmazeutika. Foto: picture alliance
Monoklonale Antikörper sind Beispiele für Biopharmazeutika (Biologicals). Biosimilars sind Nachahmerpräparate von Biopharmazeutika. Foto: picture alliance

Seit der ersten Zulassung eines Biosimilars im Jahr 2006 ist Bewegung in den Markt der biologischen Nachahmer-Arzneimittel gekommen. Gemäß den Vorgaben der WHO und der Zulassungspraxis der europäischen Zulassungsbehörde – EMA – tragen der Wirkstoff des Originals und des Biosimilars den gleichen internationalen Freinamen (INN, International Nonproprietary Name), obwohl sie in unterschiedlichen Verfahren hergestellt werden. Es ergeben sich damit Implikationen für die Zulassung und auch für die Anwendung biosimilarer Arzneimittel. Im Fokus stehen derzeit drei Themenkomplexe. So ist zu klären,

  • welche Anforderungen der pharmazeutische Hersteller zum Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit seines Präparates zu erfüllen hat,
  • wie Arzt und Apotheker sich bei der Verschreibung eines Biopharmazeutikums zu verhalten haben und
  • inwieweit auch Biosimilars der Nutzenbewertung durch den gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) unterliegen.

Biopharmazeutika unterscheiden sich erheblich von herkömmlichen chemisch-synthetischen Arzneimitteln. Es handelt sich um Makromoleküle, die nicht nur durch ihre chemische Grundstruktur, sondern auch durch ihre räumliche Anordnung ihre biologische Aktivität entfalten. Die Art der Herstellung hat maßgeblichen Einfluss auf die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Damit erklärt sich, dass Biosimilars nicht wie Generika bewertet werden können. Das hat der wissenschaftliche Ausschuss der EMA bereits frühzeitig erkannt und betont, dass es „Biogenerika“ nicht gibt und den Begriff der Biosimilars geprägt.

Das Prinzip der Extrapolation auf die Daten des Originators bleibt jedoch erhalten, gefordert aber wird ein qualifizierter Nachweis der Vergleichbarkeit. Der wissenschaftliche Ausschuss der EMA hat daher wirkstoffbezogen Richtlinien für die Zulassung von Biosimilars geschaffen, also zum Beispiel für die Zulassung von Wachstumshormonen, Insulinen, Epoetin-Präparaten und nun auch für monoklonale Antikörper.

Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit

Präparate, die als Biosimilars zur Zulassung kommen sollen, müssen daher in klinischen Prüfungen einen qualifizierten Nachweis ihrer klinischen Wirksamkeit in entsprechend sensiblen Indikationen erbringen. Was dies bedeutet, wird am Beispiel der Erythropoetine deutlich. Die Wirkstoffe werden in der Onkologie eingesetzt sowie in der Nephrologie bei Dialysepatienten. Gefordert für die Zulassung eines Biosimilars wird jeweils eine klinische Studie aus dem Indikationsgebiet der Nephrologie und auch der Onkologie. Mit diesen Daten kann dann auf weitere Indikationen innerhalb dieser Anwendungsbereiche extrapoliert werden, zum Beispiel auf den Einsatz bei anderen Karzinomen als der in der klinischen Studie getesteten Tumorerkrankung. Da die Stoffe nicht der Krebsbehandlung dienen, sondern die Nebenwirkungen von Zytostatika auf die Blutwerte korrigieren, erscheint diese Extrapolation aus medizinischer Sicht plausibel.

Aus rechtlicher Sicht ist gefordert, dass die Fristen zum Schutz des geistigen Eigentums des Originators an dem Zulassungsdossier abgelaufen sind. Solange dieser Schutz besteht, ist eine Bezugnahme des Biosimilar-Herstellers verboten, selbst wenn dies aus medizinischer Sicht plausibel wäre.

Die Extrapolation ist nicht unproblematisch, da sich die Zulassung der Biosimilars auf Indikationen erstreckt, die in klinischen Prüfungen des Präparates nicht überprüft wurden. Zu bedenken ist auch, dass sich als Folge der Extrapolation die Zulassung möglicherweise sogar auf Indikationen erstrecken kann, für die sogar der Originator bei der Entwicklung des Biosimilars noch keine Zulassung besessen hat. Das Biosimilar würde dann eine Zulassung in einer Indikation erhalten, die bei seiner eigenen Marktzulassung gar nicht Gegenstand der Bewertung war.

Die Wirksamkeit von Biosimilars muss in klinischen Prüfungen belegt werden. Es gelten umfassendere Regeln als bei der Zulassung von Nachahmerpräparaten chemisch-synthetischer Arzneimittel (Generika). Foto: Fotolia/Alexander Raths
Die Wirksamkeit von Biosimilars muss in klinischen Prüfungen belegt werden. Es gelten umfassendere Regeln als bei der Zulassung von Nachahmerpräparaten chemisch-synthetischer Arzneimittel (Generika). Foto: Fotolia/Alexander Raths

Kennzeichnungspflicht: Die schwarze Triangel

Zugelassen wird das Biosimilar unter derselben INN-Bezeichnung zum Wirkstoff wie das Originalarzneimittel. Es wird diskutiert, ob dies gerechtfertigt ist. Der Jurist folgt dieser Diskussion aufmerksam – stellt schließlich aber fest, dass die europäische Zulassungsbehörde EMA entschieden hat, dass für die Zulassung des Originators und von Biosimilars die Wirkstoffbezeichnung identisch ist. Arzt, Apotheker und Unternehmen müssen nunmehr mit dieser Situation umgehen und klären, welche Konsequenzen sich daraus für die Verordnung durch den Arzt und die Abgabe durch den Apotheker ergeben.

