POLITIK: Medizinreport
Sport und Schmerz: Eine (un-)heilvolle Beziehung


Schmerz und Sport stehen in einer doppelten Beziehung zueinander: Durch sportliche Aktivitäten kann Schmerz
induziert oder verstärkt werden, Sport kann jedoch auch Schmerz reduzieren. Den meisten Schmerzpatienten ist
durchaus bekannt, daß eine sinnvolle sportliche Betätigung und daß Bewegungsübungen die Beschwerden
lindern können und die subjektiv empfundene Lebensqualität anheben. Dieses Wissen reicht aber in den meisten
Fällen nicht aus, um zu entsprechender körperlicher Aktivität zu motivieren, wie Diplom-Psychologin Cora
Besser-Siegmund (Hamburg) auf dem 10. Deutschen interdisziplinären Schmerzkongreß in Frankfurt berichtete.
Die Patienten seien häufig aufgrund von Jugenderlebnissen blockiert, beispielsweise weil von den
Sportlehrern bis zur "Schmerzgrenze" trainiert oder man wegen sportlichen Versagens ausgelacht wurde. Neben
der Motivation zur sportlichen Aktivität ist die Adaptionsfähigkeit des Körpers eine wichtige Voraussetzung für
eine positive Einstellung zum Sport. Nur wenn die körperliche Belastung gut bewältigt werden kann, macht
Sport auch Spaß, erinnerte Prof. Gernot Badtke (Potsdam). Die Grenzen der aktuellen Belastbarkeit sind dann
erreicht, wenn der gesamte Organismus, oder Teile davon, das aktuelle Adaptionspotential erreicht oder
überschritten hat.
In dieser Situation werden Schutzmechanismen wirksam. Die ersten sind Schmerzsignale. Auf sie reagiert
zunächst die Muskulatur. Besonders geachtet werden muß auf sportliche Belastbarkeit von Kindern und
Jugendlichen, so Badtke. Zwar ist der Körper junger Menschen in hohem Maße anpassungsfähig, jedoch wird im
wachsenden Organismus ein großer Anteil des Adaptionspotentials durch Wachstums- und
Entwicklungsprozesse in Anspruch genommen. Bei sportlichem Training von Kindern und Jugendlichen sollte
dieser Umstand berücksichtigt werden.
Fehl- und Überbelastungen der Gelenke und der Muskulatur sind die Ursache der meisten Verletzungen im
Sport. Sie lassen sich vermeiden, wenn beim Training die Grenzen der individuellen Adaptionsfähigkeit
eingehalten werden. Ist dennoch eine Sportverletzung im Sinne eines Fehlbelastungsschadens eingetreten, könne
eine Behandlung mit lokal wirksamen Kortikosteroiden eine schnelle Besserung bewirken, erinnerte Dr. Martin
Engelhardt (Frankfurt).
In der Praxis kommen fixe Kombination aus Kortikoidkristallen und einem Lokalanästhetikum (wie
Supertendin®Depot) zum Einsatz. Spätestens ein bis zwei Tage nach Injektion setzt ein Abklingen der
Entzündungs-Symptome ein. Zum Beispiel reduziert die posttraumatische Injektion des lokalen KortikoidPräparates in das Kniegelenk die Schwellung und das Streckdefizit und verbessert die neuromuskuläre
Aktivierung der Oberschenkel-Streckmuskulatur und die Kniebeugefähigkeit.
Intraartikuläre Injektion
Durch die Reduktion von Schmerzen und Entzündungszeichen wird die Rehabilitation des Sportlers
beschleunigt. Während bei Kniegelenksdistorsion eine intraartikuläre Injektion von Kortikosteroiden angezeigt
ist, stellen Fehlbelastungsfolgen wie Insertionstendopathie der Schulter oder Epicondylopathie des Ellenbogens
eine Indikation zur periartikulären Infiltration dar.
