ArchivDeutsches Ärzteblatt14/2016Veränderungsprozesse: Wenn Emotionen anstecken

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Veränderungsprozesse: Wenn Emotionen anstecken

Kutscher, Patric P.

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Wer Veränderungen will, bei anderen Menschen, aber auch bei sich selbst, muss Emotionen und Gefühle beachten. Diese spielen bei jedem Veränderungsprozess eine dominante Rolle.

Foto: Fotolia/olly
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Ein Beispiel: Jeder in der Klinik ist überzeugt davon, dass es richtig und vernünftig ist, bestimmte Pflegehandlungen und die Visite zeitlich besser abzustimmen. Denn leider kommt es allzu oft vor: Durch leichte zeitliche Verzögerungen fallen Pflege und Visite auf dieselbe Uhrzeit. Im schlimmsten Fall herrscht dann in Zimmer 453 Chaos, weil Pflegende und Ärzteteam gleichzeitig vorstellig werden. Die Patienten freut diese Unruhe überhaupt nicht, denn eigentlich sollten sie im Mittelpunkt stehen. Also wird beschlossen, Pflegedienst und Visite am Vormittag zeitlich weiter auseinanderzulegen, die Vernunftgründe sprechen dafür. Aber eben nur „eigentlich“: Die Beteiligten haben nicht genügend berücksichtigt, dass gerade dann, wenn Menschen ihr Verhalten ändern müssen, Emotionen eine bedeutsame Rolle spielen.

Prinzipiell einig, im Detail uneinig

Als sich die Beteiligten zusammensetzen, um die Details des Veränderungsprozesses zu diskutieren, kommt rasch eine Schulddiskussion auf. Die Vertreter des Pflegepersonals argumentieren, sie selbst seien ja so gut wie immer pünktlich, aber die Ärzte würden sich mit ihrer Visite allzu oft verspäten, so komme es zu der Kollision in Zimmer 453. Die Ärzte wiederum geben zu bedenken, es könne selbstverständlich zu medizinischen Zwischenfällen kommen, die eine Verschiebung der Visite unausweichlich machten.

Widerstände immer einkalkulieren

Jetzt ist es nicht mehr so weit bis zu dem Zeitpunkt, an dem Äußerungen zu hören sind wie: „Aber das haben wir doch immer schon so gemacht!“ Und: „Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns vom Bewährten trennen und das jetzt auch noch ändern würden!“.

„Es genügt meistens nicht, den Veränderungsprozess zu begründen und seine Notwendigkeit zu erläutern“, gibt Prof. Dr. Bernhard Brehm, Chefarzt am Herz-Neuro-Zentrum Bodensee, zu bedenken. „Wir müssen vielmehr auch die menschlich verständlichen Beharrungskräfte berücksichtigen. Bei der konkreten Umsetzung wird es zu Widerständen kommen, weil die Menschen spätestens dann merken, dass auch sie selbst sich hinterfragen und ändern müssen.“ Die für den Change-Prozess verantwortlichen Vertreter in der Klinik können dem vorbeugen, indem sie nicht nur die Notwendigkeit der Veränderung kommunizieren, sondern allen Beteiligten verdeutlichen, welche Konsequenzen die Veränderung für jeden Einzelnen nach sich zieht.

Dies kann in einer Gesprächsrunde geschehen, in der ein moderierender Leiter das gemeinsame Ziel verdeutlicht: „Wenn es uns gelingt, die Visite und den Pflegedienst zeitlich besser zu koordinieren, kommt dies vor allem unseren Patienten zugute.“ Entscheidend ist, ein Ziel zu formulieren, bei dem die Zukunftsorientierung und das Bestreben in den Fokus rücken, zu einer Verbesserung für den Patienten zu gelangen. So lässt sich die Schuldzuweisungsdiskussion vermeiden.

Bedenken frühzeitig artikulieren

„Bezüglich des Veränderungsprozesses sollten aufseiten der Beteiligten möglichst keine negativen Emotionen entstehen“, regt Brehm an. „Besser ist es, wenn alle Phasen des Prozesses mit förderlichen Emotionen und mit Chancen für Neues verknüpft werden.“ Dies lässt sich erreichen, wenn in der Gesprächsrunde alle Betroffenen ihre Bedenken frühzeitig artikulieren dürfen und sollen. Aber wie? „Die meisten Widerstände lassen sich rasch ausräumen, indem der Leiter betont, dass es selten oder nie einen Veränderungsprozess gibt, bei dem keine Kontroversen auftreten“, sagt Brehm. „Widerstände und Herausforderungen sollten als etwas völlig Normales definiert werden, über das man sprechen müsse. Dafür stehen die Diskussionsrunde und der Leiter als persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung, den jeder kontaktieren kann, und zwar bevor der Veränderungsprozess blockiert wird.“

Die mächtigste Emotion ist die Angst

Die mächtigste Emotion, die bei Veränderungsprozessen zu beobachten ist, ist die Angst. Sie ist häufig der Grund dafür, warum viele Menschen darauf beharren, lieber am Bewährten festzuhalten als eine Veränderung mit einem kräftigen Jawort zu begrüßen. Bei persönlichen Veränderungen kann jeder seinen Beitrag leisten und sich motivieren, die Veränderung anzunehmen. Bei Changeprozessen hingegen, die im organisatorischen Bereich verankert sind, wie jene zeitliche Koordination zwischen Pflegedienst und Visite, ist es dringlicher, blockierenden Emotionen von vornherein die Stoßkraft zu nehmen, indem sie thematisiert werden.

Zudem kann der Leiter den Beteiligten Mut zusprechen und ihnen beweisen, dass sie kompetent und stark genug sind, selbst größere Veränderungsprozesse umzusetzen. Dazu ruft er den betroffenen Menschen diejenigen Veränderungen ins Gedächtnis, die sie in der Vergangenheit erfolgreich bewältigt haben.

Veränderungsprozesse betreffen meistens eine Gruppe von Menschen. Darum sind die Interaktionen zwischen den Beteiligten zu berücksichtigen. Es gibt in der Gruppe so etwas wie eine emotionale Atmosphäre, eine Stimmung, bei der sich die Beteiligten gegenseitig anstecken. Diese emotionale Ansteckung kann im negativen und im positiven Sinn verlaufen. Darum hat es nichts mit einer „Positiv-denken“-Attitüde zu tun, wenn der Leiter ein emotional motivierendes Klima entfacht, in dem die Gruppenmitglieder von dem Gedanken getragen werden, die Veränderung gemeinsam zu bewältigen.

Immer zielführend und motivierend agieren

Dabei gilt: Jede Veränderung durchläuft mehrere Phasen: Die Menschen sind mal begeistert und engagiert, dann dominieren die Zweifel, Bedenken und Ängste, schließlich gewinnen die Vernunftgründe die Oberhand. Meistens gilt: Der langsame kontinuierliche Veränderungsprozess verläuft effektiver als der Prozess mit schnellen Veränderungen. Brehm spricht von einem Wechselbad der Gefühle: „Für jede Phase dieser emotionalen Karussellfahrt sollte der Leiter das entsprechende kommunikative Instrumentarium einsetzen können, um mal rational erklärend, mal emotional Ängste nehmend, immer jedoch zielführend und motivierend zu agieren.“

Patric P. Kutscher



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