POLITIK
Mutterschutzrecht: Die lang ersehnte Reform


Viele Regelungen im Mutterschutzrecht sind nicht mehr zeitgemäß. Das Bundesfamilienministerium hat nun einen Gesetzentwurf für eine Reform vorgelegt. Ärzteverbände und Fachgesellschaften begrüßen den Vorstoß.
Beim zweiten Mal sollte alles anders werden. Während ihrer ersten Schwangerschaft war für Dr. med. Stefanie Donner der OP Tabuzone. Doch sie wusste, dass es auch anders geht: Eine Kollegin aus Berlin hatte durchgesetzt, in der Schwangerschaft weiter operieren zu dürfen. „Ich habe dann alle Hebel in Bewegung gesetzt“, sagt die Orthopädin aus Wiesbaden. Donner erreichte schließlich mit Genehmigung des Gewerbeaufsichtsamtes, dass sie elektive, minimalinvasive Eingriffe vornehmen durfte. Ein Präzedenzfall für Hessen. Die Schwangerschaft verlief unkompliziert, so dass sie bis sechs Wochen vor Entbindung vor allem für Arthroskopien eingesetzt wurde. Dass sie so hartnäckig war, hat sich nicht nur für sie persönlich ausgezahlt. Gemeinsam mit der Berliner Kollegin Dr. med. Maya Niethard gründete sie die Initiative „Operieren in der Schwangerschaft“ (Kasten).
Mutterschutzgesetz stammt aus dem Jahr 1952
Dass eine schwangere Ärztin nicht operieren darf, ist nirgendwo explizit festgelegt. Die bisherigen Regelungen zum Mutterschutz sind in vielen Punkten unklar. Die Folge: Arbeitgeber gehen lieber auf Nummer sicher, erteilen ein striktes OP-Verbot und sind damit haftungsrechtlich auf der sicheren Seite. Die Leidtragenden sind junge Ärztinnen, die in ihrer Facharztweiterbildung ausgebremst werden und Tätigkeiten nicht ausüben dürfen, obwohl sie möchten – und es durchaus möglich und verantwortbar wäre.
Mit dem Gesetzentwurf, den nun das Bundesfamilienministerium vorgelegt hat, soll sich das ändern. Vor allem soll die Rechtslage klarer werden. Konkret heißt das, dass alle Regelungen zum Mutterschutz in einem Gesetz vereint werden. Bisher gab es neben dem „Mutterschutzgesetz“, das im Wesentlichen Regelungen aus dem Jahr 1952 enthält, eine „Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz“. Die Verordnung wird nun in das Mutterschutzgesetz integriert. Die Position der (werdenden) Mütter soll mit der Neuregelung gestärkt werden: „Nachteile aufgrund der Schwangerschaft, der Entbindung oder der Stillzeit sollen vermieden oder ausgeglichen werden“, heißt es in dem Referentenentwurf.
Mit dem neuen Gesetz soll dem Wunsch vieler Frauen Rechnung getragen werden, ihre Erwerbstätigkeit während der Schwangerschaft fortzuführen. Zugleich bleibt es das Ziel, die Frau und ihr ungeborenes Kind so gut wie möglich vor Gefahren zu schützen. In dem nun vorgelegten Gesetzentwurf wird das Vorgehen im Falle einer Schwangerschaft klar dargestellt. Zunächst muss der Arbeitgeber eine
- Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes vornehmen. Wird eine „unverantwortbare Gefährdung“ festgestellt, erfolgt eine
- Umgestaltung des Arbeitsplatzes. Ist das nicht möglich, kommt ein
- Arbeitsplatzwechsel in Betracht. Erst als letzte Maßnahme sieht der Gesetzentwurf ein
- Beschäftigungsverbot vor.
Dass die Politik jetzt eine Reform des Mutterschutzes anpackt, wird von Verbänden und Fachgesellschaften unisono begrüßt. „Dass nun der politische Wille da ist und ein umfassender Reformentwurf vom Familienministerium vorgelegt wurde, begrüßen wir außerordentlich“, sagt Dr. med. Astrid Bühren, Ehrenpräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB). Eine Stellungnahme zum Referentenentwurf haben unter anderem DÄB, der Marburger Bund, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin vorgelegt.
Risiken sind nach aktuellem Wissenstand zu beurteilen
Auch Stefanie Donner erhofft sich „frischen Wind“. „Durch die strenge Auslegung des alten Gesetzes wurden Chirurginnen in ihrer Weiterbildung und beruflichen Entwicklung gebremst und demotiviert“, meint sie. Es sei wichtig, Risiken nach aktuellem Wissensstand zu beurteilen. Der Mutterschutz dürfe nicht zu restriktiv ausgelegt werden. Es sei immer abzuwägen, ob bestimmte Risiken nicht vertretbar seien.
