ArchivDeutsches Ärzteblatt21/2016Albanien: Medizin ist eine Frage des Geldes

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Albanien: Medizin ist eine Frage des Geldes

Fleck, Klaus

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Albanien ist eines der ärmsten Länder Europas. Das wirkt sich auch auf die medizinische Versorgung aus. Während im staatlichen Gesundheitssektor Mangel herrscht, prosperiert der private, den sich nur die wenigsten Menschen leisten können.

Besser versorgt in der Stadt: Die Unterschiede zur medizinischen Versorgung in der Provinz sind enorm. Foto:Klaus Fleck
Besser versorgt in der Stadt: Die Unterschiede zur medizinischen Versorgung in der Provinz sind enorm. Foto:Klaus Fleck

Wenn in jüngster Zeit von Albanien die Rede war, dann vor allem als Herkunftsland von Flüchtlingen. In der Rangliste der im Jahr 2015 in Deutschland gestellten Asylanträge stand der Balkanstaat nach Syrien einmal an zweiter Stelle. Seitdem das Land nun als sicheres Herkunftsland gilt, sind die Asylbewerberzahlen erheblich zurückgegangen. Während Syrer vor Bürgerkrieg und Bombenterror fliehen, waren und sind die Motive für ein Verlassen Albaniens andere: Sie liegen in den meisten Fällen in den wirtschaftlich und sozial schwierigen Lebensbedingungen in diesem Land begründet, das eines der ärmsten in Europa ist. Das schließt die medizinische und damit ärztliche Versorgung ein. Ernstlich krank zu werden, ist für viele Menschen gleichbedeutend mit einer erheblichen Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation.

Mit einer Arztdichte von 1,1 auf 1 000 Einwohner ist Albanien rein zahlenmäßig weniger als ein Drittel so gut versorgt wie Deutschland. Dabei steht dem größtenteils als ineffizient geltenden staatlichen Gesundheitssektor der in den letzten Jahren rasch gewachsene, aber teure private Sektor mit privaten Krankenhäusern, Gesundheits- und Diagnosezentren sowie Apotheken gegenüber.

„Ein großes Problem ist das sehr geringe Budget, das wir im öffentlichen Gesundheitswesen zur Verfügung haben“, sagt Prof. Dr. med. Anila Godo, Leiterin der Kinderonkologie im Universitätsklinikum „Nënë Tereza“ (Mutter Teresa) in Tirana. So betrugen die öffentlichen Gesundheitsausgaben 2013 in Albanien nur 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, gegenüber 8,7 Prozent in Deutschland. „In unserer Abteilung steht zum Beispiel für die onkologisch-hämatologische Behandlung nur eine begrenzte Menge an Zytostatika zur Verfügung“, erläutert Anila Godo. „Ist sie verbraucht, dann müssen die Eltern der jungen Krebspatienten das verordnete Medikament zu einem sehr hohen Preis in einer privaten Apotheke kaufen.“

Gegensätze: Plakataktion gegen die allgegenwärtige Korruption in Tirana; Din Selimaj sichert die chirurgische Versorgung im bergigen Norden Albaniens; die Zahl privater Kliniken in der Hauptstadt wächst (v. o.)
Gegensätze: Plakataktion gegen die allgegenwärtige Korruption in Tirana; Din Selimaj sichert die chirurgische Versorgung im bergigen Norden Albaniens; die Zahl privater Kliniken in der Hauptstadt wächst (v. o.)

Das geringe Gesundheitsbudget wirkt sich gleichermaßen auf die Bezahlung der Ärzte in öffentlichen Einrichtungen aus. So liegt das Grundgehalt junger Fachärzte dort bei selten mehr als umgerechnet 300 bis 400 Euro im Monat. „Hinzu kommen die Dienste, die mit rund 20 Euro pro Schicht honoriert werden“, sagt die Klinikärztin. Sehr viele Ärzte seien daher nicht nur in öffentlichen, sondern parallel auch in privaten Einrichtungen tätig, wo sie mehr verdienen können. Es ist kein Geheimnis, dass das Arbeits-prinzip „vormittags hier – nachmittags da“ auch die Gelegenheit bietet, Patienten aus dem öffentlichen Sektor für die private Sprechstunde zu akquirieren.

Ein weiterer „Nebeneffekt“ der geringen Gehälter im öffentlichen Gesundheitswesen ist die besonders dort – aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen – ausgeprägte Korruption. Dass Ärzten und Pflegepersonal Bares „zugesteckt“ wird, ist üblich und wird in vielen Fällen von den Patienten als Notwendigkeit gesehen, gut oder sogar überhaupt behandelt zu werden. Kaum ein staatliches Krankenhaus oder Gesundheitszentrum, in dem Korruption nicht auf Plakaten oder Schildern angeprangert wird. Genützt hat dies noch lange nicht genug. „Die seit Jahren geführte öffentliche Anti-Korruptionskampagne wird auch weiterhin gebraucht“, sagt Anila Godo.