Um die Arzneimittelsicherheit zu verbessern, hat der europäische Gesetzgeber neue Regelungen geschaffen, mit denen der Vertrieb von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach der Markteinführung genauer zu beobachten ist. Die betreffenden Arzneimittel werden dabei einer zusätzlichen Überwachung unterstellt. Dazu gehört, dass in der Packungsbeilage sowie der Fachinformation entsprechende Hinweise aufzunehmen sind, die sowohl die Ärzte wie auch die Patienten zu besonderer Aufmerksamkeit mahnen.

Die Packung ist zudem mit einer besonderen Kennzeichnung zu versehen, der sogenannten schwarzen Triangel, einem auf der Spitze stehenden schwarzen gleichschenkligen Dreieck ▼. Das Symbol ist mit folgendem Zusatz zu versehen: „Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung.“ Die europäische Kommission wird darüber hinaus einen zusätzlichen Satz formulieren, mit dem Patienten und Ärzte standardisiert zu besonderer Aufmerksamkeit und zur Meldung von Nebenwirkungen aufgefordert werden. Die Kennzeichnung mit diesem Symbol ist für alle nach dem 1. Januar 2014 hergestellten Arzneimittel verpflichtend.

Das gilt auch für Biosimilars, die in diesem Punkt demnach wie neue Wirkstoffe behandelt werden. Biosimilars müssen folglich während der ersten fünf Jahren nach der Marktzulassung wie alle anderen neu hergestellten Arzneimittel mit dem Symbol der schwarzen Triangel versehen werden. Damit werden die Biosimilars zwangsläufig für fünf Jahre einer verstärkten Beobachtung hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit unterzogen.

Substitution von Biosimilars durch Apotheker?

Im Zentrum der Diskussion zur Sicherheit im Umgang mit Biosimilars durch Arzt und Apotheker steht die Frage, ob und wann der Apotheker bei der ärztlichen Verordnung eine Substitution vornehmen darf. Generell gilt dabei, dass die Abgabe eines Arzneimittels durch den Apotheker der Verschreibung durch den Arzt entsprechen muss. § 129 SGB V in Verbindung mit dem Rahmenvertrag des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen – SV-GKV – und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – ABDA wurde für chemisch-synthetische Arzneimittel die Pflicht zur Substitution geschaffen, wenn zwischen pharmazeutischem Unternehmen und den Krankenkassen für wirkstoffgleiche Arzneimittel Rabattverträge geschlossen wurden. Dann ist es gleichgültig, welches Arzneimittel der Arzt verordnet. Der Apotheker muss das rabattierte Arzneimittel abgeben, wenn es wirkstoffgleich ist.

Diese Regelung hat zu einer Wettbewerbssituation geführt, die mit Fug und Recht als abenteuerlich zu bezeichnen ist. So steuert die Substitution maßgeblich das Marktgeschehen bei der Abgabe chemisch-synthetischer Arzneimittel. Treibende Kraft sind die Rabattverträge, wobei vonseiten der pharmazeutischen Hersteller sogar Rabatte von 90 Prozent und mehr auf den gelisteten Herstellerabgabepreis geboten werden. Der Preisverfall ist immens und ist damit aus Sicht der Krankenkassen naturgemäß ein effizientes Instrument zur Kostendämpfung.

Es erhebt sich die Frage, ob eine solche Regelung auch bei den Biosimilars greifen soll und kann. Dem steht die durch den europäischen Gesetzgeber geschaffene neue Regelung zur Pharmakovigilanz entgegen. Darin wird verlangt, dass der Arzt bei der Verordnung eines biologischen Arzneimittels in der Krankenakte genau – das bedeutet also mit dem jeweiligen Handelsnamen – dokumentiert, welches Präparat er verordnet hat. Es wird sogar die Angabe der Chargennummer verlangt, deren Angabe sicher Mühe bereiten wird. Korrespondierend hierzu wird der pharmazeutische Unternehmer bei der Meldung von Nebenwirkungen verpflichtet, nachzufragen, welches Arzneimittel konkret verschrieben wurde. Im Gesetzentwurf zur 4. Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften soll nunmehr in § 62 AMG die Verpflichtung für die Bundesoberbehörden geschaffen werden, diese Dokumentationspflichten durch den Arzt zu gewährleisten. Der Gesetzgeber verlangt somit sicherzustellen, dass zurückverfolgt werden kann, welches Arzneimittel einem bestimmten Patienten konkret verordnet wurde. Dies gilt, so wird in der EU-Verordnung explizit festgehalten, für „alle biologischen Arzneimittel“.

