ArchivDeutsches Ärzteblatt23/1999Arztserien: Meine Kollegen von der Fernsehklinik

VARIA: Schlusspunkt

Arztserien: Meine Kollegen von der Fernsehklinik

Poleck, Brigitte

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LNSLNS Natürlich gebe ich es nur ungern zu, aber gelegentlich schalte ich den Fernseher ein und beobachte, was in den Praxen oder auf den Stationen meiner Fernsehkollegen so alles passiert.
In den Allgemeinarzt-Praxen in Berlin-Kreuzberg oder auf den Stationen malerisch gelegener Kinderkliniken wimmelt es nur so von hochinteressanten Patienten und deren Angehöriger, um die sich die Helden der Serien aufopferungsvoll kümmern. Diese Herren - Ärztinnen kommen eigentlich seltener und dann überdurchschnittlich häufig als Anästhesistinnen vor - sehen nicht nur gut aus, sie sind außerdem extrem vielseitig, was ihre medizinischen Kenntnisse und Fähigkeiten betrifft: Die komplette Geburtshilfe beherrschen sie perfekt, sie operieren und therapieren das gesamte Erkrankungsspektrum über jegliche Fachgebietsgrenzen hinweg und retten im Halbstundenabstand Menschenleben. Zugegebenermaßen beschleicht mich manchmal ein leises Neidgefühl, wenn ich beobachten muß, wie meine männlichen Fernsehkollegen ständig von sanft lächelnden Krankenschwestern angebetet werden. Das mag wohl am guten Aussehen der Herren liegen. Keine Schwester hat mich je mit huldvoller Bewunderung angeblickt und gesagt: "Sie sind überarbeitet. Schonen Sie sich doch mal. Immer sind Sie nur für andere da."
Wäre ich selbst Patient aus einem Drehbuch, würde ich bei freier Auswahl am liebsten als Kind in einer Kinderklinik behandelt werden, denn die lieben Doktoren spielen, musizieren und reden den ganzen Tag mit ihren trotz schwerer Krankheiten äußerst munteren Schützlingen und freuen sich über die vorwitzigen Streiche der kleinen Racker.
Solche Sendungen sind natürlich nicht für jemand vom Fach konzipiert, sondern für den interessierten Laien, der jedoch bei der großen Anzahl der Serien und Filme sozusagen nebenberuflich etwas Medizin mitstudieren konnte. Der Zuschauer weiß mittlerweile genau, daß ein hektisch ausgerufenes "Herzanfall" nichts Gutes verheißt und zu den im Fernsehen so beliebten Aussprüchen führen wird wie: "Bereiten Sie alles vor, wir verlieren ihn, es hat keinen Zweck, wir haben alles getan, was wir konnten."
Die medizinische Fernsehwelt ist also noch weitgehend heil, für die aufopferungsvollen Mediziner, ihre dankbaren Patienten und das interessierte Publikum gleichermaßen.
Brigitte Poleck

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