ArchivDeutsches Ärzteblatt14/2016Von schräg unten: Krank

SCHLUSSPUNKT

Von schräg unten: Krank

Böhmeke, Thomas

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Einer meiner Sprüche, den ich langsam selbst nicht ausstehen kann, lautet: Wir haben Medizin studiert, um selbst nicht krank zu werden. Wenn ich mich an meine Studentenzeit zurückerinnere, war jeder Nachtschweiß vor einer Prüfung gleich ein malignes Lymphom; jeder harmlose Leberfleck ein malignes Melanom, jedes saure Aufstoßen ein Gastrinom. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn wir die Dompteure der Dragees, die Koryphäen der Krankheitskorrektur, die Weisen der Wiederherstellung sind: Auch uns erwischt es, weil wir halt nur Menschen sind.

Von unseren Schutzbefohlenen wird uns jedoch abverlangt, dass wir – gleich tugendhafter Vorbilder – stets mit strahlender Gesundheit an das Krankenbett oder in die Sprechstunde treten; uns von allen Lastern fernhalten, fernab jeglicher Malaise oder jeglichen Gebrechens. Entsprechen wir nicht diesem Ideal, bekommen wir es mit unseren Patienten zu tun, die einfach nicht ertragen können, dass die Gesundmacher auch mal krank sein könnten.

Ich sitze in fröhlicher ärztlicher Runde zusammen, und man berichtet mir von einer Kollegin, die sich nach einer Unterschenkelknochenfraktur zwar nicht gehfähig, aber umso tapferer mit der Hilfe von Gehstützen in die Sprechstunde gequält hatte. Sie konnte es einfach nicht ertragen, nicht mehr für alle ihre Patienten da zu sein, daher entschloss sie sich, diese zwar eingeschränkt mobil, aber dafür umso empathischer zu versorgen. Was durfte sie sich alles anhören!

„Gehen Sie doch nach Hause, Frau Doktor!“ war noch der mitfühlendste Kommentar, wenngleich nur beschwerlich in die Tat umzusetzen. „Das geht ganz und gar nicht!“, traf zwar den Sachverhalt wie den Knochennagel auf den Kopf, half der Kollegin in ihrer Mühsal aber auch nicht auf die Beine. „Vergehen Sie sich nicht an Ihrer Gesundheit!“, brachte die Kollegin ins Grübeln, weil sie bis dato der Auffassung war, dass sie sich die Fraktur nicht absichtlich, sondern durch einen Fehltritt eingehandelt hatte. „Gehen Sie mir aus den Augen mit Ihren Krücken!“, war signifikant öfter zu vernehmen und ging besagter Kollegin doch sehr unter die Haut.

„Und, wie geht es ihr jetzt?“, will ich wissen. Ach, sie musste nochmals operiert werden, weil die Fraktur dislozierte. Und dann? Hat sie sich die entsprechende Auszeit genommen? Ja, natürlich, mit der bereits gemachten Erfahrung ist sie erst wieder in die Praxis gegangen, als die Fraktur komplett verheilt war. Und, haben die Patienten protestiert, weil die Praxis so lange geschlossen war? Ach wo, die waren heilfroh, dass sie danach wieder munter und gesund zur Verfügung stand.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen von Herzen, dass alles, was wir gelernt haben, Sie nie und nimmer treffen möge. Wenn das Schicksal doch zuschlagen sollte: Nehmen Sie sich bitte die Auszeit, die Sie auch Ihren Patienten zugutekommen lassen.

Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.

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