Rückverfolgbarbeit als Patientenschutz

Diese Regelung ist sinnvoll für die Arzneimittelsicherheit. Nur auf diese Weise kann eruiert werden, bei welchem Präparat das Nebenwirkungsprofil durch die Entwicklung einer erhöhten Immunogenität problematisch ist, so dass Risikomaßnahmen gezielt gegen das verantwortliche Produkt gerichtet werden können.

Wenn jedoch dem Apotheker bei den Biosimilars die Möglichkeit der Substitution eingeräumt würde, wäre – beim Auftreten von Komplikationen – eine Rückverfolgung der konkreten Verordnung durch den Arzt nicht mehr möglich. Eine solche Regelung der Substitution durch den Pharmazeuten ist somit aus medizinischer wie auch aus rechtlicher Sicht nicht statthaft.

Diesen rechtlichen Vorgaben wird auch die Rahmenvereinbarung nach § 129 SGB V zwischen dem SV-GKV und der ABDA gerecht. Diese Regelung verlangt bei biologischen Arzneimitteln eine Substitution nur dann, wenn die entsprechenden Präparate ausdrücklich im Anhang gelistet sind. Dort finden sich jedoch nur sogenannte „Bio-identicals“. Hierbei handelt es sich um Arzneimittel, die absolut identisch sind, weil sie in derselben Betriebsstätte nach identischen Regeln hergestellt wurden. Es handelt sich hier um „klonierte Zulassungen“ für nur ein Arzneimittel, das von unterschiedlichen Unternehmen mit unterschiedlichen Bezeichnungen in den Verkehr gebracht wird.

Die Vorgabe, dass es möglich sein muss, die Einnahme eines bestimmten Medikamentes genau zurückzuverfolgen, dient einerseits der Arzneimittelsicherheit, andererseits aber auch dem Schutz der Rechte von Patienten. Denn im Falle einer Nebenwirkung können betroffene Patienten nur dann Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn ihnen der Hersteller des Medikaments, mit dem sie behandelt wurden, bekannt ist.

Die Patienten müssen im ärztlichen Gespräch entsprechend aufgeklärt werden, wenn ihnen ein Biosimilar verordnet wird. Die Aufklärung sollte zudem in der Patientenakte dokumentiert werden. Das gilt für die Neueinstellung mit einem Biosimilar, mehr aber noch, wenn bei chronisch Kranken, die zunächst mit einem Originalpräparat behandelt wurden, eine Umstellung auf ein Biosimilar erfolgen soll.

Zu klären war, ob auch Biosimilars als neue Präparate im Markt der frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterliegen. Diese Maßnahme zielt darauf ab, den therapeutischen Nutzen von Arzneimitteln, die infolge ihres Patent- und Unterlagenschutzes eine Monopolstellung im Markt erreichen können, zu erfassen. Dies ist jedoch bei Biosimilars nicht der Fall. Zwar müssen die Wirkstoffe umfassendere Vorgaben als Generika hinsichtlich ihrer Zulassung erfüllen, diese dienen aber in erster Linie dem Nachweis der Vergleichbarkeit des Präparates. Formal handelt es sich jedoch wie bei den Generika um Nachahmerprodukte, die damit nicht der frühen Nutzenbewertung unterliegen.

Frühe Nutzenbewertung nicht vorgesehen

Dies wird bestätigt durch die Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses – G-BA. In § 16 Abs. 2 und 3 des 4. Kapitels wird klargestellt, dass biologische Wirkstoffe im Sinne des SGB V dann als identisch einzustufen sind, wenn die Aminosäuresequenzen übereinstimmen. Die Konsequenz ist dann, dass diese Präparate dem Verfahren der frühen Nutzenbewertung nicht unterliegen. Damit steht aber zu erwarten, dass Festbeträge geschaffen werden. Der G-BA wird die Frage der Gruppenbildung nicht lange diskutieren, weil im Sinne des SGB V nach dem 4. Kapitel der Verfahrensordnung bei biologischen Arzneimitteln die Wirkstoffe als gleich einzustufen sind, wenn sie dieselbe Aminosäuresequenz haben. Sie werden daher bei identischem INN auch in eine Festbetragsgruppe I eingeordnet werden.

Wenn nach diesen rechtlichen Rahmenbedingungen eine Substitution durch den Apotheker ausgeschlossen ist, überrascht es nicht, wenn Krankenkassen sich bemühen, Ärzte zu überzeugen, verstärkt Biosimilars zu verordnen. Die Umstellung bei bereits etablierten Verschreibungen wird bei der Behandlung chronisch Kranker zu Problemen führen. Werden Eltern zustimmen, wenn Kinder mit Minderwuchs nach fünfjähriger Therapie mit Wachstumshormonen für die verbleibende Zeit auf ein Biosimilar umgestellt werden sollen?

Eine andere Situation ergibt sich sicher bei akuten Erkrankungen. Hier starten KVen inzwischen Initiativen, um vertretbare Rahmenbedingungen für die verschreibenden Ärzte zu schaffen.

Prof. Dr. Burkhard Sträter,
Kanzlei Sträter Rechtsanwälte, Bonn

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