Eine intraartikuläre Injektion in das Kniegelenk sollte nicht am sitzenden, sondern am liegenden und entspannten
Patienten durchgeführt werden. Nur dann sind Knorpelschädigungen auszuschließen. Bei der Injektion muß die
Patella parallel zur Liegefläche ausgerichtet sein. Das Kniegelenk sollte unterlegt gelagert werden, um eine
Außenrotation zu verhindern. Dann wird mit dem Daumen die Patella ertastet, der Einstich wird unterhalb des
Daumens von lateral gesetzt. Die Nadel wird bis zum Kapselwiderstand vorgeschoben und die Kapsel mit einem
Ruck durchstoßen. Danach kann problemlos injiziert werden.
Als das häufigste schmerzhafte Engpaßsyndrom peripherer Nerven bezeichnete Dr. Wolfgang Hausotter
(Sonthofen) das Karpaltunnel-Syndrom. Das klinische Bild macht zusammen mit dem üblichen Provokationstest
die Diagnose einfach. Nur im Frühstadium kann die Diagnose problematisch sein. Dann helfen die Bestimmung
der distalen motorischen Latenzzeit und der distalen sensiblen Leitgeschwindigkeit des N. medianus weiter.
Häufig werden entsprechende Beschwerden (im Handgelenk und in den Fingern mit Dysästhesien) beim
Fahrradfahren ausgelöst, was sich durch Einengung des Karpalkanals erklären läßt. In der Anamnese sollte daher
danach gefragt werden. In den meisten Fällen wird durch eine Operation der N. Medianus aus seiner
Umklammerung durch Spaltung des Ligamentum carpi transversum befreit werden müssen.
Ein Sportler möchte ohne Trainings- und Leistungsunterbrechung weitermachen, gleichgültig, ob er verletzt ist
oder einen Überlastungsschaden hat. Sportpausen gibt es heute nicht mehr, so Dr. Ralph Spintge (Lüdenscheid).
Daher muß die Therapie möglichst ambulant und nicht-invasiv sein. Eine weitere Erfahrung von Spintge: Kein
Athlet will, daß seine Schmerzen vollkommen ausgeschaltet werden. Denn der Sportler braucht die
Warnfunktion des Schmerzes. Er ist für ihn ein bewußtes Steuerungsmittel im Training.
Trainer und Physiotherapeut müssen in die Therapie mit eingebunden werden. In der medizinischen Behandlung
sollten Medikamente soweit wie möglich vermieden werden. Einerseits wegen der Dopingproblematik,
andererseits wegen der hohen Belastung des Organismus durch das weiterlaufende Training. Sinnvoll ist ein
multimodaler Therapieansatz: Ergänzend zur Physiotherapie und zum Aufbautraining werden physikalische
Methoden eingesetzt, wie die TENS-Methoden.
Was für den Hochleistungssportler gilt, darf nicht auf den normalen Patienten übertragen werden. Bei ihm ist
Schmerzfreiheit anzustreben. Das gilt vor allem für den Bewegungsapparat. Über 30 Prozent der Bevölkerung in
den Industriestaaten klagt über episodisch auftretende Schmerzen im Bewegungssystem. Jeder vierte bis fünfte
Erwachsene weist eine Erkrankung des Bewegungsapparates auf, und über 40 Prozent der über 65jährigen leiden
an "rheumatischen" Erkrankungen, wobei Frauen deutlich überwiegen.
Rückenschmerzen durch Dysbalance der Extensoren
In Deutschland leiden über drei Millionen Menschen an chronischen Schmerzen. Ein großer Teil von ihnen hat
Rückenschmerzen, die in den meisten Fällen berufsbedingt sind. So ist das Personal in Krankenhäusern,
Altenheimen und in der häuslichen Pflege durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung für
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule prädisponiert. In diesen Fällen sind nicht Analgetika oder
Muskelrelaxanzien primär indiziert, sondern regelmäßig durchgeführte Funktionsgymnastik für die
wirbelsäulenstützenden Muskelgruppen, berichtete Dr. Jörn Winkler (Leverkusen). Defizite und Dysbalance der
lumbalen und thorakalen Extensoren gelten als somatische Risikofaktoren für Rückenschmerzen.
