SUPPLEMENT: Perspektiven der Gynäkologie
HPV-Impfung: Sehr effektiv – aber immer noch vernachlässigt


Kein anderes Karzinom bietet so gute Chancen für eine primäre und sekundäre Prävention wie das Zervixkarzinom. Ein Plädoyer für die frühzeitige HPV-Impfung.
Harald zur Hausen wurde für die Entdeckung, dass chronische Infektionen mit bestimmten humanen Papillomaviren (HPV) die Grundvoraussetzung für die Entstehung nahezu aller Gebärmutterhalskrebse sind, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Durch das tiefere Verständnis der Genese des Zervix- oder Gebärmutterhalskarzinoms eröffneten sich neue Möglichkeiten sowohl für eine verbesserte Krebsvorsorge als auch für die Entwicklung von Impfstoffen. Diese stehen seit 2006 zu Verfügung.
Australien als Vorreiter
Bereits 2007 führte Australien die HPV-Impfung für alle Schülerinnen im Alter von 12–13 Jahren ein. Ältere Mädchen und Frauen bis 26 Jahre erhielten die Impfung als „catch-up“ ebenfalls kostenlos; und 2013 wurde die HPV-Impfung auf 12–13-jährige Jungen ausgedehnt. Genitalwarzen, die vor 2007 in Australien häufiger waren als in den meisten anderen Industriestaaten, sind seitdem dort in der Altersgruppe unter 26 Jahren weitgehend verschwunden, auch die Häufigkeit von Krebsvorstufen bei jungen Frauen ist stark rückläufig (1–4). Dies deckt sich mit sehr ähnlichen Beobachtungen aus anderen Ländern mit hohen HPV-Impfraten wie etwa England oder Dänemark (5, 6).
Wegen der langen Latenz von mindestens acht Jahren zwischen der initialen HPV-Infektion und Krebsentstehung wird es noch einige Jahre dauern, bis auch der Impfschutz vor Gebärmutterhalskrebs und anderen Karzinomen belegt sein wird. Alle Daten weisen aber darauf hin, dass mit den derzeit in Deutschland eingesetzten bivalenten (gegen HPV16/18) und quadrivalenten (gegen HPV6/11/16/18) Impfstoffen mindestens 70 Prozent und mit der bereits zugelassenen nonavalenten (gegen HPV6/11/16/18/31/33/45/52/58) Vakzine ungefähr 90 Prozent aller durch HPV induzierten Karzinome verhindert werden können (7).
Alle drei HPV-Impfstoffe folgen dem gleichen Konzept, das sie von herkömmlichen Tot- oder Lebendimpfstoffen grundsätzlich unterscheidet. HPV bestehen aus einer Doppelstrang-DNS mit ungefähr 8 000 Basenpaaren, auf denen sich auch die krebsauslösenden Genabschnitte befinden und aus einer aus zwei Proteinen bestehenden Virushülle. Das Hauptprotein der Hülle (L1) kann gentechnisch zum Beispiel in Hefezellen hergestellt werden. Fünf L1-Proteine fügen sich von selbst zu einem sogenannten Capsomer zusammen und 72 Capsomere bilden eine leere Virushülle (virus like particle = VLP).
Der HPV-Impfstoff ist somit sicher frei von viraler DNS. Dies erklärt die gute Verträglichkeit, die HPV-Impfstoffe werden von Experten neben der Hepatitis-A-Vakzine als die sichersten Impfstoffe angesehen, die jemals eingeführt wurden. Untersuchungen der internationalen Gesundheitsbehörden (8) und insbesondere der sehr zuverlässigen skandinavischen Gesundheitsregister konnten zeigen, dass alle Krankheitsbilder, bei denen ein Zusammenhang mit der HPV-Impfung vermutet wurde, bei nicht geimpften Personen genauso häufig auftreten wie bei geimpften – abgesehen von Lokalreaktionen und passageren grippeähnlichen Symptomen (9, 10).
Während natürliche HPV-Infektionen sich in der Epidermis dem Immunsystem mit großem Erfolg entziehen, kommt es durch die intramuskuläre Impfung zu einer kräftigen Immunantwort. Die Effektivität bei der Impfung ist in der Altersgruppe von neun bis 13 Jahren besonders gut, hier führen bereits zwei Gaben im Abstand von sechs Monaten zu einem besseren Impfschutz als drei Gaben bei Mädchen im Alter von 15 oder mehr Jahren. Die STIKO empfiehlt deshalb eine entsprechend frühe Impfung, die seit 2015 auch von den Krankenkassen erstattet wird (11, 12).
In Deutschland erhielten nach einer aktuellen Erhebung des Robert-Koch-Instituts (RKI) 53 Prozent aller 14- bis 17-jährigen Mädchen mindestens eine HPV-Impfung, knapp 40 Prozent wiesen einen vollständigen Impfschutz auf.
