MEDIZINREPORT
Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Gerd Hasenfuß, Kardiologe und Präsident des 122. Internistenkongresses in Mannheim „Demographischer Wandel und digitale Medizin stehen im Mittelpunkt“


Die Entwicklung der Inneren Medizin muss sich am Profil künftiger Patienten orientieren: Sie werden älter und kränker. Technischer Fortschritt und digitale Medizin können dabei zusammenwirken.
Mit dem 122. Internistenkongress beginnt am 9. April in Mannheim die größte Fortbildungsveranstaltung zur Inneren Medizin in Deutschland. Es wird der aktuelle Stand in Forschung und Praxis für das gesamte Fächerspektrum aufbereitet und diskutiert, wie das Fachgebiet zukunftsfähig bleiben kann. „Demografischer Wandel fordert Innovation“ – das ist das Leitthema des Kongresses.
Der zunehmende Anteil älterer Patienten und damit eine steigende Zahl chronischer und degenerativer Erkrankungen, veränderte Krankheitsbilder und Therapieverfahren: Darin sieht Kongresspräsident Prof. Dr. med. Gerd Hasenfuß von der Universitätsklinik Göttingen die wichtigsten Herausforderungen, denen sich das Fachgebiet in Zukunft stellen muss. „Die Innere Medizin ist dringend gefordert, neue Wege zu gehen und Innovationen in die tägliche Praxis einzuführen“, so der Kardiologe. Ein Fokus der diesjährigen Tagung liege dabei auf medizintechnischen und informationstechnologischen Innovationen („digitale Medizin“).
Die Lebenserwartung hat sich seit Beginn der Aufzeichnungen vor 145 Jahren pro Jahrzehnt um durchschnittlich drei Jahre erhöht. Heute geborene Mädchen haben eine Lebenserwartung von 82,7 Jahren, Jungen von 77,7 Jahren. Mehr als zwei Drittel der über 65-Jährigen haben parallel zwei oder mehr chronische Erkrankungen, am häufigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Malignome. „Wir benötigen mehr Therapien mit niedrigen Risiken für Patienten des höheren Lebensalters und mit Multimorbidität“, sagt Hasenfuß. Unter Herzpatienten, die interventionell behandelt würden, habe jeder zweite ein höheres Alter.
Beispiel für einen raschen und großen technischen Fortschritt sei in der Kardiologie die Therapie der Aortenklappenstenose, eine chronische degenerative Erkrankung. Im Alter ab 75 Jahre liegt die Prävalenz bei mindestens fünf Prozent. Die erstmals 2002 vorgestellte katheterbasierte Aortenklappenimplantation TAVI habe die Prognose wesentlich verbessert. „Die Einjahressterblichkeit hat zuvor bei einer konservativen Therapie symptomatischer Patienten bis zu 50 Prozent betragen“, erläuterte Hasenfuß.
Frühsterblichkeit gesenkt
Wegen häufiger Komorbidität der Patienten sei die konventionelle Aortenklappenchirurgie mit hohen Komplikations- und Sterblichkeitsraten einhergegangen. „Heute liegt die Einjahressterblichkeit der mit TAVI behandelten Patienten unter 20 Prozent, meist mit signifikantem Gewinn an Lebensqualität.“
Viele technische Innovationen sind Medizinprodukte. Ihr klinischer Nutzen ist oft weniger gut belegt als der von Medikamenten. Ist das ein Problem bei der Entwicklung solcher Innovationen zu evidenzbasierter Medizin? „Es kann ein Problem sein“, sagt Hasenfuß. Denn die CE-Zertifizierung eines Medizinproduktes bedeute nicht, dass es Patienten im Allgemeinen nutze. „Bei TAVI war die Entwicklung optimal. Studien haben sukzessive belegt, dass inoperable Patienten einen Vorteil haben, dass die Methode aber auch bei operablen Patienten mit hohem Risiko besser ist als konventionelle Chirurgie.“
Anders sei die Situation zum Beispiel beim MitraClip-Verfahren zur interventionellen Behandlung der Mitralklappeninsuffzienz, auch dies eine Erkrankung vor allem des höheren Lebensalters. Bei den über 75-Jährigen haben fast zehn Prozent eine symptomatische, operationsbedürftige Mitralklappeninsuffizienz. Das MitraClip-Verfahren wird verwendet, um eine Undichtigkeit der Mitralklappe zu behandeln und hat sich in den letzten Jahren rasch verbreitet, auch in Deutschland. „Bislang wurde aber nicht in kontrollierten Studien belegt, dass das MitraClip-Verfahren die Sterblichkeit oder die Rate der Krankenhausaufenthalte im Vergleich zur konservativen Therapie senkt oder die Lebensqualität verbessert“, sagte Hasenfuß. Diese wichtigen Fragen würden nun in einer Phase-3-Studie geprüft. „Es war fast nicht möglich, deutsche Zentren für die Studie zu gewinnen, nur drei beteiligen sich, die anderen sind im Ausland“, erläuterte der Kardiologe. Denn das MitraClip-Verfahren werde in Deutschland besser vergütet als die konservative Therapie. Die Chancen, dass einer Klinik Geld entgeht, stünden bei einer randomisierten Studie 50 zu 50. „Die Vergütung bei Anwendung von Medizinprodukten sollte mit einer Nutzenbewertung verbunden werden, ähnlich wie bei Medikamenten. Das sei ein Aufgabenfeld für den Gesetzgeber. Auch mischfinanzierte Innovationsfonds könnten Teil der Lösung sein.