Dr. Achim Denner und sein Team (Köln) entwickelten ein standardisiertes Trainingskonzept, das aus
dynamischem Krafttraining, Dehnungs-, Entlastungs- und Entspannungsübungen sowie einer entsprechenden
Information für die Patienten besteht. Durch diese Konditionierung steigen Maximalkraft und Leistungsfähigkeit
der Rumpf-, Nacken- und Halsmuskulatur um durchschnittlich 30 bis 50 Prozent an. Rund 93 Prozent der
Rückenschmerz-Patienten profitieren von breitspektraler Bewegungstherapie. Bei den meisten verbessert sich
die Bewältigung der Alltagsaktivitäten, und gut die Hälfte der Teilnehmer berichtet über einen Anstieg der
Lebensqualität.
Auch die Kosten werden durch das Trainingskonzept signifikant gesenkt: Der Medikamentenverbrauch sinkt um
55 Prozent, die physikalischen Maßnahmen um 65 Prozent und der Ausfall an Arbeitstagen wegen
Rückenschmerzen um 66 Prozent, so daß ein durchschnittlicher Gewinn an 4,5 Arbeitstagen/Jahr resultiert.
Denner wies ausdrücklich darauf hin, daß solche Trainingsmaßnahmen von den Kostenträgern finanziert werden.
Der Einfluß eines Sportprogrammes auf Patienten mit chronischen lumbalen Rückenschmerzen studierten Dr.
Petra Sauer et al. (Göttingen) an 90 Patienten im mittleren Alter von 42 Jahren und mit einer Schmerzdauer von
im Mittel mehr als zwölf Jahren. Die Patienten führten im Rahmen des Göttinger-Rücken-Intensiv-Programmes
ein achtwöchiges ambulantes Kraft- und Ausdauertraining mit Stretching durch.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Schmerzintensität und subjektive Beeinträchtigung der Patienten wurden
reduziert und die Funktionskapazität bei alltäglichen Aktivitäten deutlich angehoben. Die muskuläre
Dehnfähigkeit und Kraftausdauerfähigkeit der Patienten nahm zu. Diese positiven Effekte waren noch ein Jahr
nach Programmende uneingeschränkt vorhanden. Alle Patienten konnten die Analgetika-Einnahme deutlich redu
zieren. Siegfried Hoc
Um Knorpelschädigungen zu vermeiden, sollten Injektionen in das Kniegelenk am liegenden Patienten
durchgeführt werden. Foto: Prof. R. Fricke, Sendenhorst
Als eine Behandlungsform gegen chronische Schmerzen stellte Dr. Christa Zumfeld-Hneburg (Bonn) in einem
Workshop die chinesische Bewegungskunst Qigong Yangsheng (Qi = Lebenskraft, Gong = regelmäßig üben)
vor. Diese Methode der traditionellen chinesischen Medizin bewirkt eine Änderung der Schmerzwahrnehmung
und Schmerzverarbeitung. Physikalische Therapieformen wie Krankengymnastik und isometrisches
Muskeltraining sowie Stimulationsverfahren wie TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) sind ebenso
im Qigong enthalten wie psychologische Verfahren (Entspannungstraining, autogenes Training und Hypnose).
Vorstellungsbilder aus der Natur wie "fest verwurzelt stehen wie eine Kiefer" tragen dazu bei, die
Aufmerksamkeit in bestimmte Körperbereiche zu lenken und damit die Schmerztherapie zu unterstützen. Qigong
Yangsheng soll "die eigene Lebenskraft mobilisieren, um damit der Krankheit den Boden zu entziehen". hoc
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