Eine seit 2009 in Wolfsburg laufende epidemiologische Studie konnte zeigen, dass auch in Deutschland die HPV-Prävalenz mit 26,2 Prozent bei jungen Frauen sehr hoch ist. Diese HPV-Infektionen sind zwar in vielen Fällen folgenlos, sie führen aber bereits bei Frauen Anfang bis Mitte Zwanzig nicht selten zu relevanten Krankheiten. So erkrankten 4,8 Prozent aller nicht geimpften Frauen bis zu ihrem 27. Geburtstag an Genitalwarzen und 1,3 Prozent an echten Krebsvorstufen (schweren Dysplasien/Ca in situ) (13, 14).
Die Studie ergab weiterhin, dass geimpfte junge Frauen auch hierzulande signifikant vor Genitalwarzen und Krebsvorstufen geschützt sind, aber auch, dass der größte Teil der HPV-Infektionen, die schließlich zur Krebsentstehung führen, bereits sehr früh im Leben erworben wird, was die Sinnhaftigkeit einer frühen Impfung unterstreicht.
Warum aber schlägt die Hälfte aller Eltern in Deutschland das Angebot eines gut verträglichen und hocheffektiven Impfschutzes für ihre Töchter aus? Und warum werden noch viel weniger im optimalen Alter von neun bis zwölf Jahren geimpft? Valide Untersuchungen zu diesen Fragen fehlen, es kann aber angenommen werden, dass zum einen Medienberichte über angebliche Nebenwirkungen und Todesfälle zu einer nachhaltigen Verunsicherung bei Eltern und Töchtern ebenso wie bei den betreuenden Ärzten geführt haben.
Grundsätzlich ist eine kritische Berichterstattung über medizinische Innovationen Aufgabe der Medien. Die Frage darf aber erlaubt sein, wie lange die immer wiederkehrende Verknüpfung bestimmter Krankheitsbilder mit neuen Impfungen noch statthaft ist, obwohl wiederholt belegt werden konnte, dass kein kausaler Zusammenhang dieser Krankheiten mit Impfstoffen besteht. Neben diesen für alle Impfungen typischen Problemen der mangelnden Compliance durch negative Medienberichte und eine allgemeine impfkritische Haltung in Teilen der Bevölkerung bestehen gegenüber der HPV-Impfung aber auch sehr spezifische Vorbehalte.
Argumente für eine Impfung von Mädchen bereits mit neun Jahren
Für die HPV-Infektion der Zervix uteri ist eine ausschließlich sexuelle Übertragung gut belegt. Dieser Umstand sollte in einer aufgeklärten Gesellschaft eigentlich kein Problem sein, führt aber zu grotesken Fehlentscheidungen. Eltern können sich häufig ein Sexualleben ihrer Töchter noch nicht vorstellen, wenn diese längst aktiv sind, und manche Frauenärzte empfehlen bei Töchtern aus „gutem“ Hause mit der Impfung ruhig etwas länger zu warten.
Dabei führt die Impfung einer Neunjährigen mit zwei Gaben zu einer Immunantwort, die sechs Jahre später immer noch stärker ist, als die Immunantwort bei einer Fünfzehnjährigen nach drei Impfgaben.
Tabelle 1 zeigt, dass HPV auch ursächlich an der Entstehung eines Teils der Karzinome von Anus, Scham, Scheide, Penis, Haut und bei Kopf-Halstumoren beteiligt ist (15, 16). In Deutschland ließen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Tausend dieser Karzinome jährlich durch HPV-Impfung verhindern. Die genaue Transmission der HPV-Infektionen an diesen Lokalisationen ist bisher nicht gut verstanden, eine nicht sexuelle Übertragung ist für einige aber belegt. Da bereits mehr als ein Prozent aller gesunden Zehnjährigen ohne Hinweis auf sexuellen Missbrauch Antikörper gegen die in den Impfstoffen enthaltenen HPV-Typen 16/18 aufweisen und sich ihr Organismus somit mit diesen Viren auseinandergesetzt haben muss, gibt es kein einziges gutes Argument für eine spätere Impfung, aber viele für eine Impfung mit neun Jahren.
Ein weiterer Vorbehalt wird durch die Annahme genährt, dass Krebsvorsorge unterm Strich besser vor dem Zervixkarzinom schütze als die Impfung. Tatsächlich ereignen sich ungefähr vier Fünftel der jährlich mehr als 550 000 Neuerkrankungen am Zervixkarzinom in Schwellen- oder Entwicklungsländern, die Tendenz ist dort bisher steigend. In Deutschland wie auch in anderen Industriestaaten kam es dagegen seit der Einführung von Vorsorgeprogrammen in den 70er Jahren zu einem deutlichen Rückgang der Fallzahlen. Frauen, die regelmäßig die Vorsorge wahrnehmen, reduzieren ihr Gebärmutterhalskrebsrisiko um mindestens 70 Prozent – also in etwa wie durch eine bi- oder quadrivalente HPV-Impfung.
Durch die in vielen Ländern geplante Umstellung der Vorsorgeprogramme von der bisher üblichen Zytologie auf HPV-DNA-Testung kann die Zahl der Neuerkrankungen am Zervixkarzinom zwar nochmals gesenkt werden, der Schutz dürfte dann in etwa dem der neuen nonavalenten HPV-Impfung entsprechen (17–19). Ein Restrisiko bleibt selbst bei verbesserter Vorsorge aber bestehen.
