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Regierung und Ärzte: Antreten zum Dialog!


Gespräche in der Absicht, gute Argumente aufzunehmen, sind deshalb unumgänglich. Leider hatte das
Ministerium bisher in der Wahl der Gesprächspartner, um es zurückhaltend zu formulieren, keine glückliche
Hand. Die Ärzte hatten jedenfalls den Eindruck, die "Gesundheitsreform" sei der Gesundheitsministerin von den
Krankenkassen und einem handverlesenen Kreis von Beratern in den PC gebeamt worden, während die
gewählten Vertreter der Ärzteschaft bewußt außen vor gelassen wurden.
Beim 102. Deutschen Ärztetag schienen endlich die ersten Rauchsignale hochzugehen.
Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer entschuldigte sich für eine verunglückte, verletzende Äußerung,
bekundete wieder einmal Dialogbereitschaft und ihren Wunsch, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage mit den
Ärzten zu finden. In der Sache freilich, ihrem Gesetzesprojekt, blieb sie hart. Die Ärzte begrüßten und
verabschiedeten sie nicht gerade herzlich. Aber ein gewisses Nachdenken über Dialog, Gespräch und Fischers
bekundeten guten Willen setzte ein.
Prompt folgte der Tiefschlag aus Bonn. Noch während Frau Fischer vor dem Ärztetag in Cottbus sprach, war ein
unglaublicher Brief ihres Staatssekretärs Erwin Jordan unterwegs: Der Vorstand der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung wird damit apodiktisch ins Ministerium vorgeladen, um Rede und Antwort zu stehen über
die Informationskampagne der KBV in Sachen Gesundheitsreform. Jordan hält mit seiner Meinung nicht hinter
den Berg; er verurteilt, ehe überhaupt darüber gesprochen wird, die Informationspolitik der KBV. Offenbar soll
in Bonn deren Vorstand vergattert werden.
Gleichfalls zum Auftakt des Ärztetags verbreitete die Bundestagsfraktion der Grünen, der auch Frau Fischer
angehört, eine Erklärung, in der sie der Hoffnung Ausdruck gibt, mit der "Neuwahl des Ärztepräsidenten wird
hoffentlich die Rückkehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung möglich sein". Wir wollen hier nun nicht der
Hoffnung Ausdruck geben, mit einer anderen Ministerin/einem anderen Minister könne der konstruktive Dialog
beginnen. Nein, setzen wir einstweilen auf Frau Fischers "permanente" Gesprächsbereitschaft. Die sollte sich
allerdings nicht nur in Bereitschaftserklärungen erschöpfen, sondern nunmehr in konkrete Taten münden - ohne
obrigkeitliche Attitüde.
In den gesundheitspolitischen Zielen stimmen Ministerium und Ärzteschaft in vielem überein. Über die Wege
freilich gibt es erhebliche Differenzen. Hier gilt es auszuloten, wo Kompromisse möglich sind, zu analysieren,
wer das bessere Konzept hat. In der vorliegenden Form ist das Gesetzesvorhaben des
Bundesgesundheitsministeriums nach Auffassung der Ärzte (die sich hier weitgehend einig sind, wenn es auch
Splittergruppen mit anderen Auffassungen gibt) überflüssig, ja schädlich - für den Patienten, dem die
Rationierung medizinischer Leistung droht, für die "Leistungserbringer", die einer Übermacht der
Krankenkassen ausgeliefert werden sollen, für die Stabilität des Gesundheitswesens insgesamt.
Deutscher Ärztetag und Kassenärztliche Bundesvereinigung haben ihre Kritik im Detail begründet. Darüber
wäre in Bonn zu sprechen. Auch die Ärzte haben ihre Konzepte zu integrierter Versorgung, Verzahnung von
ambulanter und stationärer Versorgung, zur Rolle des Hausarztes, zu einer rationellen Arzneimittelversorgung.
Und sie sind nicht so vernagelt, daß sie nicht wissen, daß die Mittel knapp sind und vernünftig eingesetzt werden
müssen.
Eine Verhandlungsbasis gäbe es also, man braucht sie bloß zu betreten. Verhandlungen freilich, bei denen die
Leistungserbringer serienweise und pflichtgemäß angehört werden, um vor der Öffentlichkeit ein Alibi zu haben,
sind keine. Hoffen wir unverdrossen darauf, daß Frau Fischers Bekundung von Gesprächsbereitschaft ehrlich
gemeint ist und Jordans Anordnung, zum Dialog anzutreten, ein Fehltritt war. Norbert Jachertz