MEDIZIN: Diskussion
Fundierte Hochrechnungen statt Blindflug
Substantiated Modelling Instead of Flying Blind
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Stang und Koautoren legen, basierend auf den Daten des US-amerikanischen National Lung Screening Trial, eine Hochrechnung der erwarteten Effekte einer bundesweiten Einführung des Lungenkrebsscreenings mit Low-Dose-Computertomographie vor (1). Bei einer geschätzten Zahl von 3,9 Millionen Tomographien innerhalb von 3 Jahren würden demnach mehr als 900 000 Untersuchungen mit Tumorverdacht auftreten, die in circa 3 % der Fälle bestätigt würden und deren vorzeitige Entdeckung circa 4 000 Lungenkrebstodesfälle vermeiden würde. Pro bestätigtem Fall gäbe es also circa 30-mal falschen Alarm und es würden circa 1 000 Tomographien benötigt, um einen Lungenkrebstodesfall zu vermeiden. Die zu erwartende Kosten-Effektivität wäre sehr gering.
Zum Vergleich: Einer vor kurzem erschienenen Hochrechnung der erwarteten Effekte der ersten 10 Jahre Vorsorge-Koloskopie in Deutschland zufolge wurden durch circa 4,4 Millionen Vorsorge-Koloskopien mehr als 180 000 Darmkrebsfälle verhütet, weitere 40 000 Darmkrebserkrankungen wurden frühzeitig und zumeist in einem frühen, gut heilbaren Stadium entdeckt (2). Damit dürften, bei hoher Kosten-Effektivität, wenn nicht sogar Kostenersparnis (3), circa 80 000 Darmkrebstodesfälle verhindert worden sein.
Die Zahlen beider Studien mögen aufgrund vereinfachender Annahmen nicht ganz präzise sein – was bei Hochrechnungen unvermeidlich ist – zur Beurteilung der Größenordnung der zu erzielenden Effekte in Relation zu den dafür einzubringenden Ressourcen sind solche Hochrechnungen mehr als hilfreich. Denn nur so können gesundheitspolitische Entscheidungen auf einer epidemiologisch fundierten Basis getroffen werden.
Es wäre dringend wünschenswert, dass auch in Deutschland fundierte Hochrechnungen und Simulationsstudien vermehrt für gesundheitspolitische Entscheidungen und Priorisierungen gefragt, gefördert, professionell durchgeführt und genutzt werden. Dies ist in anderen Ländern längst wissenschaftlicher und gesundheitspolitischer Standard geworden, um Blindflüge in der Krebsvorsorge zu vermeiden (4).
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0297a
Prof. Dr. med. Hermann Brenner
Abteilung Klinische Epidemiologie und Alternsforschung,
Abteilung Präventive Onkologie und
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK),
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ),
Heidelberg
h.brenner@dkfz.de
Dr. sc. hum Michael Hoffmeister
Abteilung Klinische Epidemiologie und Alternsforschung,
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg
Dr. sc. hum. Christian Stock
Institut für Medizinische Biometrie und Informatik,
Universität Heidelberg
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 637–44 VOLLTEXT
1. | Stang A, Schuler M, Kowall B, Darwiche K, Kühl H, Jöckel KH: Lung cancer screening using low dose CT scanning in Germany— extrapolation of results from the National Lung Screening Trial. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 637–44 VOLLTEXT |
2. | Brenner H, Altenhofen L, Stock C, Hoffmeister M: Prevention, early detection, and overdiagnosis of colorectal cancer within 10 years of screening colonoscopy in Germany. Clin Gastroenterol Hepatol 2015; 13: 717–23 CrossRef MEDLINE |
3. | Lansdorp-Vogelaar I, Knudsen A, Brenner H: Cost-effectiveness of colorectal cancer screening. Epidemiol Rev 2011; 33: 88–100 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
4. | van Hees F, Zauber AG, Klabunde CN, Goede SL, Lansdorp-Vogelaar I, van Ballegooijen M: The appropriateness of more intensive colonoscopy screening than recommended in medicare beneficiaries: a modeling study. JAMA Intern Med 2014; 174: 1568–76 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
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