ArchivDeutsches Ärzteblatt23/1999Regierung und Ärzte: Antreten zum Dialog!

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Regierung und Ärzte: Antreten zum Dialog!

Jachertz, Norbert

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LNSLNS So kann das nicht weitergehen. Es ist gewiß normal, wenn über einen umstrittenen Gesetzesplan die Meinungen auseinanderklaffen. Es ist auch noch normal, wenn über ein derart tiefgreifendes Gesetzesprojekt wie die sogenannte Gesundheitsreform 2000 Auseinandersetzungen in aller Schärfe geführt werden. Für eine gewisse Zeit versteht jedermann, wenn sich die Kontrahenten - hier das Bundesgesundheitsministerium und die Leistungserbringer, insbesondere die Ärzte - unversöhnlich gegenüberstehen. Doch anhaltende Konfrontation ist unter demokratischen Verhältnissen fehl am Platz. Man muß sich schließlich arrangieren. Eine "Gesundheitsreform" gegen die Leistungserbringer, in erster Linie die Ärzte, wird nicht funktionieren, genausowenig, wie sich die Ärzte in permanenter Opposition gegen das Bundesgesundheitsministerium werden behaupten können.


Gespräche in der Absicht, gute Argumente aufzunehmen, sind deshalb unumgänglich. Leider hatte das Ministerium bisher in der Wahl der Gesprächspartner, um es zurückhaltend zu formulieren, keine glückliche Hand. Die Ärzte hatten jedenfalls den Eindruck, die "Gesundheitsreform" sei der Gesundheitsministerin von den Krankenkassen und einem handverlesenen Kreis von Beratern in den PC gebeamt worden, während die gewählten Vertreter der Ärzteschaft bewußt außen vor gelassen wurden.
Beim 102. Deutschen Ärztetag schienen endlich die ersten Rauchsignale hochzugehen. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer entschuldigte sich für eine verunglückte, verletzende Äußerung, bekundete wieder einmal Dialogbereitschaft und ihren Wunsch, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage mit den Ärzten zu finden. In der Sache freilich, ihrem Gesetzesprojekt, blieb sie hart. Die Ärzte begrüßten und verabschiedeten sie nicht gerade herzlich. Aber ein gewisses Nachdenken über Dialog, Gespräch und Fischers bekundeten guten Willen setzte ein.


Prompt folgte der Tiefschlag aus Bonn. Noch während Frau Fischer vor dem Ärztetag in Cottbus sprach, war ein unglaublicher Brief ihres Staatssekretärs Erwin Jordan unterwegs: Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wird damit apodiktisch ins Ministerium vorgeladen, um Rede und Antwort zu stehen über die Informationskampagne der KBV in Sachen Gesundheitsreform. Jordan hält mit seiner Meinung nicht hinter den Berg; er verurteilt, ehe überhaupt darüber gesprochen wird, die Informationspolitik der KBV. Offenbar soll in Bonn deren Vorstand vergattert werden. Gleichfalls zum Auftakt des Ärztetags verbreitete die Bundestagsfraktion der Grünen, der auch Frau Fischer angehört, eine Erklärung, in der sie der Hoffnung Ausdruck gibt, mit der "Neuwahl des Ärztepräsidenten wird hoffentlich die Rückkehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung möglich sein". Wir wollen hier nun nicht der Hoffnung Ausdruck geben, mit einer anderen Ministerin/einem anderen Minister könne der konstruktive Dialog beginnen. Nein, setzen wir einstweilen auf Frau Fischers "permanente" Gesprächsbereitschaft. Die sollte sich allerdings nicht nur in Bereitschaftserklärungen erschöpfen, sondern nunmehr in konkrete Taten münden - ohne obrigkeitliche Attitüde.
In den gesundheitspolitischen Zielen stimmen Ministerium und Ärzteschaft in vielem überein. Über die Wege freilich gibt es erhebliche Differenzen. Hier gilt es auszuloten, wo Kompromisse möglich sind, zu analysieren, wer das bessere Konzept hat. In der vorliegenden Form ist das Gesetzesvorhaben des Bundesgesundheitsministeriums nach Auffassung der Ärzte (die sich hier weitgehend einig sind, wenn es auch Splittergruppen mit anderen Auffassungen gibt) überflüssig, ja schädlich - für den Patienten, dem die Rationierung medizinischer Leistung droht, für die "Leistungserbringer", die einer Übermacht der Krankenkassen ausgeliefert werden sollen, für die Stabilität des Gesundheitswesens insgesamt. Deutscher Ärztetag und Kassenärztliche Bundesvereinigung haben ihre Kritik im Detail begründet. Darüber wäre in Bonn zu sprechen. Auch die Ärzte haben ihre Konzepte zu integrierter Versorgung, Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, zur Rolle des Hausarztes, zu einer rationellen Arzneimittelversorgung. Und sie sind nicht so vernagelt, daß sie nicht wissen, daß die Mittel knapp sind und vernünftig eingesetzt werden müssen.


Eine Verhandlungsbasis gäbe es also, man braucht sie bloß zu betreten. Verhandlungen freilich, bei denen die Leistungserbringer serienweise und pflichtgemäß angehört werden, um vor der Öffentlichkeit ein Alibi zu haben, sind keine. Hoffen wir unverdrossen darauf, daß Frau Fischers Bekundung von Gesprächsbereitschaft ehrlich gemeint ist und Jordans Anordnung, zum Dialog anzutreten, ein Fehltritt war. Norbert Jachertz

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