ArchivDeutsches Ärzteblatt14/2016Pop Art: Kritischer Blick auf die Warenwelt

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Pop Art: Kritischer Blick auf die Warenwelt

Jachertz, Norbert

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In den 1960er Jahren wurde der Alltag bildwürdig. Dank preiswerter Techniken entstand zeitweilig Kunst für jedermann.

Pop Art war mal ein großes Ding. In den 1960er/1970er Jahren erregte sie ein breites Publikum. In dieser Auf – und Umbruchzeit begriffen sich Künstler als Aufklärer, machten Kunst für alle, egal ob Arbeiter oder Student, produzierten mit billigen Materialien und mit preiswerter Technik und gingen auf Märkte und (buchstäblich) in Metzgereien. Kunst als demokratisches Unternehmen.

Die Pop Art scheint nun wieder Konjunktur zu haben. In der Retrospektive. Das Kunstmuseum in Mülheim an der Ruhr zeigt gerade, basierend auf der Sammlung des Psychotherapeuten Hartmut Kraft, über hundert Werke der deutschen Pop Art. Vor einem Jahr wurde in der Frankfurter Schirn „German Pop“ präsentiert. Parallel zeigten die Ludwig-Museen in Köln und Wien eine Auswahl ihrer üppigen Bestände an Pop Art aus den USA. Von dort war die Welle Anfang der 1960er Jahre nach Deutschland übergeschwappt. Nicht zufällig steht die Mülheimer Ausstellung denn auch unter dem Titel „I like FORTSCHRITT“. Winfried Gaul, einer der westdeutschen Protagonisten der Pop Art hatte 1964 ein Bild so benannt.

Pop Art muss zwar nicht wieder entdeckt werden. Die Werbegrafik zum Beispiel zehrt bis heute davon. Und jeder einigermaßen Interessierte weiß irgendwie mit dem Begriff etwas anzufangen. Man erinnert sich etwa an Roy Lichtensteins gerasterte Comics und Andy Warhols Campbell-Büchsen. Die deutsche Variante ist da schon weniger geläufig. Wer außerhalb der Fachkreise assoziiert schon Konrad Klapheck, Gerhard Richter oder Wolf Vostell, ganz zu schweigen von Klaus Staeck mit Pop Art? Zu eigenwillig arbeiteten sie alle und zu unterschiedlich haben sie sich weiterentwickelt.

Und doch, sie und viele andere haben manches gemeinsam. Man wandte sich von dem bis dahin angesagten Informel ab und besann sich wieder auf den „Gegenstand“, auf den menschlichen Körper, auf die Landschaft. Aber auf neue Weise. Die Alltagswelt rückte in den Blick: vom Modekatalog bis zum Piktogramm, preiswerte Techniken kamen zum Einsatz: vom Foto über den Sieb- bis zum Offsetdruck. „German Pop“ zeichnete sich überdies durch die gesellschaftskritische Haltung seiner Vertreter aus. Das entsprach dem Zeitgeist der 68er. Man habe sich am Ende der Adenauer-Ära der Lebensrealität der jungen Bundesrepublik zuwenden wollen, interpretierte Beate Reese, die Leiterin des Mülheimer Kunstmuseums, bei der Eröffnung der Ausstellung. Mit diesem kritischen Ansatz sei man in der Bundesrepublik fortschrittlicher gewesen als in den USA.

Die Absicht, Kunst für alle zu machen, kommt in der Mülheimer Ausstellung besonders gut zum Ausdruck. Zum einen in den Themen, die „jedermann“ zugänglich sind. Sie kommen mal „poppig“ rüber (bei dem erwähnten „I like FORTSCHRITT“ kombiniert Winfried Gaul mutig violett, grün und orange), mal ironisch (Schraube über einer Glühbirne von Sine Hansen), mal sarkastisch (wenn Klaus Staeck Dürers Zeichnung der Mutter mit „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“ überdruckt), mal erschütternd (Treblinka von Wolf Vostell), mal geheimnisvoll (Gerhard Richters „Unbekanntes Flugobjekt“). Zum anderen, weil ein Großteil der ausgestellten Objekte ursprünglich mal preiswert gewesen sein muss: Viele Siebdrucke und Plakate, aber auch Collagen aus Gebrauchsgenständen. Inzwischen hat sich der Kunstmarkt auch der demokratischen Pop Art bemächtigt. Vor knapp 50 Jahren, als der Schüler Hartmut Kraft sein erstes Blatt erstand, einen Siebdruck, den Lustgegenstand Nr. 2 von Axel Knopp, reichte dazu noch das Taschengeld.

Norbert Jachertz

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