Doch wie soll eine Gefährdungsbeurteilung für Ärztinnen konkret aussehen? Dazu findet man in dem Entwurf kaum etwas. Das ist allerdings nicht überraschend, denn das Gesetz bezieht sich grundsätzlich auf alle Berufsgruppen. Was aber klar aus dem Entwurf hervorgeht: Der Arbeitgeber darf nicht aus Unkenntnis Beschäftigungsverbote aussprechen. Vielmehr kann er fachkundige Personen mit der Gefährdungsbeurteilung beauftragen. Konkrete Vorgehensweisen für bestimmte Berufsgruppen soll künftig ein „Ausschuss für Mutterschutz“ beim Bundesfamilienministerium erstellen. In der Begründung zum Gesetzentwurf ist explizit das Gesundheitswesen als Thema für diesen neuen Ausschuss genannt.
Als geeignete Maßnahme denkbar wäre die Verwendung stichsicherer Instrumente (sicherlich für alle Mitarbeiter wünschenswert). Im operativen Bereich könnten elektive Eingriffe übernommen werden, insbesondere wenn zuvor eine Hepatitis C- oder HIV-Infektion der Patienten ausgeschlossen wurde. Es ist allerdings eine Einzelfallentscheidung, welche Aufgaben eine Schwangere übernehmen kann. Nicht jede Schwangerschaft verläuft unkompliziert.
Schwangere dürfen nicht unter Druck gesetzt werden
Die Orthopädin Donner stellt klar: „Jede Schwangerschaft ist individuell.“ Es dürfe kein Druck ausgeübt werden. Wenn eine Frau bestimmte Tätigkeiten nicht ausüben wolle, müsse sie dies nicht begründen. Habe etwa eine Schwangere nach einer Fehlgeburt Angst, erneut ein Kind zu verlieren, müsse sie dies gegenüber dem Arbeitgeber nicht erklären. „Die Frauen müssen frei entscheiden können.“ Aus dem „Kann“ dürfe kein „Muss“ werden.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) will den Gesetzentwurf bis zum Sommer ins Bundeskabinett einbringen. Sie kehrt voraussichtlich im Mai nach der Geburt ihres zweiten Kindes ins Ministerium zurück.
Dr. med. Birgit Hibbeler
@Die Stellungnahmen zum Gesetz und ein ausführliches Interview mit Astrid Bühren: www.aerzteblatt.de/16710
3 Fragen an . . .
Dr. med. Astrid Bühren, Ehrenpräsidentin Deutscher Ärztinnenbund
Sie fordern seit Jahren eine Reform des Mutterschutzes. Ist das jetzt der Durchbruch?
Bühren: An das Thema hat sich die Politik lange nicht herangetraut. Nun wurden unsere wesentlichen Forderungen aufgegriffen. Natürlich gibt es auch zukünftig Verbesserungsbedarf, etwa bei den angekündigten Regelungen für Studentinnen und Selbstständige.
Vor allem in operativen Fächern verheimlichen viele Ärztinnen ihre Schwangerschaft, solange es geht. Wird sich das nun ändern?
Bühren: In dem Gesetzentwurf steht klar, dass Nachteile aufgrund von Schwangerschaft und Stillzeit vermieden oder ausgeglichen werden sollen. Wird das ernsthaft umgesetzt, besteht keine Notwendigkeit mehr, eine Schwangerschaft nicht zu melden. Natürlich gibt es für Schwangere aufgrund des gesetzlich verankerten Gesundheitsschutzes Grenzen. Sie müssen nicht das akute Polytrauma operieren oder reanimieren. Aber nichts spricht gegen die Durchführung elektiver OPs oder von Narkosen bei Einhaltung definierter Sicherheitsstandards. Ein Tätigkeitsverbot ist immer die allerletzte Maßnahme.
Arbeiten nach 20 Uhr soll auch künftig verboten sein. Das ist in Schichtsystemen ein Problem. Wieso hält der Gesetzgeber daran fest?
Bühren: Das ist nicht nachvollziehbar. Nach meinen Informationen gibt es keine Evidenz, dass eine Tätigkeit genau ab 20 Uhr besonders risikoreich ist. Ich rechne damit, dass dieser Passus geändert wird, es wird auf 22 Uhr hinauslaufen. Das Verbot von Nachtarbeit bleibt unangetastet – völlig zu Recht.
Schwanger Operieren
Kein striktes OP-Verbot, sondern eine zeitgemäße Auslegung des Mutterschutzes, das wünschen sich viele Ärztinnen. Und es ist das Ziel des Projekts „Operieren in der Schwangerschaft“ (OPidS). Dabei handelt es sich um eine Initiative des Jungen Forums der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) in Zusammenarbeit mit dem Perspektivforum Junge Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH).
Bereits Anfang 2015 wurde ein Positionspapier vorgelegt. Darin sind konkrete Handlungsempfehlungen zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes enthalten. Weitere Informationen unter: www.opids.de
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