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Klinische Studien: Patientenschutz in Gefahr


Vor drei Jahren waren sich die Fraktionen von Union, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen einig: Die Parlamentarier warnten davor, dass der Verordnungsentwurf der EU-Kommission zu klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln „nicht länger das zustimmende Votum einer unabhängigen, interdisziplinär besetzten Ethikkommission“ verpflichtend vorsehe. Eine so ausgestaltete Ethikkommission sei aber unabdingbar, um eine angemessene Bewertung der Risiken und Belastungen der Probanden zu gewährleisten. Was damals Konsens war, steht jetzt infrage.
Denn das Bundeskabinett hat Mitte März den Gesetzentwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften verabschiedet. Mit diesem Gesetz will der Bund das Arzneimittelgesetz an eben jene EU-Verordnung (536/2014) anpassen, mit der die Genehmigung von Arzneimittelstudien europaweit geregelt wird. Welche Aufgaben die Ethikkommissionen dabei haben, können die einzelnen Mitgliedstaaten selbst bestimmen. Der Gesetzentwurf schwächt die Rolle der Kommissionen nun beträchtlich, da die Bundesoberbehörde (BOB) die jeweilige Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission nur „maßgeblich“ berücksichtigen müsse – oder eben auch nicht.
Bislang ist gesetzlich festgelegt, dass klinische Prüfungen nur dann durchgeführt werden können, wenn die BOB, also das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), sie genehmigt hat und ein positives Votum der Ethikkommission vorliegt. Dieses Zwei-Säulen-Prinzip gewährleistet ein unabhängiges und bestmögliches Verfahren für die Probanden. Die neuen Regelungen hebeln dieses auf Gleichberechtigung ausgelegte Vorgehen aber aus, die BOB kann sich über das Votum der Ethikkommission hinwegsetzen. Das macht die Arzneimittelzulassung schneller und einfacher: Das BfArM kann die klinische Prüfung genehmigen und die Arzneimittel zulassen, ohne das verbindlich vorgeschriebene Korrektiv der Ethikkommission. Unabhängiger und sicherer für den Menschen werden die klinischen Studien sicher nicht.
Dass sich das Bundesgesundheitsministerium zudem vorbehält, durch eine Rechtsverordnung eine Bundes-Ethikkommission einzurichten, verstärkt einen möglichen Interessenkonflikt noch. Dieselbe BOB, die auch die klinischen Studien genehmigt, entscheidet dann zugleich über die Registrierung einer Ethikkommission. Zu Recht fordert die Bundesärztekammer, die Einrichtung einer Bundes-Ethikkommission zwingend von der Zustimmung des Bundesrates abhängig zu machen. Zudem solle das Arzneimittelgesetz dahingehend geändert werden, dass die BOB weiterhin verbindlich an den Bewertungsbericht der Ethikkommission gebunden ist. Der Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen warnt ebenfalls in einem Schreiben an die Landesgesundheitsminister, dass „die Rechte, das Wohlergehen und die Sicherheit“ der Probanden, die an klinischen Studien teilnehmen, nicht mehr „im gleichen Maße wie bisher gewährleistet“ seien.
Man kann darüber spekulieren, warum die Schwächung der Ethikkommission in den Gesetzentwurf Eingang gefunden hat. Der Verdacht, industriefreundlicher agieren zu können, kommt schnell auf. Die Pharmaindustrie hat ein großes Interesse an schnellen Genehmigungsprozessen. Darum ist ein unabhängiger Entscheidungsprozess so wichtig: Er entkräftet diesen Verdacht und schützt Probanden und Patienten.
Michael Schmedt
Stellv. Chefredakteur
Leyen, Heiko E. von der