Grundsätzlich aber liege in technischen Innovationen hohes Potenzial, das Verhältnis von Nutzen und Risiko für ältere Patienten zu verbessern. Katheterbasierte Verfahren und endoskopische Eingriffe, die minimalinvasive Therapien ermöglichen, seien Beispiele aus der Kardiologie, Angiologie, aber auch bei pulmonalen oder gastrointestinalen Erkrankungen inklusive Tumoren. „Es wird auf Wunsch der DGIM-Mitglieder aus verschiedenen Gebieten der Inneren Medizin erstmals Liveübertragungen direkt aus den Interventionslabors geben und Fall-aufzeichnungen, die mit dem behandelnden Arzt beim Kongress diskutiert werden“, sagte Hasenfuß.
Revolutionspotenzial „eHealth“
Fallbesprechungen über Telemedizin und andere Formen der digitalen Medizin (eHealth) sind der zweite große Schwerpunkt des Internistenkongresses. „Die Informationstechnologie wird die Medizin revolutionieren“, meint Hasenfuß, „sie wird die Versorgung von Patienten künftig noch stärker verändern als die Medizintechnologie.“ Deutschland hinke bei der Evaluation und Anwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien für die Medizin international hinterher. „Wenn wir uns jetzt nicht mit der digitalen Medizin konstruktiv auseinandersetzen, werden wir abgehängt.“ Über die elektronische Gesundheitskarte werde seit Jahren diskutiert, die Informationssysteme in Kliniken hätten teilweise einen Stand von vor 20 Jahren, nichtinvasive Sensorsysteme zum Monitoring physiologischer Funktionen mit Datenübertragung an den Arzt oder Textmessages mit Erinnerungen des Patienten würden kaum genutzt. „Diesen Methoden müssen wir uns öffnen, gerade auch bei Patienten mit chronischen Krankheiten wie Herzinsuffizienz, Hypertonie oder Diabetes.“
eHealth ist die Nutzung elektronischer Medien, um gesundheitsbezogene Information, Hilfsmittel oder Dienstleistungen zu vermitteln. Die Weltgesundheitsorganisation hat kürzlich in einem Bericht zur Entwicklung von eHealth in 47 Ländern Europas Erfolgsgeschichten beschrieben. In Großbritannien zum Beispiel hat eHealth in einer Studie mit 6 200 chronisch Kranken Sterblichkeit, Zahl und Länge stationärer Aufenthalte und Versorgungskosten deutlich reduziert.
Bei intelligenter Anwendung von eHealth ließen sich vermutlich auch in Deutschland Ressourcen sparen, meint Hasenfuß. „Das wird angesichts der knapper werdenden ärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen immer wichtiger.“ Mit einer Smartwatch zum Beispiel lasse sich ein komplettes Herz-Kreislauf-Profil des Trägers erstellen mit Blutdruckwerten und Puls, der Patient könne Körpergewicht, Bewegungsintensität und Befindlichkeit ergänzen. Unter Federführung in Göttingen laufe eine Studie bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit der Frage, wie zuverlässig Messung und Datenübertragung mit Smartwatch und Smartphone seien und ob sie Arztbesuche einsparen helfen.
Monitoring über Smartwatch
„Wir möchten keine Fernbehandlung, bei der der Patient nicht initial und in bestimmten Abständen vom Arzt persönlich untersucht wird“, erläuterte Hasenfuß. „Aber wir können eventuell die Zahl der Wiederholungsbesuche reduzieren und Monitoring und Sicherheit des Patienten verbessern.“ Es werde Initiativen der DGIM geben, um Qualität und wissenschaftliche Relevanz von Anwendungen zu prüfen, sagte Hasenfuß. Gesundheits-Apps, Internetplattformen und soziale Medien seien für Firmen ein riesiger Markt. Es gebe Online-Symptom-Checker oder Portale, bei denen Patienten Empfehlungen erhalten, sich selbst zu behandeln, die Klinik aufzusuchen oder einen niedergelassenen Arzt, aber die Trefferquote sei teilweise sehr niedrig. „Die DGIM möchte Schrittmacher werden dafür, dass sich digitale Medizin mit guter Qualität stärker etablieren kann. Wir möchten Ärzte und Patienten für Chancen und Risiken von eHealth sensibilisieren, über konkrete Angebote informieren und eventuell auch warnen.“
Ein weiterer Fokus liegt auf Infektionskrankheiten, Antibiotikaresistenzen und Migrationsmedizin. Oft seien es Internisten, die Mi-granten zuerst behandeln, sagt Hasenfuß. Bestimmte Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Diphtherie oder Meningitis könnten häufiger werden. Das Ergebnis einer beim Kongress präsentierten Umfrage unter Internisten in Deutschland werde zeigen, mit welchen Fällen die Ärzte konfrontiert seien und wo es Fortbildungsbedarf gebe.
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Zur Person
Prof. Dr. med. Gerd Hasenfuß ist Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen und seit 2013 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Herzinsuffizienz.