POLITIK: Aktuell
Arzneimittel: Positivliste heftig umstritten


Rationierung? Dazwischen bewegen sich die Meinungen.
Um Qualität und Wirtschaftlichkeit zu verbessern, sollen künftig alle Arzneimittel, die zu Lasten der
gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden dürfen, auf einer Positivliste verzeichnet werden.
Phytotherapeutika, Homöopathika und Anthroposophika werden in einem Anhang gelistet. So sieht es der
Referentenentwurf zur Gesundheitsreform 2000 vor.
Danach soll die Liste solche Arzneimittel enthalten, die für eine "zweckmäßige, ausreichende und notwendige"
Behandlung der gesetzlich Krankenversicherten geeignet sind. Nur vage und relativ widersprüchlich definiert der
Entwurf die Aufnahmekriterien. Diese legt das Bundesministerium für Gesundheit nach dem Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse selber fest, heißt es. Und obwohl der Entwurf klarstellt, daß "den Bewertungen
jeweils einheitliche Beurteilungsstandards zugrunde zu legen sind", müssen die "Besonderheiten" der
Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen berücksichtigt werden.
Über die Aufnahme in die Liste, die auch indikationsbezogen erfolgen kann, soll ein eigens gegründetes Institut
befinden. Dessen unabhängiger Sachverständigen-Kommission gehören, so die Absicht des Ministeriums, drei
Vertreter der ärztlichen Praxis und der klinischen Medizin, zwei Pharmakologen, ein Medizin-Statistiker sowie
jeweils ein Vertreter der Phytotherapie, der Homöopathie und der Anthroposophie an, die das
Bundesgesundheitsministerium für die Dauer von vier Jahren beruft. Eine Mehrheit von mindestens sieben
Stimmen sorgt für die Aufnahme. Um dem medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritt gerecht zu werden, soll
die Liste laufend aktualisiert werden.
Die Idee einer Positivliste ist nicht neu. Bereits Ministerin Fischers Vorgänger im Amt, Horst Seehofer (CSU),
hatte 1993 einen Arbeitsentwurf erstellen lassen. Eingeführt wurde die Liste nie. Dies darf man nicht zuletzt der
erfolgreichen Lobbyarbeit der Betroffenen zuschreiben. Dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der
Pharmazeutischen Industrie (BPI), Hans Rüdiger Vogel, wurde damals ein geschreddertes Exemplar zum
Geburtstag überreicht.
Jetzt erfolgt die Neuauflage des alten Plans. Glaubt man dem Bundesgesundheitsministerium, dient die Liste in
erster Linie der Qualitätssicherung. Auch die Krankenkassen argumentieren, daß mit einer Positivliste eine
"Marktbereinigung" unter den rund 50 000 in Deutschland verkehrsfähigen Arzneimitteln stattfinde und somit
die Qualität der Versorgung verbessert werde. Dabei schätzen die Kassen, daß eine Positivliste rund die Hälfte
des derzeitigen Arzneimittelspektrums beinhalten wird. Immerhin entfallen dem jährlich erscheinenden
Arzneiverordnungs-Report zufolge rund sechs Milliarden DM auf die Verordnung sogenannter umstrittener
Arzneimittel. Daran, daß man mit Hilfe einer Positivliste eine ähnliche Summe einsparen kann, glauben
aufgrund der zu erwartenden Substitutionseffekte allerdings auch die Befürworter nicht mehr. Gegner befürchten
gar eine Steigerung der Kassenausgaben.
Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln zu bewerten ist nach dem Arzneimittelgesetz
Aufgabe des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Eine weitere Überprüfung durch
das Institut für die Arzneimittelverordnung in der Gesetzlichen Krankenversicherung komme einer
Zweitzulassung gleich, argumentieren die Kritiker der Positivliste, allen voran die pharmazeutischen Hersteller.
Dazu der BPI-Vorsitzende Vogel, der unter anderem um die wirtschaftliche Existenz seiner vorwiegend
mittelständischen Mitgliedsunternehmen fürchtet: "Die Positivliste ist eine mehr oder weniger willkürliche
Ausgrenzung von Arzneimitteln aus der Erstattungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung." Listen
verbesserten nicht die Qualität, sie erschwerten vielmehr eine abgestufte, individuelle Arzneitherapie. Damit
spricht er vielen Hausärzten aus dem Herzen. Peter Lau, Vorstandsmitglied im Berufsverband der
Allgemeinärzte Deutschlands, hält die geplante Positivliste für eine "Rationierungsliste". Zwar hätten auch die
Hausärzte ein Interesse daran, die Unübersichtlichkeit des Arzneimittelmarktes zu beseitigen. "Das wird aber
gerade nicht geleistet. Es sind nach wie vor zahlreiche wirkstoffgleiche Präparate auf dem Markt", so Lau.
Ähnlich argumentiert der BPI: "Der sachgerechte Umgang mit Arzneimitteln ist entscheidend für die Qualität,
nicht die Zahl der angebotenen Medikamente." Dem scheint sich auch die Bundesärztekammer nicht ganz
verschließen zu können. Zwar begrüßt sie ebenso wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung die Einführung
einer Positivliste. "Eine rationale Arzneimitteltherapie wird hierdurch nur begrenzt gewährleistet", heißt es in
einer Stellungnahme. Dazu bedürfe es vielmehr Leitlinien und Therapieempfehlungen, wie sie beispielsweise die
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vorgebe. Zudem lehnt die BÄK es strikt ab, bei der
Bewertung von chemisch definierten und alternativen Arzneimitteln unterschiedliche wissenschaftliche
Standards anzusetzen.
Die Ärzte scheinen sich vor allem zwei Dinge von einer Positivliste zu versprechen. Zum einen gewinnen sie
Verschreibungssicherheit und können damit dem ständigen Vorwurf begegnen, auf Kassenkosten unwirksame
Arzneimittel zu verordnen. Zum anderen können sie lästige Diskussionen um Wunschverordnungen ihrer
Patienten umgehen.
Die Krankenkassen lassen nichts auf die Positivliste kommen. Als "ritualisiertes Horrorszenario" bezeichnet
Wolfgang Kaesbach vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen den Protest der Listengegner. Ziel einer
Positivliste sei "Qualität statt Beliebigkeit". Wenn auch indirekt, plädiert er für eine "sozialgesetzliche
Zweitzulassung". Das BfArM treffe eine produktbezogene Einzelfallentscheidung, die auf den Ergebnissen
klinischer Prüfungen basierten, die Kommission zur Erstellung der Positivliste nehme eine vergleichende
Prüfung der Arzneimittel unter realen Praxisbedingungen vor. Arzneimittel, die auf die Liste sollen, müssen nach
Auffassung von Kaesbach nachweislich zur Behandlung von erheblichen Gesundheitsstörungen und Krankheiten
geeignet sein. Eine qualitätsorientierte Leistungsbeschränkung, wie sie mit der Liste angestrebt werde, gebe dem
Arzt Verordnungssicherheit, stelle ihn jedoch nicht frei von Fragen der Wirtschaftlichkeit. Dazu seien
flankierende Maßnahmen, beispielsweise in Form von Therapieempfehlungen des Bundesausschusses der Ärzte
und Krankenkassen, nötig. Heike Korzilius
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