POLITIK
Vernetzte Versorgung psychisch Kranker: Ambulant vor stationär


Ein Forschungsprojekt des AQUA-Instituts konnte zeigen, dass sich die Zahl der Krankenhaustage bei schwer psychisch Kranken, die in gemeindepsychiatrischen Netzen versorgt werden, deutlich reduziert. Auch die Lebensqualität steigt.
Die Versorgung von schwer und chronisch psychisch kranken Menschen mit psychotischen Störungen und affektiven Störungen ist schwierig. Grund sind die strikte Trennung zwischen stationärem und ambulantem Sektor mit unterschiedlichen Vergütungssystemen und in der psychiatrischen Versorgung zudem Elemente, die in unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern geregelt sind. Beklagt werden mangelnde Kooperation und Schnittstellenprobleme, die die Versorgungskontinuität und -qualität beeinflussen. Die Patienten verlassen die Klinik häufig, um nach kurzer Zeit wieder genau dort zu landen: der sogenannte Drehtüreffekt. In manchen Regionen werden sie durch gemeindepsychiatrische Netze, bestehend aus Ärzten, Psychotherapeuten, Soziotherapeuten, psychiatrischen Krankenpflegern und sozialpsychiatrischen Diensten, aufgefangen – nach dem alten Grundsatz der Psychiatrie-Reform: ambulant vor stationär.
Die Finanzierung solcher Netze ist jedoch nicht regelhaft, weshalb der Gesetzgeber 2004 mit der Einführung des § 140 ff., SGB V, Krankenkassen ermöglicht hat, Verträge zur integrierten Versorgung (IV) mit den Leistungserbringern direkt abzuschließen. Viele IV-Modelle sind seitdem entstanden, an denen eine oder auch mehrere Krankenkassen beteiligt sind – gleichwohl nicht flächendeckend. Das Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH (AQUA-Institut) hat nun die Qualität von 18 solcher Netzwerke in einem vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Forschungsprojekt untersucht und die Ergebnisse bei einer Konferenz am 16. März in Berlin vorgestellt. Gemeinsam war diesen Versorgungsnetzen, dass sie Verträge mit der Techniker Krankenkasse (TK) im Rahmen von deren „Netzwerk psychische Gesundheit“ (NWPG) abgeschlossen hatten. 2015 wurden darin rund 13 500 psychisch Kranke über das Bundesgebiet verteilt versorgt. „Das ist das größte Angebot zur ambulanten integrierten Versorgung zurzeit“, betonte Frank Herrmann von der TK. Als Grund für das Engagement der Kasse nannte er „die steigenden Leistungsausgaben in der Psychiatrie im Vergleich zur Somatik“.
Die Hauptleistungen der gemeindepsychiatrisch ausgerichteten therapeutischen Netzwerke umfassen einen Bezugstherapeuten, 24-Stunden-Erreichbarkeit, Soziotherapie oder psychiatrische Krankenpflege und Home-Treatment. Zudem bieten sie in einer Krise als Alternative zu einer stationären Aufnahme Rückzugsräume in Pensionen, Kurzzeit-Psychotherapie ohne Antrag sowie auf Wunsch Einbezug und Psychoedukation der Angehörigen. Die Behandlung beim Haus- oder Facharzt kann der Patient wie gewohnt fortführen. Die TK zahlt dafür eine Pauschale von 1 400 bis 1 500 Euro pro Patient und Jahr an die Träger, beispielsweise an die Abitato GmbH in Hamburg und Schleswig-Holstein, die Pinel gGmbH in Berlin oder den Psychosozialen Trägerverein e.V. Sachsen.
Das AQUA-Institut hat mit dem Forschungsprojekt festgestellt, dass die Lebensqualität der Netzwerk-Patienten (Durchschnittsalter: 46 Jahre, 65 Prozent weiblich) wesentlich verbessert wird. Das wichtigste Ergebnis aber ist, dass die Zahl der Krankenhaustage im Durchschnitt von 22 auf sieben reduziert werden konnte. Trotzdem habe sich die vernetzte Versorgung im Vergleich zur Regelversorgung nicht rentiert, berichtete TK-Mitarbeiter Herrmann. Künftig will sich die Krankenkasse deshalb auf Versicherte mit hohem Krankenhausrisiko konzentrieren und diese nach einem Klinikaufenthalt aktiv ansprechen.
Untersucht wurde vom AQUA-Institut zudem, welche Strukturen und Prozesse der unterschiedlich großen Netze Einfluss auf die Versorgungsqualität haben. „Dabei haben wir einzig festgestellt, dass die Funktionalität der Patienten besser wird, je mehr Mitarbeiter eine psychiatrische Zusatzausbildung haben“, berichtete Katja Kleine-Budde vom AQUA-Institut. Ansonsten konnten keine Parameter erkannt werden, die für den Erfolg eines Netzes relevant waren. Die Mitarbeiter der Netze wiederum schätzten die interne Kooperation und Kommunikation als sehr gut und förderlich ein. Bei der externen Kooperation mit niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten zeigte sich hingegen sehr viel Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern der gemeindepsychiatrischen Netze. Als Gründe nannten sie wenig Verständnis für ihre Arbeit und wenig fachlichen Austausch.
Petra Bühring
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