Einem 2015 vorgelegten Dokument der Weltbank zufolge sind in Albanien 61 Prozent der Bevölkerung gesetzlich krankenversichert. Von allen Gesundheitsausgaben müssen die Patienten mehr als die Hälfte aus eigener Tasche bezahlen. Davon werden 45 Prozent für den ambulanten Bereich, 45 Prozent für Medikamente und zehn Prozent für stationäre Aufenthalte verwendet. Die hohen Selbstbehalte können Patienten vor allem niedriger sozialer Schichten schnell in die Verarmung treiben: Dem Weltbank-
bericht zufolge sind Fälle, in denen die Gesundheitsausgaben eine Person oder einen Haushalt in eine finanzielle Katastrophe stürzen, in Albanien besonders häufig.

Wer es sich leisten kann – das ist eine Minderheit –, lässt sich von vornherein in privaten Kliniken und Zentren behandeln. Davon gibt es vor allem in der Hauptstadt Tirana relativ viele, und sie werden jedes Jahr mehr. Einen besonders guten Ruf in der Bevölkerung haben Häuser ausländischer Träger oder mit ausländischen Namen wie Spitali Amerikan oder German Hospital, selbst wenn das Personal dort überwiegend aus Inländern besteht.

Daneben gibt es einige wenige private Einrichtungen auf nicht-kommerzieller Basis, die zum Teil durch Spendengelder aus dem Ausland unterstützt werden. „Wir sind die einzige private Klinik für Primärversorgung in Tirana und bieten unseren Patienten eine ganzheitliche Betreuung nach christlichen Grundsätzen an“, sagt Dr. Ermira Cufaj von der ABC Health Foundation. „Dabei weisen wir niemanden ab, auch wenn er nur wenig Geld hat.“ Die Leistungen der Stiftung umfassen neben der ambulanten Versorgung in ihrem Gesundheitszentrum auch Hausbesuche und Weiterbildungsangebote für junge Mediziner. Spenden für die Stiftung kommen vor allem aus den USA und Großbritannien.

Große Unterschiede bei der medizinischen Versorgung gibt es zwischen Hauptstadt und Provinz. Auf dem Land herrscht großer Fachärztemangel. Aber auch Geräte fehlen. „Wir haben hier derzeit keine Möglichkeit, bei Gerinnungspatienten den INR-Wert zu bestimmen und schicken sie dazu dann über die Grenze in den benachbarten Kosovo“, sagt der Chirurg Dr. Din Selimaj vom Kreiskrankenhaus in der Kleinstadt Bajram Curri im bergigen Norden Albaniens. Obwohl nach langjähriger Tätigkeit in der Hauptstadt bereits pensioniert, arbeitet Selimaj hier weiter, um zumindest eine chirurgische Grundversorgung der Bevölkerung dieser Region zu gewährleisten: „An laparoskopische Operationen etwa ist in dieser Klinik nicht zu denken.“ Wäre der Chirurg nicht vor Ort, müssten auch Notfall-Patienten in den Kosovo oder in die mehr als 100 Kilometer entfernte albanische Stadt Kukës transportiert werden. In extremen Fällen erfolgt der Transport per Helikopter nach Tirana. Immerhin können fachärztliche Konsultationen seit dem vergangenen Jahr vom Kreiskrankenhaus Bajram Curri aus auch via Telemedizin stattfinden.

Ein Medizinstudium ist in dem weniger als drei Millionen Einwohner zählenden Albanien nur in Tirana möglich. Dort gibt es eine staatliche sowie eine private (italienische) Universität, die Medizin als Studiengang anbieten. Dabei ist es für junge Ärzte oft problematisch, nach dem Studium einen Weiterbildungsplatz zu finden, besonders wenn sie in der Hauptstadtregion bleiben wollen. Viele gehen dann ins Ausland. „Zwar verdient man dort auch mehr. Das wichtigste bei meiner Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, war jedoch, die für mich bestmögliche Ausbildung zu bekommen“, sagt Ershela Kazazi aus Tirana. Sie arbeitet im zweiten Weiterbildungsjahr im Fachgebiet Gynäkologie und Geburtshilfe in einer Klinik in Kassel. Ende 2015 waren laut Bundesärztekammer 315 albanische Ärztinnen und Ärzte in Deutschland tätig. „Ob ich langfristig hier bleiben möchte, weiß ich noch nicht“, sagt die Assistenzärztin. „Ich kann mir ebenso sehr gut vorstellen, nach der Weiterbildung in meiner Heimat eine Praxis zu eröffnen.“

Dr. med. Klaus Fleck

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