Ein grundsätzlicher Nachteil der Vorsorge ist, dass diese sowohl die HPV-Infektion als auch die Entstehung von Krebsvorstufen zulässt und nur die Krebsentstehung durch operative Behandlung der Vorstufe verhindert, mit negativen Folgen für nachfolgende Schwangerschaften (20), dazu seelischen Belastungen und gelegentlichen Akutkomplikationen, während die Impfung den gesamten Zyklus durch Schutz vor der HPV-Infektion unterbindet. Weiterhin bietet die Vorsorge keinen Schutz vor anderen Karzinomen, die durch HPV ausgelöst werden.
Ein aktueller Nature Review stellt dar, dass eine vollständige Eradikation von Gebärmutterhalskrebs in Europa bis 2050 möglich wäre, wenn HPV-Impfung und eine auf HPV-DNA-Testung basierte Vorsorge sinnvoll miteinander verzahnt würden (21). Nachfolgend wäre Vorsorge gänzlich überflüssig, die HPV-Impfung müsste allerdings bis zum völligen Verschwinden der karzinogenen HPV-Typen fortgeführt werden.
Voraussetzung für das Erreichen dieses Ziels ist allerdings ein entsprechender politischer Wille, der für Deutschland derzeit nicht erkennbar ist. ▄
DOI: 10.3238/PersGyn.2016.03.18.04
Prof. Dr. med. Karl Ulrich Petry
Klinikum Wolfsburg, Klinik für Frauenheilkunde Geburtshilfe und
Gynäkologische Onkologie
Interessenkonflikt: Der Autor erhielt Honorare für Beratertätigkeiten von Sanofi-Pasteur MSD sowie Vortragshonorare von Sanofi Pasteur und GSK.
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1116
1. | Brotherton JM, Fridman M, May CL, Chappell G, Saville AM, Gertig DM: Early effect of the HPV vaccination programme on cervical abnormalities in Victoria, Australia: an ecological study. Lancet 2011; 377: 2085–92 CrossRef |
2. | Donovan B, Franklin N, Guy R, Grulich AE, Regan DG, Ali H, et al.: Quadrivalent human papillomavirus vaccination and trends in genital warts in Australia: analysis of national sentinel surveillance data. Lancet Infect Dis 2011; 11: 39–44 CrossRef |
3. | Read TR, Hocking JS, Chen MY, Donovan B, Bradshaw CS, Fairley CK: The near disappearance of genital warts in young women 4 years after commencing a national human papillomavirus (HPV) vaccination programme. Sex Transm Infect 2011; 87: 544–7 CrossRef MEDLINE |
4. | Tabrizi SN, Brotherton JM, Kaldor JM, Skinner SR, Liu B, Bateson D, et al.: Assessment of herd immunity and cross-protection after a human papillomavirus vaccination programme in Australia: a repeat cross-sectional study. Lancet Infect Dis 2014; 14: 958–66 CrossRef |
5. | Kavanagh K, Pollock KG, Potts A, Love J, Cuschieri K, Cubie H, et al.: Introduction and sustained high coverage of the HPV bivalent vaccine leads to a reduction in prevalence of HPV 16/18 and closely related HPV types. Br J Cancer 2014; 110: 2804–11 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
6. | Mesher D, Soldan K, Howell-Jones R, Panwar K, Manyenga P, Jit M, et al.: Reduction in HPV 16/18 prevalence in sexually active young women following the introduction of HPV immunisation in England. Vaccine 2014; 32: 26–32 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
7. | Joura EA, Giuliano AR, Iversen OE, Bouchard C, Mao C, Mehlsen J, et al.: A 9-valent HPV vaccine against infection and intra-epithelial neoplasia in women. N Engl J Med 2015; 372: 711–23 CrossRef MEDLINE |
8. | European Centre for Disease Prevention and Control: Introduction of HPV vaccines in EU countries – an update. 1–45. 2012. Ref Type: Generic. |
9. | Scheller NM, Svanstrom H, Pasternak B, Arnheim-Dahlstrom L, Sundstrom K, Fink K, et al.: Quadrivalent HPV vaccination and risk of multiple sclerosis and other demyelinating diseases of the central nervous system. JAMA 2015; 313: 54–61 CrossRef MEDLINE |
10. | Arnheim-Dahlstrom L, Pasternak B, Svanstrom H, Sparen P, Hviid A: Autoimmune, neurological, and venous thromboembolic adverse events after immunisation of adolescent girls with quadrivalent human papillomavirus vaccine in Denmark and Sweden: cohort study. BMJ 2013; 347: f5906 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
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12. | Robert Koch-Institut: Wissenschaftliche Begründung für die Änderung der Empfehlung zur Impfung gegen humane Papillomviren. Epidemiologisches Bulletin 2014; 35: 342–7. |
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15. | de Sanjose S, Alemany L, Ordi J, Tous S, Alejo M, Bigby SM, et al.: Worldwide human papillomavirus genotype attribution in over 2000 cases of intraepithelial and invasive lesions of the vulva. Eur J Cancer 2013; 49: 3450–61 CrossRef MEDLINE |
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